Die Religionsfreiheit scheint nach wie vor ein Kernanliegen der EU-Menschenrechtspolitik zu sein. Doch die Akzente verschieben sich spürbar – zu Ungunsten der Glaubensgemeinschaften. Dieser Trend hat sich bereits bei der Ernennung des neuen EU-Sonderbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frans van Daele, abgezeichnet: Einst wurde das Amt erfunden, weil die EU den verfolgten Christen und Jesiden im Irak zu Hilfe eilen wollte. Im Vorjahr nun gab die EU-Kommission ihrem Sonderbeauftragten mit auf den Weg, er solle „sicherstellen, dass die Rechte aller Glaubensrichtungen und Weltanschauungen geachtet werden“, solle interkulturelle und interreligiöse Dialoge fördern und „Maßnahmen zur gezielten Deradikalisierung und Prävention von Extremismus aufgrund der Religion oder Weltanschauung“ einführen. Hier wird Religionsfreiheit zur bloßen Gewissens- und Meinungsfreiheit degradiert. Zudem wird Religion unter den Verdacht gestellt, Extremismus und Radikalisierung zu fördern.
Religionsfreiheit betrifft nicht nur das Individuum
Beide Trends finden sich auch im Menschenrechtsbericht des Europäischen Parlaments, der in der Vorwoche verabschiedet wurde. Da mutiert Religionsfreiheit zum „Recht, theistische, agnostische oder atheistische Ansichten zu vertreten, die Religion zu wechseln oder aufzugeben und den eigenen Glauben öffentlich zu bekunden“. Gewiss ist „die Freiheit, die eigene Religion zu wählen, zu glauben oder nicht zu glauben, ein grundlegendes Menschenrecht“, wie es in dem Text heißt. Doch das ist bestenfalls die individuelle Seite der Religionsfreiheit, die auch eine gemeinschaftliche Seite hat.
Viele Formulierungen zeigen eine dramatische Akzentverschiebung, etwa wenn zwar Verletzungen des Rechts, „sich als Atheist oder Agnostiker zu identifizieren“ angeprangert, die verfolgten Christen aber mit keinem Wort erwähnt werden. Obgleich die Zahl der diskriminierten und verfolgten Christen so dramatisch ist, dass sie auch dem säkularen Blick auffallen könnte, werden nur ganz allgemein „Gewalt und Sündenbockkampagnen gegen religiöse Minderheiten“ kritisiert. Betroffen seien davon auch „viele Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften sowie Bevölkerungsgruppen, die Atheisten, Humanisten oder Agnostiker sind oder sich keiner Religion zurechnen“.
EU-Parlament klammert Christen bei Verfolgungsopfern aus
Das Europäische Parlament zeigt sich besorgt, dass „nicht-religiöse, säkulare und humanistische Organisationen in mehreren Ländern zunehmend mit Verfolgung, darunter beispiellosen Wellen von Aufstachelung zu Gewalt gegen sie, Hass und Tötungen, konfrontiert sind“. Das Wort „Kirche“ findet sich im Text gar nicht. Stattdessen zeigt sich der Bericht besorgt „über den Missbrauch und die Instrumentalisierung von Religion zur Befeuerung von Intoleranz oder der Untergrabung von Menschenrechten“.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Selbstverständlich muss die EU die Meinungs- und Gewissensfreiheit aller, also auch der Atheisten, verteidigen. Klar ist auch, dass in vielen Religionen ein Unruhepotenzial steckt, das zu Hass, Gewalt und Intoleranz missbraucht wird. Dennoch darf man von einem Menschenrechtsbericht des Europäischen Parlaments erwarten, dass er die vielfältigen Verletzungen der Religionsfreiheit in der Welt in den Blick nimmt und dabei Täter wie Opfer beim Namen nennt. Es sind weltweit vor allem Christen, die gehindert werden, ihren Glauben „allein oder in Gemeinschaft, mit anderen in der Öffentlichkeit oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollzug eines Ritus zu bekunden“, um Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu bemühen.
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