Herr Weihbischof, seit gut hundert Tagen sind Sie wieder in Deutschland: Vermissen Sie schon etwas aus Ihrer Zeit in Mombasa?
Spontan: Das tropische Wetter! Das mag seltsam klingen, aber ich habe mich sehr an das gleichbleibend warme Klima gewöhnt. Niemals benötigt man eine Jacke, allezeit kann man sich draußen aufhalten. Die Temperaturen sind zwar schweißtreibend und nachts kühlt es kaum ab, aber mir ist es damit gut gegangen. Aber etwas tiefer gehend: In den vergangenen Monaten ist mir eine neue Definition von Himmel in den Sinn gekommen. Himmel ist der Ort, wo man niemals Abschied nehmen muss. Abschied nehmen tat mir weh, als ich vor einem guten Jahr nach Mombasa aufgebrochen bin. Und es tat mir weh, vor 100 Tagen von den Menschen in Mombasa Abschied zu nehmen. Denn in den Monaten sind Beziehungen, Freundschaften und Verbundenheiten gewachsen. Und die fehlen mir natürlich. Aber zugleich habe ich mich auch sehr darauf gefreut, nun wieder mit Verwandten, Freunden und vielen Menschen zusammen zu sein, mit denen ich verbunden war, bin und sein werde.
Was hat Sie im Rückblick am stärksten bereichert?
Das ist nicht so einfach zu beantworten. Die Verankerung des Glaubens im Leben vieler Menschen dort hat mich schon sehr berührt. Der Glaube an Jesus Christus ist nicht eine Art „Hobby“, das man dann ausübt, wenn dafür genügend Zeit ist, eine Beschäftigung, der man sich von Zeit zu Zeit widmet. Jesus Christus steht bei vielen Christen dort tatsächlich im Mittelpunkt des Lebens, im Mittelpunkt jeden Tages. Ihm wird gedankt, wenn man sich zu einer Tasse Tee zusammensetzt. Der Herr wird gepriesen, wenn er uns erlaubt hat, gute Taten zu vollbringen. Der Herr wird bestürmt, wenn irgendeine Krankheit heraufzieht, mag es eine harmlose Erkältung sein oder eine schwere Krebserkrankung. Wie oft wurde ich in den verschiedensten Situationen und Anlässen um den Segen gebeten von Erwachsenen aber ebenso von Jugendlichen. Und dann schon kleine Kinder zu sehen, die mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen ehrfürchtig den Segen Gottes erbitten. Da bekomme ich heute noch eine Gänsehaut.
Welche Begegnungen haben Sie geprägt?
Die Antwort steckt schon in der Frage. Geprägt haben mich in meiner Zeit in Mombasa in der Tat die Begegnungen. Angefangen bei der Begegnung mit Christus. Neben der Kirche St. Mary? in Changamwe gibt es – wie bei vielen Kirchen – die „Adoration-Chapel“. 24 Stunden und 7 Tage die Woche ist diese Kapelle geöffnet, Christus in der heiligen Eucharistie ausgesetzt und wartet, besucht und angebetet zu werden. Dieser Ort ist mir besonders ans Herz gewachsen. Und den Begegnungen mit dem Herrn verdanke ich es, dass ich heute vielleicht etwas entschiedener, beherzter und auch ein wenig froher als vor einem Jahr das sagen kann, was die Kenianer immer wieder sagen: „Gott ist gut, alle Zeit – wow!“ Aber da sind natürlich die Begegnungen mit Menschen, die mich geprägt haben. Ich durfte viele seelsorgliche Gespräche führen. Unser Leben mit Gott ist doch immer wieder ein spannendes Abenteuer und nie langweilig. Darüber in einer Zeitung zu berichten verbietet sich für mich. Denn die Inhalte dieser Gespräche gehören nicht mir. Sie gehören dem Herrn und den Menschen, die sie mit mir geteilt haben. Aber aus diesen Begegnungen will ich eine, sie alle verbindende, Botschaft weitergeben: Gott ist da! Und er ist am Werk! Und was auch kommen mag: Wir sind nie allein!
Gibt es Dinge, auf die Sie hier in Köln in Ihrem Leben nun verzichten können?
Zu einen bin ich dankbarer geworden für die vielen Selbstverständlichkeiten, die wir in unserem wunderbaren Land haben dürfen. Wir drehen den Wasserhahn auf und es fließt stetig trinkbares Wasser heraus. Wir haben eine solide Stromversorgung, jeder Stromausfall verursacht Schlagzeilen, in Kenia ist es Alltag. Wir verfügen über ein großartiges Straßennetz, leben in einem Land mit funktionierender Verwaltung und Regierung, das nicht in einer Weise wie in Kenia von der Korruption heimgesucht ist. Vor diesem Hintergrund fällt es mir jetzt leichter als vorher auf das uns Deutschen oft so liebe Jammern und Nörgeln zu verzichten.
Weiter?
