Alles, was in den letzten Jahren in Osteuropa geschehen ist, wäre ohne diesen Papst nicht möglich gewesen“ – Michail Gorbatschow, der Mann, der als Generalsekretär der kommunistischen Partei der Sowjetunion durch seine Politik der Öffnung den Zusammenbruch des „Ostblocks“ zuließ, musste es wohl wissen. Tatsächlich wird dem polnischen Pontifex Johannes Paul II. nicht nur in Gorbatschows Memoiren ein wesentlicher Einfluss auf die Demokratisierung Osteuropas attestiert – nach der Wende schenkte ihm die deutsche Hauptstadt gar ein Stück der Berliner Mauer als Dank für seinen Beitrag zum Fall des Eisernen Vorhangs. Und heute? Der Titel des „eiligen Vaters“ wäre angesichts vergleichbarer Reisetätigkeit für Papst Franziskus nicht weniger angebracht als für seinen Vorvorgänger. Doch welche Wirkung entfaltet diese Reisetätigkeit noch?
Papstreisen begannen mit Paul VI.
Eine ganz einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht, so viel wurde unlängst bei einer Onlineveranstaltung der Katholischen Akademie in Berlin mit dem Titel „Weit mehr als Symbolpolitik. Päpstliche Friedensreisen und vatikanische Diplomatie“ deutlich. Im Live-Interview mit dem Direktor der Akademie, Joachim Hake, gelang Ludwig Ring-Eifel ein spannender Überblick über das gestern, heute und morgen der außenpolitischen Aktivitäten des Heiligen Stuhls.
Eine interessante Beobachtung stellte Ring-Eifel, der als langjähriger Chefredakteur der katholischen Nachrichtenagentur (KNA) und immer noch aktiver Vatikan-Korrespondent der KNA die letzten 25 Jahre päpstlicher Außenpolitik aus eigener Anschauung überblickt, an den Anfang: Erst Paul VI. begann mit der päpstlichen Reisediplomatie – und zwar nachdem er die Tiara, die traditionelle päpstliche Kopfbedeckung und Zeichen „dreifacher Macht“ ins Museum gestellt hatte.
Die demütige Trias Pauls VI.
Nach Ring-Eifels Lesart entspreche dies einer bedeutsamen Verschiebung der Selbstwahrnehmung: War dem Papst bei der Krönung zuvor sinngemäß zugesprochen worden, er sei der Vater der Könige, das Haupt der Welt, und der Statthalter Jesu Christi, – also einer, der bestenfalls Audienzen gewährt – so sei diese dreifache Rolle mit Paul VI. in die moderne Zeit übersetzt worden: Als Staatsoberhaupt mit Ehrenrang, Bischof von Rom, und Oberhaupt der größten Religionsgemeinschaft der Erde. Eine demütigere Trias, die einer brückenbauenden Funktion des Papstes gerechter werden sollte.
Was aber lässt sich nun erreichen mit dieser dreifachen Autorität, der ja keine konkrete weltliche Macht zur Seite gestellt ist? Ein Beispiel für eine Durchsetzung vatikanischer Interessen, die es so durchaus gebe – keineswegs sei der Papst immer nur als neutraler Anwalt des Friedens unterwegs – sah Ring-Eifel inFranziskus‘ Bahrein-Reise im vergangenen November. Dort konnte Franziskus einen großen Gottesdienst in einem Fußballstadion abhalten – für die christlichen Bahreiner ein „Riesenschub an kollektiver Selbstvergewisserung, fast eine Befreiung“, so Ring-Eifel. Schließlich sei die öffentliche Zurschaustellung einer anderen Religion als des Islams dort verboten. Generell nutze der Papst die Öffentlichkeit seiner Reisen also durchaus erfolgreich für derartige „parteiische Forderungen“ zugunsten der eigenen Herde.
Nachhilfe für den Papst in der Kommunikation nach außen
Anders sehe es mit der Effektivität der päpstlichen Friedensmissionen aus. Ob etwa Franziskus‘ Bemühungen um den Frieden im Südsudan tatsächlich etwas verändert hätten, werde man in ein paar Jahren sehen, Anlass zum Optimismus gebe es aber trotz der Einleitung von Friedensverhandlungen unter der Ägide der Gemeinschaft San Egidio nach Einschätzung Ring-Eifels eher nicht. Der Papst hatte bereits vor seiner Afrikareise im Februar die mächtigsten politischen Rivalen im Südsudan bei sich im Vatikan empfangen – und ihnen, „Warlords, Mördern mit Blut an den Händen“, die Füße geküsst. Für Franziskus eine Eingebung des Heiligen Geistes, für Ring-Eifel ein Symbol der Begrenztheit der päpstlichen Möglichkeiten.
Noch weniger Einfluss habe der Papst mit derartigen Mitteln freilich auf Auseinandersetzungen wie den Krieg in der Ukraine, oder den von Franziskus selbst postulierten „dritten Weltkrieg in Teilen“. Franziskus sei trotz der vielleicht hellsichtigen Analyse bei diesen Konflikten, in die Großmächte verwickelt seien, hilflos. Der päpstliche Grundimpetus, die pazifistische, nichtverurteilende Perspektive offenzuhalten, sei zwar nicht am Ende, werde aber mittlerweile vom vatikanischen Außenminister, Paul Kardinal Gallagher, und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin etwas modifiziert – Gallagher und Parolin hätten Franziskus „an der Hand genommen“ und insbesondere die Sprache des Vatikans an die Realität von Angreifer und Angegriffenem angepasst. Franziskus habe lernen müssen, weniger aus dem Bauch heraus zu agieren, und sich kontrollierter zu äußern – um zumindest niemanden zu verletzen.
Am meisten Erfolg verspricht interreligiöser Dialog
Kann päpstliche Diplomatie für den Weltfrieden also noch etwas erreichen? Wenn, dann am ehesten auf der Ebene des interreligiösen Dialogs, und dort in kleinen Schritten auf der Basis persönlicher Beziehungen, das legten Ring-Eifels Ausführungen nahe. Die Heimat des Papstes, Buenos Aires, sei auch ein religiöser Schmelztiegel. Dies komme dem Papst nun zugute, der schon seit langem Freundschaften mit wichtigen Persönlichkeiten anderer Religionen pflege. So trete er mittlerweile „fast ständig“ zusammen mit dem einflussreichen sunnitischen Imam der al-Azhar-Moschee in Kairo, Ahmed Al-Tayyib, auf; die von diesem und Franziskus unterzeichnete Erklärung von Abu Dhabi sei eine „Magna Carta des interreligiösen Dialogs“ geworden.
Franziskus‘ Engagement habe es so auch ermöglicht, in Abu Dhabi zum ersten Mal führende Vertreter der Sunnitischen und Schiitischen Muslime dazu zu bewegen, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Was auf den ersten Blick nur wie ein kleiner Schritt aussehe, sei für die arabischen Beobachter „ziemlich sensationell“ gewesen. So blieb die Botschaft stehen, die Joachim Hake, dem Titel der Veranstaltung zum Trotz, immer wieder anklingen ließ: Manchmal sei auch „nur Symbolpolitik“ schon eine ganze Menge.
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