Podiumsdiskussion

Schlachtfeld Sexualethik

Menschenrechte gegen Katechismus: Eine Podiumsdiskussion über die Sexualmoral des Synodalen Weges fördert erneut weltanschauliche Gräben zutage.
Protest während der vierten Synodalversammlung
Foto: Julia Steinbrecht (KNA) | Der abgelehnte Grundtext zum „Leben in gelingenden Beziehungen“ markiert das Epizentrum der Auseinandersetzung zwischen katholischer Lehre und dem Zeitgeist.

Um die 40 Zuhörer waren der Einladung der Katholischen Studierenden- und Hochschulgemeinde (KSHG) Münster zur Podiumsdiskussion „Noch Hoffnung auf Veränderung“ gefolgt: Ein Streitgespräch über den abgelehnten Grundtext des Synodalforums IV– Leben in gelingenden Beziehungen. Noch einmal doppelt so viele schalteten sich über Zoom dazu. Auf dem Podium: Birgit Mock, Vorsitzende des IV. Synodalforums, Weihbischof Stephan Zekorn und Theologin Margarete Strauss. Die Diskussion verlief respektvoll, auch dank der vorbildlichen Vorbereitung durch Ehrenamtliche der KSHG: sachliche Fragen, frei von Manipulation, die den Referenten im Vorhinein vorgelegt worden waren, ebneten den Weg für Kommunikation.

Immense anthropologische Armut

Den eindrucksvollsten Beitrag leistete hier der Weihbischof: Thematisch exzellent vorbereitet, ließ er es nicht an menschlicher Wärme vermissen. Er legte seine Kritik dar, ohne diese ad personam gegen Mock zu wenden. Mehrfach suchte er, ihre Sichtweise „zu retten“, indem er verbessernd in Äußerungen, die er als problematisch empfand, eingriff: „Ich glaube nicht, dass Sie das, was Sie da sagen, wirklich glauben.“ Dieser nicht paternalistisch, sondern sympathisch vorgebrachte Einwand trug ihm nicht nur Lacher ein, er zeigte zugewandte Offenheit.

Der Grundtext sei durchgehend von der Gendertheorie her gestaltet, die grundsätzliche Komplementarität der Geschlechter werde nivelliert, so Zekorn. Er attestierte dem Text eine immense anthropologische Armut: Er wies hin auf den reduzierenden Blick auf das Kind als „Ausdrucksform der Sexualität“, zeigte sich verwundert über die Ausklammerung der Familie. Die Verkürzung der Ehe auf eine zeitgebundene Struktur zur Sicherstellung von Versorgungsansprüchen machte ihn sichtlich betroffen. Der Reichtum der biblischen und kirchlichen Anthropologie werde nicht deutlich, der Text widerspreche ihr.

Gespräch mit dem aktuellen Lehramt fehlt

Die zugrunde liegende Exegese sei gemäß aktueller Forschung teils schlicht falsch. Zekorn bedauerte, dass der Text „nicht das Gespräch mit dem aktuellen Lehramt“ suche: Amoris Laetitia etwa würde kaum rezipiert. Mit frischem Blick wendete Zekorn den Vorwurf mangelnder Komplexität und Menschenfreundlichkeit, den Grundtext IV gegenüber der katholischen Sexualethik erhebt, gegen den Text selbst.

„Zu flach“ nannte auch Margarete Strauss den Zugang des Textes. Ihre dichte, akademische Ausdrucksweise war nicht immer leicht verständlich, machte aber die Tiefe der Problematik deutlich. Sie führte aus, was Zekorn nur andeutete: Der Text atme Existenzialismus – der Mensch müsse sich hier selbst Sinn geben, statt eine vorgefundene Leiblichkeit annehmen zu müssen; er spiegle das Weltbild Foucaults wider, Wahrheit werde als Fiktion betrachtet, Wahrheitsanspruch durch eine „Hermeneutik des Verdachts“ als Mittel zum Machterhalt denunziert.

