Das Buch hält, was das Titelbild verspricht: Auf ihm sieht man im oberen Teil die Päpste Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus mehr oder weniger ratlos in verschiedene Richtungen blicken, und im unteren Teil Pater Franz Schmidberger, den früheren Generaloberen und heutigen Regens des Priesterseminars in Zaitzkofen von der Piusbruderschaft. Schmidberger lächelt verschmitzt. Diesen solchermaßen angekündigten polemischen Unterton muss man in Kauf nehmen, wenn man zu diesem Buch greift. Über sehr weite Strecken ist dieses Gesprächsbuch aber erfreulich sachlich gehalten, was der Aussagekraft seiner Thesen nur gut tut.
Die Existenz der Piusbruderschaft sorgt heute immer noch mindestens für Falten auf der Stirn besorgter Katholiken. Dabei wäre es längst möglich, dass sich die Verhältnisse normalisiert hätten. Nicht nur hat Papst Benedikt XVI. mit seinem Motu proprio Summorum pontificum aus dem Jahr 2017 die Rechtmäßigkeit der sogenannten alten Messe bestätigt. Er war es auch, der die Exkommunikation der vier Bischöfe Bernard Fellay, Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galarreta aufhob, die 1988 von Johannes Paul II. von den Sakramenten ausgeschlossen worden waren. Weitergehende Gespräche über eine Annäherung scheiterten bisher zwar, aber noch ist ja nicht aller Tage Abend. Gerade im Pontifikat von Papst Franziskus scheint eine Einigung näher denn je.
Die Piusbruderschaft stand bisher nicht unbedingt im Ruf, außerhalb ihres Kreises an Anhängern für sich zu werben. So gesehen kann man das Gesprächsbuch, das jetzt erschienen ist, auch als einen Schritt hin zu einem Dialog verstehen – ein Dialog, der allerdings kaum einen Millimeter von seinen Grundsätzen preisgibt. Pater Franz Schmidberger durcheilt im Gespräch mit dem Journalisten Ingo Langner die nachkonziliare Kirchengeschichte und misst sie an dem, was fast 2 000 Jahre als die katholische Wahrheit geglaubt wurde. Mit dem Ergebnis, dass selbst ein der katholischen Tradition Fernstehender die schmerzhaften Brüche anerkennen muss, die die Modernisten und ihre Interpretation der Dokumente des Konzils in Gang gesetzt haben. Was allerdings nicht ausreichend zur Sprache kommt, ist jene „Hermeneutik der Kontinuität“ Papst Benedikts, die, wenn sie in diesem Buch thematisiert wird, eher polemisch konnotiert ist. Dadurch wird der Eindruck erweckt, Modernismus und nachkonziliare Theologie seien untrennbar eins, was man so undifferenziert nicht behaupten kann. Hier hätte man sich mehr Differenzierungsvermögen auch des Nachfragenden Langner gewünscht, der leider immer wieder als bloßer Stichwortgeber, statt als kritischer Gegenpart gerade bei problematischen Sachverhalten agiert.
Dabei lässt es Schmidberger immer wieder krachen: „Der Protestantismus ist inkarnierter Subjektivismus“, konstatiert er. Und: „Seit dem Zweiten Vatikanum werden ungefähr 100 000 Priester ihr Amt aufgegeben haben.“ Oder: „Der sittliche Niedergang im Klerus ist Ursache und Folge der Krise der Kirche in einem.“ Schließlich: „Man will nicht mehr den Kampf, man will nicht mehr das christliche Leben als ein Ringen, als eine Anstrengung ansehen, sondern man will das Paradies auf Erden.“ Diese Aussagen werden nicht als haltlose Provokationen vorgetragen, stehen sie doch immer im Kontext einer klaren Argumentation. Wenn Schmidberger der Kirche vorwirft, die Tradition aufgegeben zu haben, dann meint er damit nicht den Weihrauch, reiche Messgewänder und Priesterröcke, sondern er meint damit in erster Linie die theologische Substanz, die er in der scholastischen Lehre verwirklicht sieht. Von dieser habe sich die Kirche abgewandt, um sich der Welt zu öffnen. Die Umkehr der Anbetungsrichtung in der heiligen Messe sei dafür zentrales Symbol. Mit dieser Wegwendung von Gott zum Menschen hin sei eine Beliebigkeitsreligion entstanden, die den Gläubigen keine Orientierung mehr gebe – und Schmidbergers Aussagen lassen darauf schließen, dass er diese Orientierungslosigkeit auch in kirchlichen Institutionen am Werk sieht. So sei die katholische Kirche in jene Turbulenzen geraten, die heute von allen beklagt werden, ohne dass Rettung in Sicht zu sein scheint.
Schmidberger und die Piusbrüder behaupten nicht, dass die alte Messform allein die Rettung sei. Vielmehr müsse wieder ein ganzheitliches katholisches Leben angestrebt werden, dessen oberstes Ziel nicht die Rettung der Umwelt und auch nicht in erster Linie die Integration von Flüchtlingen sei, sondern die Heiligkeit, zu jeder einzelne Gläubige berufen ist. Wie das gelingen soll, das skizziert Schmidberger in einer seiner Antworten: Erstens muss an den theologischen Fakultäten und in den Priesterseminaren die genuin katholische Lehre wieder klar herausgestellt werden. Irrtümer gelte es konsequent zu verurteilen. Vielleicht bedürfte es sogar eines neuen Syllabus errorum. „Außerhalb der katholischen Kirche kein Heil“ – das sei die Demarkationslinie. Zweitens müsste das Dogma wieder über die Pastoral gestellt werden, weil diese Pastoral eine Folgerung aus der Lehre ist, und nicht umgekehrt. Drittens müssten entsprechende Maßnahmen zur Priesterausbildung getroffen werden. Viertens sei es notwendig, die Feinde der Kirche wieder als solche zu benennen: Freimaurer, Freidenker, Materialisten. Fünftens müsste Sünde wieder Sünde genannt werden, auch und gerade der Ehebruch, der mittlerweile als ein Kavaliersdelikt gelte. Sechstens bedürfe es einer aktiven Glaubensverkündigung und siebtens vieler Exerzitienkurse für das Volk.
Vieles von dem, was Schmidberger anspricht, treibt Katholiken heute um. Viele leiden darunter. So ist es gut, einmal den Kern unseres Glaubens freigelegt zu bekommen – wenn man auch nicht immer alle Konsequenzen und Urteile, die Schmidberger und die Pius-Bruderschaft daraus ziehen, akzeptieren oder gutheißen muss. Denn es gilt auch zu sehen, dass sowohl Papst Benedikt als auch Papst Franziskus ein deutlich erkennbares Bestreben einer konservativen Ökumene an den Tag legen, dass es ihnen eben nicht egal ist, was sich im traditionalistischen Sektor der Kirche tut. Vielleicht kann dieses nicht zuletzt unterhaltsame Buch dazu beitragen, den schmerzhaften Bruch in der Kirche zu überwinden.
Franz Schmidberger / Ingo Langer: Gott, Kirche, Welt und des Teufels Anteil. Patrimonium Verlag, Bonn 2017, 216 Seiten, ISBN 978-3864171017, EUR 14,80,–
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