Mönch oder Kanoniker. Bernhard versus Norbert? Die Augustiner Chorherren zwischen Charisma und Spiritualität“. So beginnt das Vorwort des Buches des katholischen Kirchenhistorikers Gerhard B. Winkler. Zitiert wird der evangelische Kirchenhistoriker Ulrich Köpf mit der Bemerkung, „er meine zwar das katholische Mönchtum zu verstehen, nicht aber die Kanonikeridee und die asketische Lebensweise der Kanoniker“.
Bernhard von Clairvaux (1090–1153) auf der einen Seite war die herausragende Gestalt der ersten Generation des aus dem benediktinischen Mönchtum hervorgegangenen Zisterzienserordens, welcher der Benediktsregel folgt. Norbert von Xanten (1080/85–1134) auf der anderen Seite gründete den Prämonstratenserorden, dem er 1121 die Augustinusregel gab. Prämonstratenser sind keine Mönche, sondern Kanoniker; sie haben keine Klöster, sondern Stifte.
Das christliche Mönchtum hat seine Wurzeln in den Eremiten oder Anachoreten – vom griechischen „anachoreo“, sich zurückziehen – im Ägypten des 3. und 4. Jahrhunderts sowie in den zeitgleich ebenfalls in Ägypten auftretenden Koinobiten – vom griechischen „koinos bios“, gemeinsames Leben. Ging es den einen um die Suche nach Gott in der Einsamkeit, so den anderen um das gemeinsame Gebet.
Obwohl christliches Einsiedler- und Mönchtum so bereits bestand und vor allem in Gallien und Irland Verbreitung fand, war es schließlich Benedikt von Nursia (um 480–547), der mit seiner Gründung Montecassino und der nach ihm benanntetn Benediktsregel zum Vater des Mönchtums in der lateinischen Kirche wurde. Parallel gab es bis in die Karolingerzeit weiterhin andere Formen wie das iroschottische und das angelsächsische Mönchtum und andere Regeln wie die des Columban von Luxeuil (543–616).
Nach der Bevorzugung der Benediktsregel bei den Klostergründungen in Amöneburg 722, Fulda 744 und St. Gallen 747 führten schließlich Reformen Karls des Großen dazu, dass das Mönchtum im Westen für mehrere Jahrhunderte ausschließlich benediktinisch war. Durch die „Admonitio generalis“ von 789 erklärte er die Benediktsregel für verbindlich, andere Mönchsregeln setzte er zudem auf dem Hoftag von Aachen 802 außer Kraft. Hinzu kam auf der Aachener Reichssynode 816 die von Benedikt von Aniane (um 750–821) vorgenommene Unterscheidung des „ordo monasticus“, der Mönche, vom „ordo canonicus“, den Kanonikern, die mit den „Institutiones Aquisgranenses“ ein Regelwerk erhielten.
Die Priesterweihe als Unterscheidungsmerkmal
Für das benediktinische Mönchtum war lange die Abneigung gegen Priester als Mönche charakteristisch, fürchtete die Benediktsregel doch deren Überheblichkeit und Stolz. Das änderte sich erst mit der von der 1064 gegründeten Abtei Siegburg ausgehenden Reform. Die Mönche waren dort in der Pfarrseelsorge tätig und lebten oft außerhalb des Klosters in Propsteien. Damit begann die Klerikalisierung des Mönchtums und die Verbreitung der Gestalt des Priestermönchs.
Kanoniker hingegen waren von Anfang an Priester. Ihr Name ging auf das lateinische Wort „canon“ zurück, das für die Liste versorgungsberechtigter Priester stand. Dies waren die Kleriker von Kathedralen oder mit mehreren Priestern besetzter Pfarrkirchen, die gemeinsam lebten. Das wies Parallelen zur monastischen Lebensform auf, was wiederum hinter der karolingischen Trennung von „ordo monasticus“ und „ordo canonicus“ stand. Erst die Lateransynode von 1059 und die Trennung der „Canonici regulares“, der Regularkanoniker nach der Augustinusregel, von den „Canonici irregulares“ oder Säkularkanonikern brachte für erstere und für die damit entstandenen Augustiner-Chorherren, vor allem mit der Verpflichtung zum Verzicht auf Privateigentum, wieder eine Annäherung an die mönchische Lebensform.
Wenn heute in Österreich auch alte Benediktiner- und Zisterzienserklöster wie Kanonikerkonvente als Stift bezeichnet werden, so geht das auf die josephinischen Reformen der 1780er Jahre zurück.
