Lugano

Theologie in Höchstform

Katholische Antworten auf drängende Fragen: Der Schlüssel zum wissenschaftlichen Werk von Leo Scheffczyk ist erschienen.
Leo Scheffczyk zum Kardinal ernannt
Foto: KNA | Gelehrsamkeit, klare Analyse und tiefer Glaube: Kardinal Leo Scheffczyk verkörperte ein Wissenschaftler-Ideal.

Wahrscheinlich war niemand überraschter als Leo Scheffczyk (1920–2005) selbst, dass er seine Tage als Kardinal beschließen würde. Der zurückhaltende Schlesier war kein Theologe, der sich in die erste Reihe drängte. 2001 hatte Johannes Paul II. ihn zum Kardinal kreiert; es war typisch für den geborenen Beuthener, dass er darum bat, von der mit dem Kardinalat verbundenen Bischofsweihe dispensiert zu werden. Das ungemein reiche, auch didaktisch fruchtbare Werk Scheffczyks steht bei manchen unter ,Konservatismus‘-Verdacht und wird bis heute zu wenig rezipiert. Dem will Johannes Nebel, Angehöriger der mit dem verstorbenen Kardinal verbundenen Gemeinschaft ,Das Werk‘ und sein Nachlassverwalter in Bregenz, mit einem gut zusammengestellten Sammelband abhelfen, der Scheffczyks Oeuvre, nach den dogmatischen Traktaten geordnet, neu erschließt, wozu auch ein revidiertes wissenschaftliches Gesamtverzeichnis der Schriften mit weit über 2 000 Einträgen gehört.

Liest man das von spürbarer Sympathie getragene Geleitwort des schlesischen Landsmannes Kardinal Joachim Meisner, wird man nachdenklich: Heutzutage ist es erwähnenswert, hervorzuheben, dass ein Theologe wirklich gläubig ist: „Was Leo Scheffczyk lehrte, hatte er vorher durchbetet. Was er anderen predigte, befolgte er selbst in seiner Glaubenspraxis“.

Scheffczyks wohl wichtigste Schüler sind der Dogmatiker Manfred Hauke (Lugano) und der emeritierte Augsburger Dogmatiker Anton Ziegenaus. Letzterer zeichnet das theologische Profil seines Lehrers nach und weist zunächst darauf hin, dass dieser ursprünglich zwischen Kirchengeschichte und Dogmatik schwankte. Wie alle Theologen seiner Generation hatte Scheffczyk auf die zersetzende ,Entmythologisierung‘ Bultmanns zu reagieren. Ziegenaus: „Diese existenzialistische Auslegung des Neuen Testamentes leugnet alles Faktische, Geschichtliche und Gottgewirkte in der Schrift, etwa in der Auferstehung Jesu, und kann auch keine inhaltlichen Aussagen für die gegenwärtige Verkündigung machen.“ Scheffczyk hielt dagegen: Das Christentum muss sich, „anders als etwa die mystischen Religionen des Ostens, als eine geschichtliche Religion verstehen, die nicht nur auf einem einmaligen geschichtlichen Ereignis beruht, dem Christusereignis, sondern die auch mit der Geschichte mitgeht und in ihr immer gegenwärtig ist“.

Imre von Gaál, der Scheffczyk in eine Linie mit dem amerikanischen Jesuiten Avery Dulles stellt – beide wurden auch gemeinsam zu Kardinälen erhoben – erinnert an Scheffczyks Verdienste um die Dogmengeschichte, an seine gemeinsam mit Ziegenaus herausgegebene achtbändige Dogmatik, die ebenfalls historisch aufgebaut ist, und sieht den Schlüssel zu diesem stark geschichtsbewussten Zugang in der 1950 publizierten Dissertation über den Konvertiten Friedrich Leopold zu Stolberg. Stolberg, ursprünglich Sturm und Drang-Dichter, hatte 1807–1816 eine vielbändige ,Geschichte der Religion Jesu Christi‘ erscheinen lassen, mit der von katholischer Seite die Aufklärung überwunden und der Weg zu einem ,romantisch‘ aufgefassten Katholizismus gewiesen wurde.

Manfred Hauke beurteilt die Dissertation als prägend: „Die Beschäftigung mit den Epochen der Aufklärung und Romantik hat Scheffczyk zweifellos geholfen, die verspätete Neuauflage der ,Aufklärung‘ in der Nachkonzilszeit zu überwinden“. Für Harald Seubert war Scheffczyk ein Theologe, der sich in der modernen Welt auskannte, aber nicht von ihr fasziniert war. Die nachkonziliare Krise in Kirche und Theologie erkannte er in ihrem Zusammenhang und beschrieb sie eindrucksvoll. „Die verwirrende Pluralität von Menschenbildern und -orientierungen erfasste er bereits in den sechziger Jahren mit hoher prognostischer Kraft als drohende Gefahr des Relativismus.“

