In meinem Beitrag „Liturgiereform: Und nun“ habe ich versucht, einen kleinen Einblick in die Geschichte der Reform zu geben. Heute gehe ich auf die Experten dieser Reform ein: Keiner bezweifelt die Kompetenz dieser Gelehrten, ihre Rechtgläubigkeit und ihren guten Willen. Und jeder Traditionalist, der „Freimaurer“ schreit, stellt damit nur fest, dass er nicht seriös diskutieren kann. Aber, und das ist ein gewichtiges „aber“, die Entstehung des neuen Messordo und die ganze Reform schon seit der ersten streng geheimen Kommission Pius XII.' von 1948 und den beinahe konspirativen Treffen deutscher, französischer und belgischer liturgisch bewegter Wissenschaftler in den 50er Jahren bedarf dringender Aufarbeitung.
Kreuzverehrung ein Schatten ihrer selbst
Daraus muss gleichermaßen eine Reform der Reform folgen, wie Benedikt sie in „Summorum pontificum“ indirekt vorschlägt, im Sinne einer gegenseitigen Bereicherung beider Formen des Ritus. Die wenigen Sequenzen und Präfationen im Missale von 1962 sind nur ein Beispiel dafür. Ein anderes ist der Mangel an Fürbitten, der freilich mehr nach Art des Missales der Ordinariate der konvertierten Anglikaner zu beheben wäre. Auch die Kreuzverehrung ist nur noch ein Schatten ihrer selbst vor wie nach der Reform von 1955.
Man darf ebenso nicht vergessen, dass weder das Missale von 1962 noch von 1570 vom Himmel gefallen ist und den Höhepunkt der römischen Liturgie darstellt. Beide waren unvollkommen und hatten 1962 sicher Reformbedarf nötig, auch wenn Ewiggestrige meinen, einen künstlichen, jeder Änderung enthobenen Ritus besitzen zu wollen. Aber wo den Zeitpunkt der Versteinerung setzen? Das ist Willkür!
Wo ist der römische Kanon? Wo der Volkschoral?
Dass aber die nachkonziliaren Reformen die Wünsche des Konzils und die sinnvolle Entwicklung der Liturgie nur mäßig erfüllen, dürfte angesichts dessen, was daraus alles an Missbräuchen erwachsen ist oder aufgrund der vielen optionalen Dinge und Auswahlmöglichkeiten leider, aber legal, ausfallen kann, klar sein. Wo ist der römische Kanon? Wo der Volkschoral? Wo der Gesang von Lesungen und Evangelium? Fragen über Fragen, auf die es nicht selten nur ideologische Antworten gibt.
Eine Ideologie, die aber auch erst auf der Basis von vier Jahrhunderten Stillstand erwachsen konnte. Die völlige Entrückung des Missales von jeder Entwicklung seit 1570 hat einen Damm geschaffen, der seit 1965 gebrochen ist, mit Ergebnissen wie den Ringbuchmessen und der umstrittenen modernen Monstranz wie der „Linzer Grillzange“. So etwas war 1250 noch undenkbar. Stillstand aber auch. Eine Vereinheitlichung mit Abschaffung oder Romanisierung fast aller Eigenriten erst recht. Daran scheitert auch die Mär von der „Messe aller Zeiten“ der Piusbruderschaft, die bei – nicht mal besonders genauer Betrachtung – eine dreiste Lüge ist.
Der Autor, 18, studiert Biochemie an der Universität Köln
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