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Vermittlung unerwünscht

Treffen in Rom: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert Franziskus öffentlich dazu auf, im Ukraine-Krieg die „positive Neutralität“ des Vatikans aufzugeben.
Papst Franziskus und Wolodymyr Selenskyj
Foto: Vatican Media (Romano Siciliani) | Papst Franziskus empfängt Wolodymyr Selenskyj, Staatspräsident der Ukraine, am 13. Mai 2023 im Vatikan.

Papst Franziskus will nicht der „Kaplan“ Kiews oder der westlichen Verbündeten der Ukraine sein, so wie der Moskauer Patriarch Kyrill der „Kaplan“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist. Und so war es kein Schulterschluss, den der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj und der Papst Ende vergangener Woche im Vatikan vollzogen haben. Denn genau das erwarten viele Ukrainer vom Vatikan und vor allem von Franziskus: Partei zu ergreifen und sich auch politisch und diplomatisch auf die Seite der angegriffenen Ukrainer zu stellen.

Selenskyj will Heiligen Stuhl als Verbündeten

Noch am gleichen Samstag erklärte Franziskus beim Empfang der neuen Botschafter Islands, Bangladeschs, Syriens, Gambias und Kasachstans, wie der Heilige Stuhl seine internationale Position versteht. „Im Einklang mit seiner Natur und seiner besonderen Mission“, sagte der Papst vor den Diplomaten, „bemüht sich der Heilige Stuhl, die unverletzliche Würde jeder Person zu schützen, das Gemeinwohl und die menschliche Brüderlichkeit unter allen Völkern zu fördern.“ Diese Bemühungen seien frei von politischen, kommerziellen oder militärischen Zielen und fänden Ausdruck in einer „positiven Neutralität“, die, weit davon entfernt, vor allem angesichts des menschlichen Leids eine „ethische Neutralität“ zu sein, dem Heiligen Stuhl eine genau definierte Rolle in der internationalen Gemeinschaft zuweise, die es ihm besser ermögliche, zur Lösung von Konflikten und anderen Fragen beizutragen. Soweit die Theorie.

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Doch in der Praxis will die Ukraine mehr. Und Selenskyj machte das in Rom mehr als deutlich. Er suchte in Europa keine Vermittler, sondern Verbündete. So war er nicht gekommen, mit dem Papst über die humanitären Hilfen des Vatikans zu sprechen und auf diesen zu hören, sondern ihm zu erklären, wie es in dem Konflikt weitergehen muss. Schon einen Tag zuvor hatte der ukrainische Präsidentenberater Mykhail Podolyak in der italienischen Tageszeitung „Corriere della sera“ zu Protokoll gegeben, was man sich vom Vatikan erwartet: „Es muss klar sein, dass es in dieser Phase des Kriegs nicht nötig ist, mechanisch von Verhandlungen zu sprechen. Der Ausgangspunkt muss der vollständige Rückzug der russischen Truppen aus dem Territorium der Ukraine bis jenseits der Grenzen von 1991 sein. Jedes territoriale Zugeständnis kommt nicht in Frage. Außerdem verlangt jede Verhandlung unsere aktive Beteiligung.“

Ukrainische Forderungen an den Papst

So oder ähnlich wird es auch geklungen haben, als der ukrainische Staatspräsident dann vor dem Papst saß. Es war ein anderer Selenskyj als der vom Februar 2020 mit Anzug und Krawatte, der damals im Apostolischen Palast einen fast schüchternen Eindruck machte. Jetzt hatte er seine Aufzeichnungen vor sich und referierte im Military-Look über seinen Zehn-Punkte-Plan. Schon die Gastgeschenke zeigten die Unterschiede: Franziskus übergab Selenskyj eine Skulptur, die einen Palmzweig darstellte, und ein Buch über Brüderlichkeit, der Präsident dem Papst eine Ikone, die auf den kugelsicheren Teil einer Armeeweste gemalt war.

