Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“, heißt es in einem alten und bekannten Weihnachtslied. Alle Jahre wieder feiern wir Weihnachten, der 25. Dezember nähert sich im Jahreslauf unaufhaltsam. Mit der Feier der Weihnacht verbindet jeder Einzelne ganz Unterschiedliches: die mitternächtliche Christmette, die Bescherung am Heiligabend oder gar nur Stress, Hektik und Streit. Was es auch immer ist, es trifft jährlich wieder ein. Und nicht selten sind viele Menschen zutiefst erleichtert, wenn die Weihnachtstage wieder vorüber sind sie zurück im alltäglichen Trott sind.
Man könnte das sich jährlich an Weihnachten Wiederholende auch mit den Worten des Silvesterklassikers „Dinner for One“ auf den Punkt bringen: „The same procedere as every year.“ Doch wie sieht das Prozedere an Weihnachten, genauer am Heiligabend, überhaupt für viele Familien aus? Wie haben sich manche Bräuche und Traditionen entwickelt? Und warum feiern wir überhaupt am Heiligabend schon Weihnachten?
Guido Fuchs, Professor für Liturgiewissenschaft, beschäftigt sich in seinem Buch mit diesen und ähnlichen Fragen. Er geht dem Phänomen des Heiligabends nach und versucht in einer verständlichen Sprache zu erklären, wie Rituale am Heiligabend entstanden sind. Grundlage für sein Buch waren dabei zwei Umfragen, die im Vorfeld durchgeführt wurden. Mithilfe dieser Feldstudien wollte Fuchs herausfinden, wie der Heiligabend heute in vielen Familien begangen wird, welche Bräuche gepflegt werden und welche Traditionen schon lange überkommen sind. Im vorliegenden Buch sind die Ergebnisse der Umfrage immer wieder eingearbeitet. Sie geben – neben den historischen Ausführungen – Einblick in die konkrete Feiergestalt, wie sie von unterschiedlichen Familien heute praktiziert wird. Damit ist das Buch ganz nah am Leben. Und es zeigt: Nicht für jeden ist der Heiligabend wirklich der Höhepunkt des Jahres. Viele begehen diesen Abend ganz schlicht, verzichten auf die große Feier und nicht wenige sind es, die mit diesen festlichen Tagen überhaupt nichts mehr anzufangen wissen.
Fuchs erklärt zunächst, wie der Heiligabend überhaupt entstanden ist. Das Datum der Geburt Jesu war unbekannt, die frühen Christen feierten Weihnachten nicht. Erst im Laufe des vierten christlichen Jahrhunderte entwickelte sich in Rom die Feier der Weihnacht heraus. Ob es dort allerdings am 25. Dezember begangen wurde, weil man damit eine Überbietung des heidnischen Festes des sol invictus, des unbesiegbaren Sonnengottes, anstrebte, ist unsicher. Vielleicht wurde auch einfach eine Nähe zur Wintersonnenwende gesucht, denn die Geburt Christi wurde schon sehr früh als Geburt der „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,20) gedeutet. Über Rom hielt das junge Fest schließlich sowohl in der West- als auch in der Ostkirche Einzug. Höhepunkt dieser Feierlichkeiten war damals wie heute die Mitternachtsmette, die Eucharistiefeier in der Heiligen Nacht. Das Weihnachtsfest bereits am Vorabend beginnen zu lassen, bezieht sich auf die jüdische Tradition. Die jüdischen Feste nehmen seit alter Zeit mit dem Untergang der Sonne am Vortag ihren Anfang. Dieser Brauch wurde auch im Christentum übernommen. Dass man Heiligabend allerdings mit großer Feierlichkeit beging, ist erst eine vergleichsweise junge Entwicklung. Angefangen in der Reformationszeit wurde der Gottesdienst in der Nacht immer weiter auf den Nachmittag oder Abend verlegt. Im evangelischen Bereich entstanden die sogenannten „Christvespern“, die bereits am Heiligabend gefeiert wurden. Das besondere Augenmerk auf die Familie, wie es sich im 18. und 19. Jahrhundert herauskristallisierte, tat sein Übriges dazu. Schon bald etablierte sich die familiäre, private Feier des Heiligabends, wie sie heute noch von Unzähligen praktiziert wird.
