Am 4. März 1979, nicht einmal fünf Monate nach seiner Wahl zum Oberhaupt der katholischen Kirche, veröffentlichte Johannes Paul II. seine erste Enzyklika. Ihr Titel „Redemptor hominis“ – Erlöser des Menschen – richtet den Fokus zunächst auf eine Person: Jesus Christus, den Erlöser der Welt. Mit dieser Bezeichnung als Erlöser aber ist zugleich eine Funktion verbunden, die Christus in Kreuz und Auferstehung übernommen hat. Denn als Erlöser steht Er nie nur für sich, sondern in direktem Bezug zum Objekt der Erlösung: dem Menschen.
Die Schwerpunkte: Wahrheit und Freiheit
Genau in diesem Spannungsverhältnis, das den gesamten christlichen Glauben im Kern ausmacht, setzt Johannes Paul II. gleich zu Beginn seines Pontifikates die Schwerpunkte, die ihn schon vor seiner Wahl umtrieben. Zwei Begriffe sind es, die im zweiten Teil der Enzyklika miteinander verbunden werden; zwei Begriffe, die für den Papst aus Polen unter der Überschrift „Der Auftrag der Kirche und die Freiheit des Menschen“ von zentraler Bedeutung sind: Wahrheit und Freiheit.
Unter Bezugnahme auf die Erklärung „Nostra aetate“ des Konzils ist dabei nicht nur das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen umgriffen. Vielmehr geht der Verfasser weit darüber hinaus, wenn er auch auf die „Erklärung über die Religionsfreiheit“ des Zweiten Vatikanischen Konzils abhebt. So wird zunächst auf die Aufgabe der Kirche in diesem Kontext verwiesen: „Die Kirche ist kraft der Einsetzung durch Christus Wächterin und Lehrerin der Wahrheit, dadurch dass sie ja ausgestattet ist mit einem besonderen Beistand des Heiligen Geistes, damit sie über die Wahrheit treu wachen und sie in ihrer ganzen Fülle unverfälscht lehren kann.“
Eines der Kernthemen: Würde eines jeden Menschen
Im weiteren Verlauf aber verdeutlicht der Papst, welche Implikationen mit dem kirchlichen Selbstverständnis verbunden sind. So stehen sie nicht für sich, sind nicht nur auf kirchliches, auch nicht nur auf christliches Denken beschränkt. Denn: „Die ,Erklärung über die Religionsfreiheit‘ macht uns in überzeugender Weise deutlich, wie Christus und folglich seine Apostel in der Verkündigung der Wahrheit […] eine tiefe Wertschätzung für den Menschen, für seinen Verstand, seinen Willen, sein Gewissen und seine Freiheit bewahren.“ Es folgt der Verweis auf eines der Kernthemen des polnischen Pontifikates: auf die Würde eines jeden Menschen.
Im dargestellten kurzen Exkurs über die Antrittsenzyklika Johannes Paul II. zeigt sich, wie sehr er sein theologisches Denken auf dem Fundament des Zweiten Vatikanischen Konzil s gründet. Dabei ist der Rückgriff auf die Erklärung über die Religionsfreiheit kein Zufall. Denn gerade er, der Papst aus Polen, der diese Erklärung aufgreift und zu einem besonderen Baustein seiner ersten Enzyklika macht, hat während des Konzils zunächst als junger Weihbischof, später dann als Erzbischof maßgeblich an genau dieser Erklärung mitgearbeitet; einer Erklärung, die bezeichnenderweise den Titel „Dignitatis humanae“ trägt, was übersetzt „Die Würde der menschlichen Person“ bedeutet.
Als youngster auf dem Konzil
1958, mit gerade einmal 38 Jahren zum Weihbischof ernannt, nahm Karol Wojtyla wenige Jahre später an allen Sitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils teil. Trotz seines noch jungen Alters und trotz der Tatsache, dass in einem solch kirchengeschichtlich herausragenden Abschnitt die Worte eines Youngsters von vornherein wenig Aussicht auf innerkirchliche Resonanz hatten, gelang es ihm, genau die oben genannten Akzente zu setzen.
