Was denken die katholischen Laien? Für den „Synodalen Prozess“, der bereits seit 2021 läuft, wollte sich der Papst ein Bild davon machen, was seine Gläubigen umtreibt. Wenn sich im Oktober die Bischöfe dann zur „Synode zur Synodalität“ in Rom treffen, können Sie auf die Ergebnisse der vorbereitenden regionalen Konsultationsprozesse zurückgreifen - und auch auf Befragungen, die im Zuge des Prozesses durchgeführt worden sind. Eine davon ist kürzlich veröffentlicht worden: die Frauenstudie „ISCW“ (International Survey of Catholic Women), deren Ergebnisse auch das im Herbst 2022 fertiggestellte Instrumentum Laboris für die „kontinentale Phase“ des Synodalen Prozesses beeinflusst haben. Was also hat es mit der einflussreichen Erhebung auf sich?
Die Antworten von Frauen aus 104 Ländern
Entstanden ist die Studie in der University of Newcastle Australia in Absprache und Kooperation mit der Reformbewegung CWS (Catholic Women Speak), unterstützt vom „Catholic Women's Council“ und „Voices of Faith“, zwei weiteren internationalen Frauengruppen. Mithilfe des digitalen Anbieters „REDCap“ wurden in acht verfügbaren Sprachen im Zeitraum vom 8. März 2022 bis 26. April 2022 17200 Antworten von Frauen in 104 Ländern zusammengetragen.
Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die meisten Frauen legen großen Wert auf ihre katholische Identität und verstehen darunter vor allem eine lebendige Gottesbeziehung, ein eucharistisches und am Evangelium orientiertes Leben. Sie engagieren sich gerne in ihren Pfarreien, schildern jedoch auch negative Erfahrungen. Die meisten Katholikinnen stehen der Ökumene offen gegenüber, sind zugleich aber auch besorgt um die Zukunft des Katholizismus, insbesondere aufgrund der Geringschätzung von Frauen. Große Sorgen bereitet den meisten Befragten Klerikalismus und Machtmissbrauch, Rassismus und fehlende Inklusion ausgegrenzter Gruppen – queere Menschen, wiederverheiratete Geschiedene und alleinerziehende Katholiken –, sexueller, körperlicher, emotionaler und spiritueller Missbrauch, fehlende Transparenz und Rechenschaftspflicht der Kirchenleitung und der Umgang mit Missbrauch.
Vor allem über 70-Jährige wollen radikalste Reformen
Interessant ist die genaue Verteilung der Stimmen: Australien, die USA, Großbritannien und Deutschland weisen die größte Beteiligung auf, sodass ihr Einfluss besonders hoch ist. Mehr als die Hälfte aller Ergebnisse stammen von Frauen ab 56 Jahren, wohingegen nur 3,7 Prozent der Beteiligten junge Menschen waren. Sehr aufschlussreich sind auch die Abstimmungen bei Fragen der Notwendigkeit von Reformen, die von 82 Prozent der deutschen Befragten befürwortet werden, dagegen nur von 48 Prozent der Südafrikanerinnen. Deutschland ist auch auf Platz eins bei der Frage nach Frauen in Leitungspositionen (85 Prozent), bei Frauenhomilie (88 Prozent) und Frauenweihe (80 Prozent).
Die Ergebnisse überlappen sich mit denen des Synodalen Wegs, was wenig überrascht. Auffällig ist zudem die demographische Verteilung: Alle reformfreudigen und radikalen Thesen werden am meisten von über 70-jährigen Frauen bejaht. Überraschend ist, dass sich junge Frauen ab 18 Jahren selbst bei Fragen einer genderneutralen Sprache in Liturgie und kirchlichen Dokumenten am seltensten zustimmend äußerten, wohingegen über 70-Jährige diese am stärksten befürworten. Auch im moralischen Bereich setzt sich dieses Schema fort, sodass in Deutschland die Forderung nach einer sakramentalen „Ehe für alle“ ebenso wie die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener oder nach der Gewissensfreiheit bei Sexualität und Fruchtbarkeit die weltweit höchste Zustimmung aufweist. Die demographische Verteilung bleibt auch hier gleich. Der größte Anteil an Zustimmung durch Frauen aus Deutschland ist beim Thema Klerikalismus zu verzeichnen (90 Prozent). Lediglich bei sozialethischen Fragen wird Deutschland von anderen Ländern, wie Irland und den USA, überholt.
