Als vor wenigen Tagen ein meist junges Publikum die Mariahilfkirche in München füllte, um des hundertsten Geburtstags von Luigi Giussani zu gedenken, feierte man den Gründer der Bewegung „Comunione e Liberazione“ mit einem Konzert: Das Orchester führte ein Violinkonzert von Ludwig von Beethoven und die „Unvollendete“ von Franz Schubert auf. Die Nachwuchsmusiker kamen aus Italien, Deutschland und anderen Ländern, der Geist Giussanis hatte sie schon vor Jahren zur Orchesterakademie der „International Music Friendship“ zusammengeführt. Ein Zufall war das nicht, dass jetzt klassische Musik in München den hundertsten Geburtstag des italienischen Priesters umrahmte. Der Dirigent Riccardo Muti hatte schon zum achtzigsten Geburtstag von Giussani geschrieben: „Danke für das, was du der Musik gegeben hast, indem du sie so vielen jungen Menschen als Erfahrung gezeigt hast, die am meisten das Geheimnis vermittelt, als den Weg zum Streben nach Glück.“
So lautet denn auch auf der deutschen Homepage von „Comunione e Liberazione“ (https://de.clonloine.org/don-giussani) die Überschrift auf der Seite zu Giussani: „Er suchte nach der Schönheit und fand Christus“. Das klingt wie das Motto einer poetischen Seele, die in ihrem Kämmerlein eine spirituelle Entdeckung macht. Dass Giussani Zehntausende von Jugendlichen mitgerissen hat, seine Anhänger heute bei Kulturfesten Messehallen füllen und die Bewegung noch heute große Gotteshäuser füllen kann, passt nicht ganz zum Bild des einsamen Gottessuchers. Indem er, der jetzt am 15. Oktober hundert Jahre alt geworden wäre, als Priester und Lehrer seinen Schülern das Christentum als Begegnung mit etwas Schönem und als ein Ereignis vorschlug, das jedem Einzelnen die Antwort auf die tiefsten Sehnsüchte des Herzens nach Glück und Liebe gibt, traf er den Nerv der jungen Leute. Dass klassische Musik und die großen Werke der Literatur (wie auch der gepflegte gregorianische Gesang bei liturgischen Feiern) bis heute die „Begleitmusik“ der Bewegung „Comunione e Liberazione“ sind, hat genau darin seinen Grund.
Als Sohn eines sozialistischen Zeichners und Holzschnitzers und einer katholischen Arbeiterin war der junge Giussani mit elf Jahren in das Knabenseminar der Diözese Mailand eingetreten und entwickelte eine Leidenschaft für die Literatur, vor allem für die Werke Giacomo Leopardis. Als er in einer Schulstunde über den Prolog des Johannes-Evangeliums den Lehrer sagen hörte, dass mit der Menschwerdung Gottes nicht eine platonische Idee, sondern die Schönheit, die Gerechtigkeit, die Liebe und die Wahrheit in Jesus Christus Fleisch geworden seien, hatte er die Intuition, dass jenes Flehen um ein erlösendes Ereignis, dem Leopardi in seinem Hymnus „An die Geliebte“ Ausdruck verlieh, sich bereits in der Fleischwerdung Gottes erfüllt hatte. „Wenn die Schönheit der Widerschein der Wahrheit ist, dann ist der Geschmack, die Ästhetik, der ästhetische Geschmack die Art und Weise, wie der Mensch die Wahrheit wahrnimmt“, sollte Giussani später schreiben.
Die gleiche Erfahrungen von Giussani und Ratzinger
In den Jahren als Lehrer am Mailänder Berchet-Gymnasium 1954 bis 1967 merkte er, dass auch seine Schüler, obwohl noch in einer katholischen Kultur groß geworden, sich immer mehr von einem Leben aus dem Glauben und einer inneren Nähe zur Kirche entfernten. Jene Trennung von Glauben und Leben, der zunehmende Konflikt zwischen Zeitgeist und Tradition und die Verkehrung der Moral in einen reinen Moralismus hatte zur selben Zeit der junge Kaplan Joseph Ratzinger als Kaplan in einer Münchener Pfarrei erfahren und das später auch in seiner prophetischen Schrift über das neue Heidentum in der Kirche verarbeitet. Aus der inhaltlichen Übereinstimmung zwischen beiden sollte später in den Jahren vor dem Tod Giussanis – er starb am 22. Februar 2005 – eine aufrichtige Freundschaft werden. Kardinal Ratzinger war es dann auch, der das Requiem für den Verstorbenen im Dom zu Mailand feierte.
Aus den Schülerinnen und Schülern am Berchet-Gymnasium erwuchs dann die Gemeinschaft „Comunione e Liberazione“, die zunächst an den italienischen Universitäten stark wurde und sich dann in anderen Ländern ausbreitete. Über den Weg der Schönheit, der ästhetischen Anziehungskraft des christlichen Ereignisses in der Geschichte, schuf Giussani Generation von Laien, die als Protagonisten in der Gesellschaft Ausstrahlung gewannen. Später kamen eine Gemeinschaft der Ehelosen, die „Memores“, und eine für Priester, die Missionsbruderschaft vom heiligen Karl Borromäus, hinzu.
Ab Mitte der sechziger Jahre hielt Giussani – bis zum Jahr 1990 – an der Katholischen Universität Mailand die Vorlesung „Einführung in die Theologie“, in der er seine Erfahrungen als Gymnasiallehrer und sein reiches literarisches Wissen einbrachte. Aus dieser Vorlesung entstanden dann die drei Bände des „PerCorso“, in denen er den religiösen Sinn, die Person Jesu Christi und die Kirche behandelte. Auf Deutsch tragen sie den Titel „Der religiöse Sinn“, „Am Ursprung des christlichen Anspruchs“ und „Warum die Kirche“ (Eos-Verlag Sankt Ottilien) – ein grundlegender Glaubenskurs, den wohl alle Anhänger der Bewegung durchlaufen haben. Als Erzbischof von Mailand brachte Kardinal Angelo Sodano, ein langjähriger Weggefährte Giussanis wie auch ein Mitarbeiter Joseph Ratzingers beim Projekt der „Communio“-Zeitschriften, 2012 den Seligsprechungsprozess für Giussani auf den Weg. Am Samstag wird Papst Franziskus auf dem Petersplatz vor Tausenden von Anhängern der Bewegung „Comunione e Liberazione“ sprechen.
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