George Weigel, der große Biograf des heiligen Johannes Paul II., kommt gar zu dem Schluss: „Wer Wojtyla als Bischof und Papst verstehen möchte, darf sich nicht der Anstrengung entziehen, das Zweite Vatikanische Konzil ,von innen heraus‘ zu verstehen, so wie er es erlebte.“
Berufung der Laien, Berufung zur Heiligkeit
Und er erlebte es intensiv, brachte sein ganzes theologisches Denken, seine tiefsten Überzeugungen in die Diskussionen mit ein, vor allem in den Arbeitsgruppen über die Kirche und die Religionsfreiheit. Schon in der ersten Sitzungsperiode meldete er sich mündlich und schriftlich zu Wort. So brachte er beispielsweise den Wunsch nach einer besonderen Berücksichtigung der Berufung der Laien in den Konzilstexten zum Ausdruck; ein Thema, das er in den folgenden Jahren noch vertiefte, indem er es auf die Berufung zur Heiligkeit des Einzelnen ausweitete.
Der Papstbiograf Weigel schreibt dazu: „In einer schriftlichen Rede in derselben Debatte meinte der Philosoph Wojtyla, die ,Zweckursache‘, das Wozu der Kirche, sei die Heiligkeit. Jeder getaufte Christ sei zur Heiligkeit berufen, sie sei nicht das Monopol des Klerus oder der Hierarchie, sondern die Bestimmung aller, die Christus ,in der Wahrheit geheiligt‘ habe, damit sie ,in die Welt gesandt‘ werden.“
Laien als Apostel aufwerten
Auch in der dritten Sitzungsperiode war ihm das Thema des Laienapostolates ein großes Anliegen. Da Wojtyla inzwischen zum Erzbischof von Krakau ernannt worden war, hatten seine Worte inzwischen deutlich an Gewicht gewonnen. In seinen Ausführungen stellte er klar heraus, dass es im Blick auf die Laien „nicht darum gehe [...], die Laien zu einer Art Kleriker zu machen, die sich vor allem um die inneren Angelegenheiten der Kirche kümmerten. Der Sinn sei vielmehr, die Laien als Apostel in der kulturellen und in der Arbeitswelt aufzuwerten“.
In dieser Sichtweise kristallisierte sich bereits das besondere Menschenbild des polnischen Gelehrten heraus, dem er während des Zweiten Vatikanischen Konzils, aber auch darüber hinaus – letztlich sogar während seines gesamten Pontifikates – treu bleiben sollte: der Blick auf den Einzelnen und seinen Wert als Mensch, aber auch – innerhalb der Kirche und der Welt – als Christ. Wie sehr den Mann aus Polen dieses Menschenbild bereits in den Beratungen während des Konzils beschäftigte, zeigt sich insbesondere in den hitzigen Debatten über die oben bereits erwähnte Erklärung zur Religionsfreiheit.
Vernunftgemäßer und freier Glaubensgehorsam
Hierbei war Wojtyla so präsent und vor allem so energisch wie bei der Arbeit an keinem anderen Konzilsdokument. In einer Situation, in der Befürworter und Gegner einer Erklärung über die Religionsfreiheit gleichauf lagen und eine klare Entscheidung in weiter Ferne lag, war er einer derjenigen, deren Beiträge in eine konstruktive Richtung führten. Dabei maß er den Begriffen Freiheit und Wahrheit eine große Bedeutung bei und ergänzte sie um den Aspekt der persönlichen Verantwortung.
Alle drei Begriffe sind inhaltlich in dem zum Ausdruck gebracht, was Religionsfreiheit im christlichen Sinne heute selbstverständlich bedeutet und was in „Dignitatis humanae“ festgeschrieben wurde, nämlich „dass der Mensch freiwillig durch seinen Glauben Gott antworten soll, dass dementsprechend niemand gegen seinen Willen zur Annahme des Glaubens gezwungen werden darf“. Diesbezüglich komme es stets auf „einen vernunftgemäßen und freien Glaubensgehorsam“ an.
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