Zum anderen hoffe ich, dass sich meine Einstellung zu materiellen Dingen ein wenig gewandelt hat. Die meisten Menschen, denen ich begegnet bin, leiden unter einem ständigen Mangel an Ressourcen. Von Nahrungsmitteln angefangen über so alltägliche Dinge wie Schreibmaterial, Papier und Schere, bis hin zu Kleidung und finanziellen Reserven für eine gute Gesundheitsversorgung. Wenn man diesem Mangel so alltäglich begegnet und sogleich in frohe Gesichter schaut, dann stellt sich mir nun die Frage: Was brauchst du eigentlich wirklich? Habe ich vorher zum Beispiel eine Jacke, die mir besonders gefällt, bei irgendjemandem gesehen, war der Impuls groß, mir sofort im Internet die gleiche zu bestellen. Was der hat, will ich auch haben. Ich frage mich jetzt schon häufiger: Brauche ich das wirklich?
Papst Franziskus hat beschlossen, den Synodalen Prozess um ein Jahr zu verlängern. Was haben Sie während Ihrer Zeit in Mombasa davon mitbekommen? Wie fiel die Synodale Umfrage im Erzbistum Mombasa aus?
Das Thema „Synodaler Prozess“ von Papst Franziskus war in gewisser Weise täglich präsent, denn in jeder heiligen Messe wurde am Ende gemeinsam das Gebet für ein gutes Gelingen dieses synodalen Prozesses gebetet. Es gab auch in allen Pfarreien Arbeitsgruppen, die sich diesen Fragen gewidmet haben. Die Ergebnisse wurden dann in den Dekanaten gebündelt und schließlich im Erzbistum zu einem gesamten Text zusammengefasst. Am Ende meiner Zeit dort wurde er veröffentlicht. Ich selbst war allerdings an diesem Prozess nicht sonderlich beteiligt. Das hing vor allem mit den sprachlichen Voraussetzungen zusammen. In den Arbeitsgruppen wurde eben Kiswahili gesprochen, das ich nicht beherrsche. Und so war ich eben auch nicht Mitglied einer dieser Arbeitsgruppen. Als ich zurück nach Deutschland kam, habe ich mir vorgenommen, die Ergebnisse der Diözese Mombasa eingehender zu studieren, aber die Wirklichkeit bei uns hat mich dann doch sehr schnell eingeholt, sodass es bisher bei diesem Vorsatz geblieben ist.
Möchten Sie mit „Ihrer“ afrikanischen Gemeinde in Kontakt bleiben? Wenn ja, wie?
Seelsorge geht nur über eine persönliche Beziehung und die kann man nicht einfach abschneiden. Und so bleiben Verbundenheiten, Menschen, die mich auch weiterhin um Rat fragen, die sich für mich und mein Tun hier in Deutschland interessieren, Menschen, die nicht nur ich vermisse, sondern, die auch mich vermissen. Da bieten uns die modernen Kommunikationsmittel gute Hilfen. So sende ich einer Gruppe von gut 30 Gläubigen jeden Tag ein Gebet, das mir selbst zugesandt wird. Und diese verbreiten das Gebet weiter. Viele antworten täglich mit einem kurzen Gruß oder einer Frage, wie es geht oder schicken mir ein Gebetsanliegen oder teilen mit mir eine Sorge. Darüber hinaus gibt es einige wenige, die ich tatsächlich über WhatsApp begleite, nicht nur im Gebet, sondern eben auch im Austausch. Und zukünftig werde ich wohl jährlich einen Teil meines Urlaubes dort verbringen, so mein Plan – Mungu akipenda - so Gott will.
Wenn Sie ein Projekt für „Ihre“ afrikanische Gemeinde fördern könnten: Wie sähe es aus?
Zusammen mit Verwandten und Freunden unterstütze ich in der Tat einige Projekte in St. Mary? in Changamwe. Da geht es zum Beispiel um das Thema Schulgebühren. Viele Familien können ihre Kinder nicht auf weiterführende Schulen bringen, weil das Geld für Schulgebühren fehlt. Das ist eine ständige Herausforderung. Mit wenig Mitteln kann man helfen, dass viele junge Menschen eine gute Ausbildung bekommen. Und wir wissen: Bildung und Entwicklung gehören zusammen. Ein weiteres Projekt sind Mikro-Kredite, mit denen Menschen geholfen wird, ein „small business“, ein kleines Geschäft, zu eröffnen. Aber auch das gehört zu den Erfahrungen dieser Zeit: Die Nöte der Menschen sind immer größer als die finanziellen Möglichkeiten diesen zu begegnen. Aber wenn auch nur einem Kind eine gute Schulausbildung ermöglicht wird, es dadurch einen guten Beruf erlernen kann und in der Lage ist, später die eigene Familie zu ernähren, dann haben wir vielleicht einen entscheidenden Beitrag geleistet, eine Seele – oder gar viele – zu retten.
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