Bonn

Nicht jammern, sondern klagen?

Die Diskussion um eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit wird in jüngerer Zeit wieder verstärkt geführt. Eine Debatte an der Universität Bonn zeigt, dass es dabei nicht nur um rechtliche Fragen geht.
Ein Hammer liegt am Platz des Richters in einem Gerichtssaal
Foto: Ronald Wittek (dpa) | In Deutschland wird derzeit verstärkt über die Einfürhung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit diskutiert.

Auf Einladung der Joseph-Höffner-Gesellschaft hat Ansgar Hense am Dienstag die Gedächtnisvorlesung im Bonner Uni-Club gehalten. Der Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands sprach zur Etablierung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Thema „Rechtsschutz in der katholischen Kirche – eine unendliche Geschichte?“

Mit der Neuauflage des Themas kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit griff zur Frühjahrsvollversammlung die Bischofskonferenz ein Thema auf, das seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil immer wieder angegangen wurde. Hense zitierte darum auch eine Äußerung Hans Mayers, ehemaliger Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken im Deutschlandfunk: „In einem Punkt hätte ich nachdrücklicher sein können: Das ist die kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da mangelt es bis heute. Und die große Schwierigkeit der Kirche auch im Umgang mit den Missbrauchsfällen liegt auch daran, dass sie keine entsprechende verwaltungsgerichtliche Tradition hat.“

Im Kern greift das Thema einen Punkt des „Synodalen Prozesses“ auf, denn es geht um die Kontrolle geistlicher Machtausübung, also darum, ob die hierarchischen Instanzen das eigene Recht gegen sich selbst gelten lassen. Nach den staatskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen seien kircheneigene Vorgänge nicht a priori der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen, sondern kommen vielmehr im Sinne der Subsidiarität den staatlichen Gerichten durchaus der Überprüfung zu, um die Einhaltung elementarer Rechtsgrundsätze sicherzustellen.

Vorbild Datenschutzgerichte?

Als Beispiel für verwaltungsgerichtliche Instanzen im kirchlichen Raum könne laut Hense die Errichtung eines Interdiözesanen Datenschutzgerichts im Rahmen des kirchlichen Datenschutzgesetzes gelten, das eine eigene Gerichtsbarkeit etablierte, die von der Apostolischen Signatur genehmigt wurde. Hense sieht darin eine Art Initiationsakt kirchlicher Verwaltungsgerichtsbarkeit durch den Heiligen Stuhl.

Im Rahmen der Würzburger Synode wurde unter dem Postulat „innerkirchlichen Rechtsschutzes“ proklamiert, dass innerhalb der Kirche der gleiche Rechtsstandard zu herrschen habe wie in der staatlichen Rechtssphäre, die Grundrechte der Gläubigen sollten einklagbar werden. Auch nur der Anschein von Willkür und Missachtung des Kirchenrechts sollte beseitigt werden. Wenn während des Zweiten Vatikanischen Konzils noch weitgehend Konsens im Episkopat herrschte, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit einzurichten, wurde die Etablierung einer solchen lediglich auf weltkirchlicher Ebene mit der Erweiterung der Apostolischen Signatur vollzogen. Der Codex des kanonischen Rechts von 1983 enthält keine spezielle Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Bistümer und Kirchenprovinzen. Das Verwaltungsgericht in Rom, die Apostolische Signatur, sei fern, so Hense, Rechtssicherheit schmelze angesichts der Wegstrecke des hierarchischen Rekurses dahin.

Hense führte aus, dass Ortsbischöfe und Bischofskonferenzen selbstständig Verwaltungsgerichte einsetzen könnten. Wünschenswert sei aber eine kodikarische Absicherung, die teilkirchliches Verwaltungsverfahrensrecht einbinden ließe.

Ekklesiologische Fragen rund um das Verwaltungsrecht

Gerade angesichts der Diskussionen um Kirchenverwaltungsgerichte fällt ins Auge, dass diese ekklesiologische Fragen aufwerfen. Hense empfiehlt eine mehrperspektivische Betrachtung, die auch fremdinitiierter Überprüfung der Rechtstreue der Bischöfe Positives abgewänne: Denn nicht ein Gegenüber, sondern ein Miteinander sollte die Betrachtungsweise im Unterschied zur staatlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit sein: Kirchliche Gerichtsbarkeit ist dabei nicht monokratisch wie jene des Staats, der Rechtsetzung, Verwaltung und Gericht streng trennt, sondern „finalisiert‘, das ewige Heil und der Glaube sind per se die schützenswerten Güter. Die Überprüfung auf Kirchenrechtskonformität böte somit auch ein Entlastungspotenzial für die Bischöfe. Grundsätzlich könne man sagen, dass die Überprüfung dem Schutz des von Papst und Bischöfen erlassenen Kirchenrechts dient, aber schon bei der Frage des Sakramentenrechts oder der Erteilung der Lehrbefugnisse gerät man an Grenzen, die schon in den 1970er Jahren hart umkämpften waren. Kann man Sakramente einklagen? Oder die Lehrerlaubnis erstreiten? Erfahrene Verwaltungsrechtswissenschaftler der staatlichen Sphäre würden hier beruhigen. Aber gälte dies auch für eine kirchliche gerichtliche Einrichtung, die ihre Sphäre über den Weg neuer Rechtsschöpfung durch Rechtsprechung ausweiteten und so das Bischofsamt entleerten, fragen Hörer der Vorlesung.

Neben diesen ekklesiologischen Erwägungen ist Hense zufolge ein Punkt von wichtiger staatskirchenrechtlicher Bedeutung: Die Plausibilität kirchlichen Selbstverständnisses, die gegenüber dem Staat formuliert und rechtlich eingelöst werden muss.

Ob und wie eine künftige kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit aussehen mag, ist daher angesichts der Dysfunktionalität bischöflicher Behörden in den letzten Jahrzehnten von Bedeutung für die Zukunft der Kirche in Deutschland, denn dass das Vertrauen in das kirchliche Recht und seine konsequente Umsetzung erschüttert ist, steht außer Frage. Ansgar Henses Beitrag im Rahmen der Höffner-Vorlesung an der Universität Bonn gibt viele Anstöße, die hoffentlich bald auch publiziert werden.

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