Anerkennung zollt die Ukraine für die humanitäre Hilfe des Vatikans, etwa bei der Rückführung von nach Russland verschleppten Kindern. Dass es aber ansonsten keinerlei Gemeinsamkeiten gibt, machte der ukrainische Staatschef noch am Samstagabend über Twitter deutlich: Er sei dankbar für die Anteilnahme des Papstes am Schicksal des ukrainischen Volks. „Darüber hinaus habe ich gefordert, die russischen Verbrechen in der Ukraine zu verurteilen, denn es kann keine Gleichheit zwischen dem Opfer und dem Aggressor gehen. Auch habe ich von unserer Friedens-Formel als einzig wirksamem Algorithmus gesprochen, um zu einem gerechten Frieden zu kommen.“

Selenskyi will keine Verhandlungen, sondern Russland besiegen

Das war die erste Antwort an den Papst. Und damit jeder in Italien weiß, wie die Dinge zwischen Rom und Kiew stehen, ließ sich Selenskyi am Abend noch einer Sondersendung beim beliebten Talk-Format „Porta a porta“ des bekanntesten italienischen Anchorman Bruno Vespa zuschalten, damit auch ein Millionenpublikum erfuhr, was der ukrainische Präsident dem Papst zu sagen hatte. Eine Erklärung wird dann interessant, wenn das Wörtchen „aber“ fällt. Und so gab der ukrainische Präsident zu Protokoll: „Für mich war es eine Ehre, Seiner Heiligkeit zu begegnen, aber er kennt meine Position: Der Krieg findet in der Ukraine statt, also muss es ein Friedensplan der Ukraine sein. Wir sind sehr daran interessiert, den Vatikan in unsere Friedens-Formel einzubeziehen.“

Dann wurde Selenskyi noch deutlicher: „Bei allem Respekt für den Papst: Wir brauchen keinen Vermittler zwischen der Ukraine und einem Angreifer-Staat. Mit Putin kann man nicht verhandeln. Wir wollen einen gerechten Frieden für die Ukraine, das heißt, wir laden den Papst ein, an unserem Plan mitzuarbeiten.“ Und dieser Plan sieht nun einmal vor, Russland in der Ukraine zu besiegen. Das setzt die Fortführung der Kämpfe voraus. Selenskyi weiß zwar, dass Papst und Vatikan nie für eine Verlängerung des Krieges plädieren würden. Aber darum ging es dem ukrainischen Staatschef auch nicht. Sein Ziel war es, dass der Papst aufhört, für Verhandlungen zu werben.

Manchmal stinkt der Dialog – aber man muss ihn führen

Damit hat sich wohl jene Friedensmission erledigt, von der Franziskus auf dem Rückflug von Ungarn gesprochen hatte. Da sowohl Moskau wie auch Kiew anschließend nicht bestätigen konnten, dass es eine solche Friedensmission überhaupt gebe, rätselten die Medien, was der Papst wohl gemeint haben könnte. Manche Beobachter gehen davon aus, dass der Vatikan dem scheidenden Botschafter beim Heiligen Stuhl, Alexander Awdejew, ein Schreiben für den russischen Präsidenten Wladimir Putin mitgegeben haben könnte. Das ist jener Awdejew, den Franziskus unmittelbar nach dem Überfall im Februar vergangenen Jahres in dessen Residenz aufsuchte, um sich erklären zu lassen, was denn da geschieht – ein erster, mit dem Krieg in Zusammenhang stehender Akt des Papstes, der auf völliges Unverständnis der ukrainischen Seite stieß.

In der Folge war es dann der Botschafter der Ukraine beim Vatikan, Andrij Yurasch, der immer wieder die scheinbare Äquidistanz des Vatikans zu den beiden Kriegsparteien angegriffen hatte, etwa beim Kreuzweg im Kolosseum des Jahres 2022, als eine russische und eine ukrainische Krankenschwester gemeinsam bei einer Station beten sollten (dann aber still blieben). Ebenso hat Yurasch alles dafür getan, ein Treffen von Papst Franziskus mit Patriarch Kyrill zu vermeiden, was etwa beim interreligiösen Kongress in Kasachstan im September möglich gewesen wäre. Damals hatte Franziskus auf dem Rückflug erklärt: „Ich schließe einen Dialog mit dem Aggressor nicht aus. Manchmal stinkt der Dialog – aber man muss ihn führen.“ Ein Standpunkt, der sich mit dem Besuch Selenskyjs in Rom vorerst als nicht machbar erwiesen hat.

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