Im Grunde saßen die mit Patriarch Kyrill verbundenen orthodoxen Bischöfe in der Ukraine bereits seit 2014 zwischen allen Stühlen: Seit Putin die Krim annektierte und im Donbass kämpfen ließ, galt die „Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats“ (UOK-MP) vielen als Kirche des Aggressors. Nicht zu Unrecht: Die Loyalität ihrer Bischöfe zu Kyrill sowie Kyrills zu Putin ließ keinen anderen Schluss zu. Schon damals konnte niemand gleichzeitig dem Moskauer Patriarchat und dem eigenen Volk treu bleiben. Einen Ausweg aus diesem Dilemma hatte der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, gewiesen als er dazu einlud, die getrennten Orthodoxien in der Ukraine sollten sich vereinen und gemeinsam eine neue, autokephale (also souveräne) ukrainische Orthodoxie bilden.
Debatte um Verbot
Am Gängelband Moskaus verweigerte der Kiewer Metropolit Onufrij diesen Weg. Deshalb blieb die Orthodoxie in der Ukraine gespalten und Onufrijs UOK-MP findet nun keine Exit-Strategie. Im Mai erklärte sie sich halbherzig selbst für „autonom“, was weder das Moskauer Patriarchat noch das ukrainische Volk begeistert. Der ekklesiologische und kirchenrechtliche Status dieser Kirche ist völlig diffus, denn in der Orthodoxie nimmt sich niemand selbst die Unabhängigkeit; aber weder Moskau noch Konstantinopel haben sie der UOK-MP gewährt.
Seit Beginn der russischen Invasion debattiert die ukrainische Politik ein Verbot dieser von Moskau abhängigen Kirche. Nun fordert Präsident Selenskyj ein Gesetz, das es „unmöglich macht, in der Ukraine religiöse Organisationen zu betreiben, die mit Einflusszentren in der Russischen Föderation verbunden sind“. Das zielt auf die Existenz der UOK-MP.
Religionsfreiheit in Gefahr
Diese politische Initiative ist allzu verständlich. Nicht nur, weil Kyrill wie ein Chefideologe Putins agiert und viele orthodoxe Bischöfe in der Ukraine die Ideologie der „russischen Welt“ jahrelang propagierten. Auch nicht nur, weil die russischen Invasoren in den besetzten Gebieten die UOK-MP gezielt fördern, während sie zugleich Jagd auf Würdenträger anderer Konfessionen machen. Verständlich ist der politische Versuch, der UOK-MP gesetzlich den Garaus zu machen vor allem deshalb, weil sich die Ukraine in einem Überlebenskampf befindet und jede Form von Kollaboration mit dem Feind im Krieg tatsächlich ein Verbrechen ist.
Dennoch ist die Idee, eine große Kirche des Landes gesetzlich zu verbieten, fragwürdig: Verletzt würde damit die Religionsfreiheit unbescholtener Priester, Mönche und vor allem Gläubiger. Putin und sein Kombattant Kyrill würden sich bestätigt fühlen, hatten sie doch seit Jahren die Lüge verbreitet, die Ukraine missachte die Religionsfreiheit russischsprachiger Orthodoxer. Zweifellos muss der ukrainische Staat echte Fälle von Kollaboration strafrechtlich ahnden. Wer den Besatzungstruppen militärisch oder logistisch hilft, wer die eigenen Bürger oder Soldaten bei den Okkupanten denunziert, der muss bestraft werden und kann sich nicht hinter Klostermauern oder in Bischofsresidenzen verstecken. Vor strafrechtlicher Verfolgung schützt weder Mönchskutte noch Bischofsrobe. Die UOK-MP hat zwei ihrer Bischöfe höchst vorsorglich in den Ruhestand versetzt; andere setzten sich bereits nach Russland ab.
Es wird zweifellos zu weiteren Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Anklagen kommen. Doch von einem Verbot der ganzen UOK-MP sollte die Politik die Finger lassen. Eine solche Intervention des Staates in kirchliche Belange mag in Russland und anderen Diktaturen an der Tagesordnung sein. Ein Rechtsstaat folgt anderen Maßstäben.
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