Der Studie fehlt wissenschaftliche Neutralität
Angesichts der konkreten Zahlen stellt sich die Frage, wie aussagekräftig eine solche Studie sein kann. Sowohl die enthaltenen historischen Bemerkungen als auch die anschließenden Empfehlungen der Herausgeber zeigen, dass wissenschaftliche Neutralität in einem strengen Sinne eher kein Ziel der Arbeit gewesen sein kann: So wird die zweite feministische Welle in den 1960er Jahren recht unkritisch als Errungenschaft der Frauen rekonstruiert. Das II. Vaticanum wird als unerfüllter Hoffnungsträger präsentiert, da die Frauenthemen männer- und klerikerzentriert in den Blick genommen worden seien.
Der Differenzansatz in Fragen der Geschlechter, der Begriff des weiblichen Genius, die Theologie des Leibes und weitere Aspekte der kirchlichen Lehre werden betrachtet als Zementierung der bisherigen Diskriminierung der Frau. Im gleichen Zuge werden Dokumente wie Mulieris Dignitatem und Ordinatio Sacerdotalis sowie der Katechismus problematisiert und selbst Papst Franziskus aufgrund seines Festhaltens an der bisherigen kirchlichen Lehre kritisiert. All dies wird zusammengefasst mit dem Begriff der „theologischen Barriere“.
Umfrage wenig repräsentativ
Ein weiteres Problem der Studie ist die fehlende Repräsentativität der Befragung, die die Autorinnen auch selbst einräumen. Denn die 17200 eingesandten Antwortbögen stammen eben nur von interessierten Teilnehmerinnen, die – wie sich bereits aus der Altersverteilung erkennen lässt – nur einer sehr speziellen Teilauswahl aller Katholikinnen entsprechen. Abgesehen davon dominieren reiche Länder des Westens, ausgerechnet solche mit einem geringeren Anteil praktizierender Katholikinnen. Überdies stellt sich die Frage, inwiefern die Ausrichtung der befragten Frauen zukunftsfähig ist, wenn die meiste Beteiligung von Frauen im Rentenalter kam und die wenigen jungen Frauen mit den genannten Reformforderungen wenig anfangen können.
Und doch halten sich die Herausgeber mit Empfehlungen auf Basis der Ergebnisse nicht zurück: Frauen sollen gleichberechtigten Zugang zu Führungs- und Entscheidungsfunktionen auf allen Ebenen der Kirchenleitung und auf Synoden erhalten. Das Kirchenrecht soll zu ihren Gunsten verändert werden, um die Frauenhomilie zu ermöglichen. Ferner soll die Frauenweihe eingeführt, die kirchliche Lehre an die Lebenswirklichkeit von Frauen angepasst werden und Gewissensfreiheit in Fragen der sexuellen und „reproduktiven“ Gesundheit an erster Stelle stehen.
Meinungsbild einer westlichen, progressiv orientierten Gruppe
Queere Personen, wiederverheiratete Geschiedene etc. sollen in alle Aspekte kirchlichen Lebens integriert werden. Weniger kontrovers wird empfohlen, Richtlinien zur Beseitigung von Missbrauch jeglicher Art durchzusetzen, Täter bei Zivilbehörden anzuzeigen und Praktiken zu entwickeln, die die Würde und Gleichheit aller Menschen in der Kirche sicherstellen. Es soll fortlaufend Schulungen und Supervision für Kleriker, pastorale Mitarbeiter und Leitungsträger geben. Korruption und wirtschaftliche Misswirtschaft sollen beseitigt werden durch transparente und rechenschaftspflichtige Entscheidungs- und Verwaltungsprozesse. Ein synodales Klima soll auf allen Ebenen gefördert und die katholische Soziallehre konsequenter beachtet werden.
Insgesamt zeichnet die ISCW-Studie ein Meinungsbild einer bestimmten, vornehmlich westlichen, progressiv orientierten Gruppe. Auch wenn viele Forderungen dieser Gruppe lautstark vertreten werden - man kann ihnen aus kirchlicher Sicht nicht nachgeben. Gewiss sind viele Forderungen hilfreich – wie diejenige nach dem Abbau von Klerikalismus oder der Beseitigung von allen Elementen, die Missbrauch jeglicher Art begünstigen. Die katholische Sexualmoral oder das Weihesakrament sowie viele andere Aspekte können jedoch nicht verändert werden, schon gar nicht per Mehrheitsentscheid befragter Katholikinnen.
Die ISCW-Studie bietet, auch dank der Darstellung der Unterschiede zwischen Altersgruppen und Ländern, interessante Einblicke. Sie ersetzt jedoch nicht das echte Hören auf den sensus fidei fidelium, mit dem die Studienergebnisse keinesfalls unkritisch gleichgesetzt werden sollten – zumal diese Ergebnisse im Wesentlichen lediglich die Einstellungen von Frauen aus den missionsbedürftigsten Ländern der heutigen Zeit transportieren.
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