Utz Jeggle hat in einem seiner Texte eine sehr anschauliche Beschreibung einer typischen Heiligabendfeier wiedergegeben, die er selbst als „DIN-Form, Weihnachten zu feiern“ bezeichnet. Für viele Familie gibt es ähnliche festgelegte und fixe Rituale, die jährlich wiederkehren müssen und ohne die eine Feier der Weihnacht scheinbar unmöglich erscheint. Guido Fuchs führt eine Vielzahl dieser einzelnen Elemente, die zum Heiligabend dazugehören können, auf und erläutert sie. Da findet sich beispielsweise der Brauch, gemeinsam unter dem Christbaum das Weihnachtsevangelium vorzulesen. Natürlich ist auch hier alles penibel geregelt: der Text wird der Familienbibel entnommen, dem Vater kommt die Rolle des Vorlesers zu, gemeinsam wird ein kleiner familiärer Hausgottesdienst gefeiert. Doch dass das längst nicht in allen Familien praktiziert wird, machen Stimmen aus der anfangs genannten Umfrage deutlich, die Fuchs einspielt: „Weihnachten wird als Fest der Familie gefeiert, hat bei uns nichts mit Jesus zu tun.“ Oder eine Antwort auf die Frage, ob am Heiligabend eine religiöse Feier begangen wird: „Nein, natürlich nicht. Konfessionslose Familie in der 4. Generation.“
Ein wichtiger Punkt ist für viele Familien auch die Frage, was am Heiligabend auf den Tisch kommt. Zunächst eigentlich eine schlichte Speise, denn der Heiligabend gehört noch zum Advent und wurde über Jahrhunderte hinweg als Fast- und Abstinenztag begangen. Erst Johannes XXIII. war es, der den Gläubigen gestattete, das adventliche Fasten bereits mit dem 23. Dezember enden zu lassen; nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entfiel diese Regelung schließlich völlig. Doch dieses strenge Gebot hat durchaus bis heute noch seine Auswirkungen entfaltet: Ein beliebtes Mahl, das am Heiligabend serviert wird, sind Würstchen und Kartoffelsalat. Oft spiegelt sich darin auch die Einstellung wieder, dass der eigentliche Festtag, an dem das große Festessen auf den Tisch kommt, der 25. Dezember ist. So gibt es nicht selten am Heiligabend nur eine kleinere und weniger aufwendige Speise, wie auch ein Kommentar aus der Umfrage anmerkt: „Das Essen gibt es vor der Bescherung. Es ist sehr einfach und traditionell (Lachs, Forelle, Bratwürstchen, Kartoffelsalat, Toast). Das aufwändige Essen gibt es am 1. Weihnachtstag.“ Doch auch hier scheiden sich die Geister. Während einerseits noch die Fastenpraxis geübt wird, gibt es andernorts bereits am Heiligabend ein üppiges Festmahl mit erlesenen Speisen und einem festlich eingedeckten Tisch.
Der Heiligabend ist längst nicht mehr mit den vielen althergebrachten Bräuchen und Traditionen zu beschreiben. Er hat eine Wandlung durchgemacht. Das ist die Einsicht, die nach der Lektüre des Buches von Guido Fuchs bleibt. Während man sich in vielen Familien bemüht, den Heiligabend wie „eh und je“ zu strukturieren, hat das in vielen anderen Familien bereits an Bedeutung verloren. Weihnachten wird nicht mehr zuerst als das Fest der Geburt Jesu gefeiert, sondern als schönes Familienfest, bei dem man sich gegenseitig beschenkt und miteinander fröhlich ist. Freilich spielen viele Traditionen hier auch keine Rolle mehr oder leiden mehr und mehr an einem Bedeutungsverlust. Das Aufbauen der Krippe und des Christbaumes gehören zwar zu Weihnachten dazu, doch der tiefere Sinn, der hinter beidem liegt, wird für viele Familien immer unklarer. Fuchs spricht auch von der „Inszenierung“ des Heiligabends. Vieles wird bewusst und betont in Szene gesetzt, weil man es aus der eigenen Kindheit noch kennt oder zu Weihnachten einfach untrennbar dazugehört. Was dabei aber letztendlich entsteht, ist ein sinnleeres Fest. Denn was feiert man eigentlich an Weihnachten, wenn nicht mehr das Jesuskind in der Mitte steht, wenn nicht mehr das Evangelium von der Geburt Jesu im Stall zu Betlehem gelesen wird, sondern Geschichten von Rentieren und vom Weihnachtsmann? Vielleicht ist das Buch von Guido Fuchs nicht nur hilfreich, die Geschichte des Heiligabends und seiner Bräuche zu erkunden, sondern auch die eigene Feier des Heiligabends kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls eine Neuausrichtung zu wagen. Oder, um den Autor mit seinem Resümee selbst zu Wort kommen zu lassen: „Letztlich will dieses Buch ermuntern, die herkömmliche Form des Heiligabends relativ zu sehen – hinsichtlich seiner Entstehung, aber auch bezüglich seiner Begehung.“
Fuchs, Guido: Heiligabend. Ein Fest und seine Rituale. Topos Verlag, Kevelaer, 2017, 187 Seiten,ISBN 978-3-8367-0033-7, EUR 16,–
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