Schlachtfeld zwischen Liebe und Konkupiszenz

Diese Tiefe überforderte zum Teil: In der späteren Fragerunde behauptete ein Theologe vehement, ihr Offenbarungsverständnis setze Schrift und Offenbarung gleich – ein unsinniger Vorwurf. Auch in Sachen Fairness der singuläre Tiefpunkt des Abends. Strauss sah im Text einen kasuistischen Blick auf Sexualität, belegte diese Behauptung aber nicht.

Die katholische Sexualmoral sei zeitgemäß, es sei aber „bleibende Aufgabe der Pastoral“, sie verständlich zu machen. Die positive Bewertung von Sexualität und Geschlechterkomplementarität in der Genesis hob Strauss hervor. Sie verwies auf die Schönheit dieser Haltung, unterschlug aber auch den Sündenfall nicht, der das Herz zum „Schlachtfeld zwischen Liebe und Konkupiszenz“ gemacht habe.

Der Schöpfungsmythos als Schaffung von Räumen

Mock entzog sich dieser Sichtweise und legte dar, sie sehe im Schöpfungsmythos die Schaffung von „Räumen“, die zwischen komplementären Polen – Licht und Dunkelheit, Land und Meer, Mann und Frau – Platz böten für das, was sich „dazwischen vorfinde“. Gegenüber Strauss‘ Wissenschaftlichkeit wirkte diese eher dem Konzept von Yin und Yang entlehnte Aussage notgedrungen etwas nebulös, zumal Mock überging, dass Mann und Frau sich vereinigen können.

Mock widersprach Strauss‘ Analyse, indem sie die positive Bewertung von Sexualität als theologische Neuheit darstellte. Um dies zu belegen, setzte sie die augustinische Haltung zur Sexualität umstandslos mit der Lehre der Kirche gleich, freilich ohne Konkretisierung oder Kontextualisierung.

MHG Studie entlastet Sexualethik

Mock betonte die Intention des Synodalen Weges, „systemische Ursachen des Missbrauchs“ zu bekämpfen. „Systemischer Wandel“ sei notwendig, um Missbrauch zu verhindern, eine „Erneuerung der Sexualethik“ der Auftrag, der durch die MHG-Studie an die Kirche ergangen sei.

Weihbischof Zekorn widersprach anhand der Studie selbst: Die wenigen Abschnitte, die sich mit der Sexualethik der Kirche befassten, enthielten abgesehen von der Forderung, dass Homosexualität kein Weihehindernis darstellen solle, keine Kritik an der Sexualethik; die Studie entlaste sogar explizit den Zölibat von dem Verdacht, Missbrauch zu begünstigen. Auch Strauss fragte nach Belegen dafür, wie eine Sexualethik, die de facto seit über 50 Jahren keine Rolle mehr spiele, Missbrauch begünstigen solle.

Der Katechismus, nicht mehr zeitgemäß

Mock bezeichnete den Katechismus als nicht zeitgemäß, seine Aussagen zu Homosexualität als Menschenrechtsverletzung. Ihr Anliegen, die Integration sich als trans- oder intersexuell „vorfindender“ Personen, machte sie glaubwürdig deutlich: Ihnen solle vermittelt werden, dass sie angenommen und geliebt seien. Darin pflichteten ihr sowohl Strauss als auch Zekorn unumwunden bei.

Diese Einmütigkeit kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Sache selbst keinerlei Bezug zwischen den Positionen besteht: Zekorn machte deutlich, dass es ein großer Unterschied sei, ob man sicherstellen wolle, dass sich trans- und intersexuelle Personen in der Kirche angenommen fühlten, oder ob man die Wirklichkeit ausschließlich von ihrem Erleben her konstruiere. Hier legte er einerseits den unzureichenden intellektuellen Reflexionsgrad der vom Synodalforum IV angestrebten „erneuerten Sexualethik“ offen. Vor allem aber brachte er damit abschließend den weltanschaulichen Graben präzise auf den Punkt.

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Anna Diouf Katechismus Menschenrechtsverletzungen Sexualethik Zölibat

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