Münchens Kardinal eckt an. Nicht bei den Gralshütern der öffentlichen Meinung oder den antikirchlichen und glaubensfeindlichen Lobby-Gruppen, sondern bei den eigenen Leuten. Dass ausgerechnet er, der Ortsbischof in der bayerischen Metropole, die Entscheidung der Regierung des Freistaats, in den Eingangsbereichen der bayerischen Behörden Kreuze aufzuhängen, kritisieren musste, hat Reinhard Marx spüren müssen. Zum Beispiel aus dem Mund des Apostolische Nuntius in Österreich. Dieser, der gebürtige Schweizer Erzbischof Peter Stephan Zurbriggen, sprach bei einem Besuch der Päpstlichen Hochschule in Heiligenkreuz bei Wien für einen Vatikan-Diplomaten recht undiplomatisch von „Schande“: „Als Nuntius, als Vertreter des Heiligen Vaters“, meinte Zurbriggen, „bin ich schon traurig und beschämt, dass, wenn in einem Nachbarland Kreuze errichtet werden, ausgerechnet Bischöfe und Priester kritisieren müssen. Das ist eine Schande, das darf man nicht annehmen!“ Um dann in Erinnerung an die Entscheidung von Kardinal Marx, beim Besuch des Tempelbergs in Jerusalem im Jahr 2016 aus „Zurückhaltung“ sein eigenes Brustkreuz abzulegen, hinzuzufügen: „Wenn Bischöfe ins Heilige Land pilgern und sich schämen, das Kreuz zu tragen, aus irgendwelchen Gründen, dann beschämt mich das auch.“ Diese „religiöse Correctness, diese politische“ gehe ihm „langsam auf den Nerv“, bekannte der Nuntius. „Und dann denke ich noch an meinen lieben Studienfreund Kardinal Jean-Louis Tauran, der jetzt einen Besuch gemacht hat in Saudi-Arabien, vom König empfangen wurde und ein Kreuz trug, das zwei Mal so groß war wie meines, was ich hier trage. Das ist Mut!“
Zu viel Mut hatte Marx offenbar bewiesen, als es ihm darum ging, die katholische Kirche in Deutschland auf einen neuen ökumenischen Kurs zu bringen – in Sachen Zulassung eines nicht-katholischen Ehepartners zur Eucharistie. Im Einzelfall, wie das heute so üblich ist. Ob der Münchner Kardinal meinte, Rückenwind aus Rom und nicht zuletzt von Papst Franziskus zu verspüren, als er bei der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Februar in Ingolstadt eine „Pastorale Handreichung“ verabschieden ließ, die das möglich machen soll, sei dahingestellt.
Aber die Sache lief nicht gut. Sieben Bischöfe – und pikanterweise alle Oberhirten aus den bayerischen Diözesen, mit Ausnahme des vakanten Würzburg – meldeten Widerspruch an und wandten sich an Rom. Genauer gesagt an die Glaubenskongregation sowie an die Räte für die Einheit der Christen und den für die Interpretation der Gesetzestexte.
Überraschend schnell bat die Glaubenskongregation zum Gespräch, nachdem sie – ebenso überraschend schnell – bereits brieflich klar gemacht hatte, dass die „Pastorale Handreichung“ nicht wie von Marx geplant in Bälde das Licht der Welt erblicken dürfe. Lange saß man am 3. Mai am gemeinsamen Tisch, Glaubenspräfekt Luis Ladaria SJ war ebenso anwesend wie der „Ökumene-Minister“ Kurt Kardinal Koch, Prälat Markus Graulich vom Gesetzes-Rat und Pater Hermann Geißler, Bürochef im Hause Ladaria. Ihnen gegenüber die Kardinäle Marx und Rainer Maria Woelki und die Bischöfe Genn aus Münster, Voderholzer aus Regensburg, Feige aus Magdeburg, Wiesemann aus Speyer sowie der Sekretär der Bischofskonferenz, Pater Langendörfer SJ. Die Glaubenskongregation hätte zwei Wege wählen können: Die Angelegenheit an sich zu ziehen und selber ein Papier zum Thema Kommunionempfang von Nicht-Katholiken zu erarbeiten. Oder kleinere Korrekturen in der Handreichung einzubringen und grünes Licht zu geben. Aber sie wählte den mittleren Weg: Die gemeinsame Erklärung von Vatikan und Bischofskonferenz hielt am Ende fest, dass sich die deutschen Bischöfe nochmals mit der Frage eingehend beschäftigen müssen, um „im Geist kirchlicher Gemeinschaft eine möglichst einmütige Regelung zu finden“. Und das Statement gab ausdrücklich den „dubia“ der sieben Bischöfe darin recht, dass es sich eben nicht um eine rein pastorale Frage handle, sondern die deutschen Bischöfe verschiedene weitere Gesichtspunkte berücksichtigen müssten: „etwa die Beziehung der Frage zum Glauben und zur Seelsorge, ihre weltkirchliche Relevanz sowie ihre rechtliche Dimension“. Der von Marx im Eiltempo betriebene Versuch, die Kommunion für Nicht-Katholiken zu öffnen, ist somit durchgefallen. Völlig offen ist es, ob und wie die „Pastorale Handreichung“ nun vielleicht doch noch eine möglichst einmütige Mehrheit im Kreise der deutschen Bischöfe finden kann. Für den Münchener Kardinal ein einmaliger Imageverlust.
Doch nicht nur innerkirchlich wächst die Unzufriedenheit darüber, dass Kardinal Marx ein Alleinstellungsmerkmal des Katholischen nach dem anderen zugunsten eines weichgespülten Erscheinungsbildes der Kirche aufweichen möchte. Wenn es darum gehe, die Stichworte des liberalen Zeitgeistes aufzunehmen, sei die Deutsche Bischofskonferenz verlässlich, kommentierte Jan Fleischhauer in seiner „Spiegel“-Kolumne die Haltung des Konferenzvorsitzenden in der Kreuz-Debatte. Immerhin: Nachdem sich gleich mehrere bayerische Bischöfe positiv über das Kruzifix in öffentlichen Räumen geäußert hatten, ruderte Marx am vergangenen Wochenende bei der Investiturfeier der Grabesritter in Würzburg zurück. Die Kirche begrüße alle Initiativen für Kreuze im öffentlichen Raum, sagte er dort. Das Kreuz sei das Zeichen, das Gott den Menschen gegeben habe. Daher sei es gut, wenn dieses Zeichen, insbesondere in Bayern, besonders gepflegt werde. Aber da war es schon zu spät. Ministerpräsident Markus Söder und zahlreichen christlich-soziale Lokalpolitiker im Freistaat sind nachhaltig verstimmt über den Münchener Erzbischof.
Gleiches gilt für die bayerischen Bischofskollegen des Kardinals, die es Marx anlasten, dass die unterschiedlichen Meinungen in der Konferenz über die Zulassung von Nicht-Katholiken zur Eucharistie in die Öffentlichkeit gelangt sind und dort als Streit wahrgenommen werden. Der Segen hängt nachhaltig schief.