Auch wenn Scheffczyk in seiner vornehmen Art ganz unfähig war, polemisch zu argumentieren, machte er sich mit seinen Klarstellungen nicht beliebt. Ökumene zum Beispiel war für ihn eine sinnlose Übung, „wenn das Ganze aus dem Blick kommt, von dem die getrennten Teile Glieder sind“, von ihm so verstanden, dass das Ganze mehr sei und anderes als die Summe der Teile. So vertrat er gemeinsam mit Papst Benedikt XVI. den Ansatz einer ,Ökumene aus der Wahrheit‘ – unverstanden vom protestantischen und katholischen Mainstream. Unermüdlich forderte er zu Tiefen-Sicht, zur Scheidung der Geister in der theologischen Diskussion auf: Glaubendes Denken hat nur eine Bedeutung für die Welt, „wenn es sich von ihr unterscheidet“. Was auch ohne Christus geschehen könne, sollen jene, die es betreiben, auch konsequent ohne ihn ins Werk setzen. Die trinitarische Gotteslehre Scheffczyks stellt Thomas Marschler vor. Das anspruchsvolle Glaubensgeheimnis der Dreifaltigkeit war für den Kardinal geradezu notwendig, damit der Mensch sich überhaupt Gott nähern kann. Helmut Hoping sichtet die Christologie des schlesischen Theologen, die, wie bereits erwähnt, an der Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann ihre Prägung erhielt. Die Bestreitung der Göttlichkeit und Auferstehung Jesu hat den Marburger Protestanten zum wirkmächtigen Ahnherr einer letztlich nicht-theistischen Theologie gemacht. Hans Küng hat zwar nicht den Mythos-Begriff von ihm übernommen. „Doch reduziert er wie Bultmann die neutestamentlichen Aussagen zur Präexistenz und Göttlichkeit Jesu darauf, die Bedeutsamkeit seiner Person zum Ausdruck zu bringen.“ Demgegenüber versuchten Scheffczyk und Ratzinger den bei Bultmann grundlegenden Irrtum der Scheidung „zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens zu überwinden. Die systematische Theologie kann die historische Rückfrage nach Jesus nicht ignorieren, da Jesus eine Person der Geschichte war. Die Christologie darf sich aber nicht mit der historischen Frage begnügen. Sie hat das Geheimnis seiner Person als des menschgewordenen Sohnes Gottes zu bedenken.“

Scheffczyk hat hier Wichtiges geleistet und sich als ein wahrhaft konstruktiver Lehrer der Glaubens erwiesen, der auch gute Gründe für das leere Grab und für die Begründetheit der ,fides nicaena‘, der Sohn Gottes sei gleichen Wesens mit dem Vater, gefunden hat. Die Gnadentheologie Leo Scheffczyks, der diesem Thema immerhin einen Traktat von mehr als 600 Seiten gewidmet hat, behandelt Ursula Lievenbrück. Seiner Mariologie, die ihn zu einer herausragenden Gestalt im Forschen und Nachdenken über die Mutter Gottes werden ließ, widmet sich Manfred Hauke, der auf diesem Gebiet als sein Nachfolger gelten kann. Neues erfährt man von Veit Neumann, den die Prägung des späteren Kardinals durch die frühe Lektüre der Literatur des Renouveau catholique interessiert. Neumann sieht Auswirkungen auf das theologische Denken, insbesondere das Gnade-Natur-Problem. Schon in seiner Gymnasial-, später in der Seminarzeit hat Scheffczyk systematisch Dostojewski, Langgässer, von le Fort, Wiechert, Claudel, Bernanos, Mauriac, Graham Greene gelesen. Für ihn war Literatur ein wichtiges Mittel, die geistige Verfasstheit der Zeit zu erkennen und zu deuten, so dass er auch angehenden Seelsorgern nahelegte, sich auf diesem Gebiet zu bilden.

Es gibt viele Gründe, sich dem vielfältigen Werk Leo Scheffczyks zu nähern und sich dabei von der dummen Rechts-Links-Einordnung nicht stören zu lassen. Niemand anderer als Karl Rahner ermutigt dazu: „Scheffczyk ist ganz aktuell, und dies in tiefgreifender, gründlicher und inhaltsreicher Auseinandersetzung. Aber er äußert es nicht auf jene Weise, wie es die meisten zeitgenössischen Theologen zu tun pflegen. Er hat seinen traditionellen Stil, aber er steht mitten in der modernen Theologie.“

Ähnlich positive Äußerungen kann der Herausgeber von Karl Lehmann und Gerhard Ludwig Müller aufzeigen. Johannes Nebel kennzeichnet den Stil Scheffczyks als „Selbstzurücknahme im Dienst katholischer Universalität“. Was ein Kritiker Scheffczyks einmal in die Worte fasste: „Scheffczyk hat auf alles eine katholische Antwort“, muss tatsächlich in Zeiten zunehmender Verwirrtheit als Geschenk gesehen werden. Dieser sorgfältig edierte Band ist ein guter Reiseführer zu einer wahren Schatzinsel der Gottesgelehrtheit.

Johannes Nebel (Hrsg.): Kardinal Leo Scheffczyk (1920–2005), Das Vermächtnis seines Denkens für die Gegenwart. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2017, 416 Seiten, ISBN 978-3-7917-2922-0, EUR 44,–

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