Inzwischen hat sich auch der Papst in die „Vertuschungs“-Debatte rund um seinen Vorvorgänger Johannes Paul II. eingemischt. Laut Agenturen sagte Franziskus: „Damals hat man alles vertuscht.“ Ein sehr pauschales Urteil. Gerade in einem Land wie Polen, in dem – ähnlich wie in Argentinien und Deutschland – eine Zeit lang diktatorische Verhältnisse herrschten.
Zwei Untersuchungen, zwei Ergebnisse
Interessant ist jedenfalls: während der holländische Journalist Ekke Overbeek für sein Enthüllungsbuch „Maxima culpa“ im Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) die Akten von priesterlichen Missbrauchstätern der Diözese Krakau studierte, die in den Zeitraum der Leitung von Karol Wojtyła fallen, untersuchten auch zwei polnische Journalisten, Tomasz Krzyżak und Piotr Litka, die Archive und kamen bei den Missbrauchs-Fällen der Priester Józef Loranc und Eugeniusz Surgent zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen als der Holländer.
Die Ergebnisse ihrer journalistischen Recherche waren im vergangenen Herbst in der Zeitung „Rzeczpospolita“ zu lesen, und der Chefredakteur der Katholischen Nachrichtenagentur Polens (KAI), Marcin Przeciszewski, schreibt dazu: „Obwohl sie mit denselben Dokumenten gearbeitet haben, zeigt ihre Arbeit, dass Kardinal Wojtyła in beiden Fällen das Verhalten der Geistlichen nicht ,vertuscht‘ hat und dass er im Einklang mit den damals geltenden Kanones gehandelt hat, ohne die Tatsache des Verbrechens zu verharmlosen.“
Nicht-Bestrafung war Urteil eines weltlichen Gerichts
Loranc wurden Sexualdelikte gegen Mädchen im Alter von sechs bis elf Jahren an einer Dorfschule in Jeleśnia zur Last gelegt. „Der Fall ging sowohl an die Polizei als auch an die Kirchenoberen, einschließlich des Metropoliten selbst. (…) Loranc verließ bald darauf Jeleśnia und wurde vom Metropoliten von Krakau suspendiert, das heißt, mit einem Verbot der Ausübung priesterlicher Funktionen belegt.“
In einem Brief an Loranc schrieb Wojtyła: „Das Unterlassen einer Bestrafung durch das kirchliche Gericht macht weder das Verbrechen ungültig noch tilgt es die Schuld. Jedes Verbrechen muss bestraft werden. Wenn also in Ihrem Fall die Strafe nicht vollstreckt wurde, so geschah dies aufgrund besonderer Umstände [...]. Der besondere Umstand, der die Richter des Tribunals veranlasste, von einer Bestrafung abzusehen, war das Urteil des staatlichen Tribunals und damit die Bestrafung des Priesters durch die weltliche Autorität“.
Franziskus macht es sich zu einfach
Auch beim Fall des Priesters Eugeniusz Surgent, der 1973 mit Sexualstraftaten gegen sechs Jungen auffällig wurde, handelte Wojtyła laut Tomasz Krzyżak und Piotr Litka korrekt. Surgent, der auch für den Geheimdienst arbeitete, landete im Gefängnis. Overbeeks Theorie, dass Wojtyła schon früher von Surgents Störung gewusst habe, wird vom Historiker Marek Lasota als „nicht gerechtfertigt“ angesehen. Zum Fall des Priesters Kazimierz Lenart, der sechsmal versetzt wurde, schreibt der KAI-Chefredakteur nichts.
Zum Fall des Priesters Bolesław Saduś, Referent für den Religionsunterricht in der Erzdiözese Krakau, der sich Sexualdelikten gegenüber Jungen zu verantworten hatte und von der polnischen Geheimpolizei angeworben wurde, meint Przeciszewski, dies sei „ein Thema, das sicherlich weitere Archivrecherchen“ erfordere. Unbedingt! Zumal Saduś ein Bekannter Wojtyłas war, für dessen Versetzung nach Österreich sich Wojtyła persönlich einsetzte.
Insofern macht es sich Franziskus wohl etwas zu leicht, wenn er dazu sagt: „Ich kenne den Fall nicht, aber es war das Übliche.“ Dass jede Epoche „mit der Hermeneutik der jeweiligen Zeit gedeutet werden“ müsse, ist – jesuitisch formuliert – wahr und falsch zugleich.
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