Das gilt auch für das Zisterzienserstift Wilhering in Oberösterreich, in das Winkler im Alter von 20 Jahren eintrat. Der 1931 in Wilhering geborene Verfasser, Priester seit 1955, ist ein hochverdienter Gelehrter. Von der Universität Wien wurde er zum Doktor der Theologie promoviert, von der Universität Bochum mit einer germanistischen Dissertation zum Doktor der Philosophie und später für Kirchengeschichte habilitiert. Er war Lehrstuhlinhaber in Regensburg von 1974 bis 1983 und danach in Salzburg bis zur Emeritierung 1999. Winkler ist Herausgeber der Sämtlichen Werke Bernhards von Clairvaux in zehn Bänden.
Es kann nur am misslungenen oder völlig unterbliebenen Lektorat durch den Verlag der 2018 aufgehobenen Trappistenabtei Mariawald liegen, wenn unter dem Namen eines solchen Autors ein Buch erscheint, das an zahlreichen Stellen zu Kopfschütteln Anlass gibt. Das beginnt mit dem Fehlen einer nachvollziehbaren Gliederung. Das Buch hat 29 Kapitel, doch erscheinen weder im Text noch im Inhaltsverzeichnis Überschriften, sondern nur römische Ziffern von I bis XXIX. Die Kapitel samt „Epilog“ sind in Abschnitte unterteilt, die durchlaufend mit arabischen Ziffern von 1 bis 95 gezählt sind, wobei kein Zusammenhang mit den römischen Ziffern erkennbar ist.
Das Buch enthält zudem Wiederholungen, Fehler und Fehlschreibungen in Hülle und Fülle. Darüber hinaus findet der Leser etliche Ausführungen, die nicht zum Thema gehören, zum Beispiel über den NS-Ideologen Alfred Rosenberg.
Überdehnte Begriffe und Definitionen
Neben den handwerklichen Mängeln weist das Buch ein inhaltliches Grundproblem auf. So ist die Beobachtung „fließender Übergänge vom ,Kanonikertum‘ zu den Mönchen und umgekehrt“ richtig und für bestimmte Zeiten trifft die Bemerkung zu, dass „die Kanoniker offensichtlich nach monastischer Art lebten und die Mönche sich als Priester betätigten“. Jedoch versteht Winkler „canon“ nicht als erwähnte Liste von Klerikern, sondern spricht vom „Begriff des ,Kanonikertums‘ im Sinne von ,Regeltreue‘“.
Winkler überdehnt den Begriff weit, wenn er schreibt: „Die Mönche, ja sogar die Einsiedler und Eremiten waren in diesem Sinne von Berufs wegen Kanoniker‘“. Nur in dieser Überdehnung kann er sagen: „Die ,Kanoniker‘ sollten ,Maßstab‘ dafür sein, was es heißt, Christ zu sein. Sie sollten vorleben und zeigen, wie man nach diesem Maß das Verhalten von Christen beurteilen wird. Sie sollten einen ,Kanon‘ (sozusagen ,Katechismus‘) für den Glauben der kirchlichen Tradition bilden.“ So kommt er zu alle Unterschiede wegwischenden und jede Chronologie sprengenden Thesen, etwa: „Besonders im 13. Jahrhundert wurden auch die Gründer der Mendikanten (Bettelorden) von der Idee der Augustiner-Chorherren berührt … Die Chorherren wurden von den Idealen, der pastoralen Effizienz und dem Zeugnischarakter der Mendikanten derart gefesselt, dass man schon zu Lebzeiten des hl. Bernhard diese Lebensform als die sogenannten ,Augustiner-Eremiten‘ kannte“ – welche tatsächlich erst 1244, fast ein Jahrhundert nach dem Tod Bernhards, entstanden.
Und schließlich sagt Winkler auch nicht, warum österreichische Benediktiner- und Zisterzienserkonvente heute Stift genannt werden, wenn er Erinnerungen an seine akademischen Anfänge einflicht: „Als der Verfasser dieser Zeilen als Wissenschaftlicher Assistent (1969–1972) an der Ruhruniversität Bochum verpflichtet war und im Studienkolleg der Diözese Essen … gastliche Aufnahme fand, wollte ihn der Seminarregens, ein wohlgesinnter Sauerländer und Seminarvorsteher, etwas jovial mit einer ein wenig sarkastischen Bemerkung herausfordern: ,Du bist ja gar kein Mönch, Gerhard, wenn schon, dann vielleicht ein Stiftsherr‘. So konnte ich bereits in jüngeren Jahren lernen, dass gesamt- und hochdeutsch ,Monasterium‘ und ,Stift‘ nicht identisch sind und auch kirchlich verschieden gewertet werden.“
Gerhard B. Winkler: Mönch oder Kanoniker? Bernhard von Clairvaux versus Norbert von Xanten. Patrimonium-Verlag, Abtei Mariawald, Heimbach (Eifel) 2017, 225 Seiten, ISBN 978-3-86417-060-5, EUR 24,80