Frauenpower – wie geht das? Immer wieder stelle ich mir die Frage nach einem richtigen und falschen Feminismus. In einer Gesellschaft zunehmender Verunsicherung im Bereich der Geschlechterrollen suche ich nach echten Vorbildern für Frauen – Heldinnen, die ihre gottgegebene Gabe und Natur in den Dienst Gottes stellen. Es fallen mir antike Gestalten ein wie meine Namenspatronin Margareta von Antiochien, aber auch zeitgenössische Frauengestalten wie Edith Stein.
Berufung als Frau
In diesem Jahr jähren sich ihr Tauf- und Firmtag zum hundertsten Mal. Sie ist Mitpatronin Europas und für mich eine Feministin im guten Sinne: eine hochintelligente Frau, die ihre spezifische Berufung als Frau erkannt hat, die aus ihren Talenten alles herausholte und zugleich mit heroischem Mut für die Juden einstand. Sie hatte ein bemerkenswertes Verständnis dafür, was Frauenpower bedeutet. Frauen als „Sendboten der Liebe“, so Edith Stein, hätten die größte Berufung, nämlich als sponsa, als Braut Christi. Sie identifizierte sich als Konvertitin mit der biblischen Figur Ester: „Ich muss immer wieder an die Königin Ester denken, die gerade darum aus ihrem Volk genommen wurde, um für das Volk vor dem König zu stehen. Ich bin eine sehr arme und ohnmächtige kleine Ester, aber der König, der mich erwählt hat, ist unendlich groß und barmherzig.“ Edith Stein, selbst eine inspirierende Persönlichkeit, die eine biblische Gestalt zum Vorbild hat? Ich möchte mehr erfahren!
Wir lesen von Ester im gleichnamigen biblischen Buch. Sie wird Königin in Persien, obwohl sie Jüdin ist. Aufgrund einer Intrige Hamans, der rechten Hand des Königs, ergeht eines Tages der Erlass, alle Juden im gesamten persischen Reich umbringen zu lassen. Er plant dies als Rachefeldzug aufgrund der verweigerten Anbetungsgeste Mordechais, dem Vormund und Cousin Esters. Dieser möchte sich als frommer Jude nur vor Gott niederwerfen, während alle anderen vor Haman niederfallen. Ester betet inständig zu Gott, dass er das Volk vor dem Tod bewahre, bevor sie sich in Lebensgefahr begibt und unaufgefordert vor dem König erscheint.
Eine tapfere Frau
Er ist ihr wohlgesonnen und will ihr jeden Wunsch erfüllen. Bei einem Festmahl deckt sie die Intrige Hamans in Anwesenheit des Königs auf und dessen Mordpläne gegen Mordechai fallen schließlich auf ihn selbst zurück. Der Vernichtungserlass gegen die Juden wird nicht nur durch einen Gegen-Erlass zurückgenommen, sondern dieses Ereignis geht mit der Einführung eines neuen Festtags in die Geschichte ein – Purim, abgeleitet vom hebräischen Wort „Pur“, was soviel wie „Los“ bedeutet. Es bezieht sich auf die Lose, die Haman zog, um den Vernichtungstag der Juden zu bestimmen.
Ester ist wirklich eine tapfere Frau, die ihr Volk vor einem Genozid rettet. Das erinnert sehr an Edith Stein, die auf ihre Weise das jüdische Volk vor der Vernichtung bewahren wollte. Ester, die Frau des Artaxerxes gewann ihre hohe Stellung ursprünglich aufgrund eines Schönheitswettbewerbs – und doch ist das nicht ihr größtes Kapital. Was sie strahlen lässt, ist ihre Tapferkeit. Im Buch Ester trägt sich ein stetiger Kampf zwischen Hochmut und Demut, Ungehorsam und Gehorsam zu. Zwei Männer und zwei Frauen, zwei Konzepte, die aufeinandertreffen: Waschti, die ungehorsame erste Ehefrau, die durch Ester, die Gehorsame, abgelöst wird.
Andere eingeladen
Haman, der Hochmütige, der ein ganzes Volk aufgrund der ausbleibenden Anbetungsgeste Mordechais zerstören will, und Mordechai, ein Lebensretter, der einen Anschlag verhindert hat. Waschti, die eingeladene Königin, die nicht zum Festmahl kommt, und Ester, eine Königin, die zur Gastgeberin zweier Festmähler wird. Der Hochmut Hamans wird wiedergutgemacht durch die demütige Ester, die zur Fürsprecherin des Gottesvolkes wird, ganz wie Maria, der mächtigsten Fürsprecherin. Ester ist tapfer, obwohl sie Angst hat. Wir lesen davon, dass sie zweimal in Anwesenheit des Königs ohnmächtig wird. Und doch zieht sie ihren Rettungsplan durch.
Die Betrachtungen der Kirchenväter, insbesondere der Ester-Kommentar von Hrabanus Maurus, entwerfen ein typologisches Koordinatensystem: König Artaxerxes wird zum Sinnbild des himmlischen Vaters, Mordechai zum Sinnbild Jesu Christi. Haman wird zum Inbegriff des Antichristen, Ester und Waschti sind die Gläubigen und die Ungläubigen. Das Festmahl des Artaxerxes wird von Waschti abgelehnt, stattdessen wird Ester erwählt. Gott richtet in einem Gleichnis aus dem Matthäusevangelium die Hochzeit des Lammes aus, doch die eigentlich Geladenen erscheinen nicht, stattdessen werden andere eingeladen. Aus diesem Grund identifizieren die Kirchenväter Ester mit der Kirche oder genauer mit den Heidenchristen.
Rette das Volk
So wie Ester sich zunächst ein Jahr lang einer Schönheitsbehandlung unterzieht, um schön vor dem König zu erscheinen, so bereitet sich die Kirche darauf vor, bei der Wiederkunft Christi bereitgemacht und geschmückt zu sein. Als der Vernichtungserlass veröffentlicht wird, kommt Mordechai zu Ester, denn er selbst hat keinen Zugang zum König. Er ermutigt sie, das Volk zu retten. So möchte Christus als Haupt der Kirche nicht ohne seinen Leib gegen die Nachstellungen des Bösen kämpfen. Er bindet die Kirche ein, mit ihm zu kämpfen und die Heilsmittel zugänglich zu machen. Es ist noch weiter zuzuspitzen im mariologischen Sinn: Christus setzt seinen Erlösungsplan nicht ohne das Urbild der Kirche um – Maria. Ihr Ja hat einen wesentlichen Anteil an dem Heilsplan.
Ester wird zum Vorausbild der Gottesmutter und im weiteren heilsgeschichtlichen Sinn zu einer neuen Eva, die den Vernichtungsplan des Bösen zunichtemacht. Die Wut des Bösen entflammt in der Ester-Erzählung aufgrund von Mordechais Verweigerung Haman anzubeten. Dieses Detail lässt uns an die Versuchung in der Wüste denken, in der Christus sich weigert, vor dem Satan niederzufallen, um ihn anzubeten. Ester – eine mutige Frau, die ihre Weiblichkeit nicht versteckt, ihre Schönheit sogar als Waffe einsetzt, um das jüdische Volk zu retten. Das ist für mich echter Feminismus, ganz wie im Falle ihrer Nachfahrin Edith Stein.
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