In Saalfelden, am „Steinernen Meer“ im Salzburger Pinzgau, wird ein Einsiedler gesucht. Hoch droben, nur erreichbar über einen steilen Fußweg, liegt die Einsiedelei, zu der es seit 1558 fromme Pilger zieht, um hier in einer Kapelle den heiligen Georg als „Fürsprecher für das liebe Vieh und Wachstum“ anzurufen. Hier baute der Bergbauernbub Thomas Pichler, der dem Dritten Orden der Franziskaner angehörte, im 17. Jahrhundert eine Klause. Und eben hier verbrachte Matthias Gschwandtner als 32. Eremit am Palfen, jedoch als erster evangelischer Christ in dieser Reihe, zwei Sommer.
Auszug nach zwei Sommern
„Der Ort hier ist hoch spirituell“, schwärmte er im Gespräch mit dieser Zeitung Anfang Oktober 2020 in seiner Klause. Bei schlechtem Wetter sei man recht alleine, bei schönem jedoch ein echter Seelsorger. Da kämen viele Besucher herauf, manche wollten „einfach reden über Gott und die Welt“, andere wünschten eine Andacht oder einen Segen. Er könne gut zuhören, ein wenig Trost und Zuspruch geben und selbstin der Einsamkeit seiner Klause reflektierter werden. Ja, für ihn persönlich werde „langsam konkreter, was Gott will, und wo er hinführt“
Nach zwei Sommern – zwischen November und April ist die schwer heizbare Klause unbewohnbar – hat sich Matthias Gschwandtner entschlossen, seine Zeit als Eremit nicht mehr zu verlängern. „Die Entscheidung war nicht einfach“, gesteht er nun auf Nachfrage. Letztlich sei es für ihn schwierig geworden, „in zwei Welten zu leben“. Durch seine „Einsiedlerei“ habe er die Familie, Freunde, Haus und Garten vernachlässigt. „Und so galt es zu entscheiden: Auf der einen Seite ein Leben mit einer hohen Leichtigkeit und Freiheit an einem einzigartigen Ort, andererseits die Nähe und Verantwortung mit und für die Familie.“ Als Einsiedler sei man in vielerlei Hinsicht reich beschenkt, auch neue Freundschaften hätten sich entwickelt. „So muss ich in jedem Fall etwas zurücklassen“, meint Gschwandtner, der nach den Wintermonaten nicht mehr nach Saalfelden zurückkehren wird.
Viele Besucher
Herausfordernd, so gesteht er, sei im Juli und August die sehr hohe Besucherfrequenz gewesen. Da sei man dann „schon sehr öffentlich“. Es werde viel fotografiert, die immer gleichen Fragen gestellt, Smalltalk gemacht. Dennoch blickt der 32. Einsiedler seit 1664 mit großer Dankbarkeit zurück: „Das Leben in diesem einzigartigen Felsenensemble mit all den unterschiedlichen Anforderungen und Herausforderungen macht demütig. Es hat mir auch bestätigt, wie wenig es eigentlich für ein gutes Leben braucht.“ Einsam und still ist das Eremitendasein offenbar nicht: „Dieses einfache Leben am Palfen hatte eine sehr hohe Intensität, durch die Begegnungen, die Gespräche, die Gebetszeiten, aber auch die wunderbaren Natureindrücke und -stimmungen“, so Gschwandtner gegenüber dieser Zeitung.
Natürlich sei es ein geistliches Ringen gewesen, aber: „Das Leben in einer Art klösterlicher Struktur und in diesem so spirituellen Umfeld ist dabei sehr hilfreich und besonders. Einzigartig war auch die hohe Wertschätzung, die ich als Einsiedler in vielen Begegnungen erleben durfte.“ Prägend seien diese Monate gewesen, die er keinesfalls missen wolle, sagt der scheidende Eremit dankbar. „Es war sicherlich die bisher intensivste und aufregendste Zeit meines Lebens. Ich durfte manches über die Menschen und auch über mich lernen, erkennen und erfahren.“ Es sei gar nicht so einfach gewesen, wieder in das andere – er sagt nicht: in das normale – Leben zurückzukehren. Der 64-Jährige frühere kaufmännische Angestellte aus Bad Ischl hat Saalfelden dennoch den Rücken gekehrt.
Einsamkeit ertragen
Dort muss man sich nun auf die Suche nach einem neuen Einsiedler machen. 2016 hatten Pfarrer Alois Moser und der Bürgermeister 50 Bewerber aus aller Welt, einige schrieben sogar aus Amerika. 2020 konnten wegen Corona nur vier zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Spätestens am 23. April, wenn das Fest des heiligen Georg auf dem Berg gefeiert wird, muss der Nachfolger für den evangelischen Matthias Gschwandtner da sein.
Er muss ja nicht gleich zwölf Jahre bleiben, wie einst Bruder Raimund von der Thannen aus dem Benediktinerstift St. Lambrecht. „Eine christliche Persönlichkeit“ muss es jedenfalls sein, hat Pfarrer Moser gegenüber der „Tagespost“ klargestellt. Er muss die Einsamkeit an Regentagen ebenso ertragen wie die Neugier und Geschwätzigkeit der Wanderer und Pilger an Sonnentagen. Handwerklich geschickt sollte er jedenfalls sein, denn wenn er es warm haben will, muss er Holz hacken. Und wenn Wind und Steinschlag Schäden an der Klause oder am Weg anrichten, muss er selbst Hand anlegen können.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.