Es war ein Abschied auf Raten. Nun ist er endgültig. Benedikt XVI. ist tot. Der Papa emerito hat seine irdische Pilgerreise vollendet. Nun darf er schauen, was er Zeit seines Lebens bezeugt und verkündet hat. Wie tröstlich, wenn man das glauben darf. Doch der Glaube nimmt nicht den Schmerz über den Verlust und die Trauer über die Endgültigkeit dieses Abschieds.
Abschied nehmen hieß es bereits nach seinem spektakulären Rücktritt vom Petrusamt. Ein greiser Papst zog sich zurück, um in Abgeschiedenheit ein Leben des Gebets zu führen. Ein historischer Paukenschlag, mit dem Benedikt XVI. alle überraschte.
Ein Heiliger (Groß-)Vater
Als der Hubschrauber damals um die Kuppel des Petersdoms kreiste, um Benedikt XVI. vom Vatikan nach Castel Gandolfo zu bringen, war ungewiss, ob man ihn jemals wiedersehen würde. Aber dann gab es doch immer wieder Fotos und auch Texte aus seiner Feder. Jede Zeile wurde zur Nachricht. Benedikt XVI. lebte zurückgezogen und war doch präsent. Ein bisschen fühlte es sich so an, als gebe es da draußen in den Gärten des Vatikan einen weisen, alten Großvater, zu dem man jederzeit Zuflucht nehmen konnte, wenn man in den Wirren der Zeit und inmitten innerkirchlicher Verwerfungen einen klugen und wegweisenden Rat brauchte. Als Papa emerito war Benedikt XVI. gewissermaßen Heiliger (Groß-)Vater.
Doch egal ob junger Professor oder greiser Papst: Ratzinger war immer jemand, an dem man sich verlässlich orientieren konnte. Als Theologe war er ebenso klug wie fromm. Als Priester lebte er, was er verkündete. Als Kirchenvater der Neuzeit hat er gezeigt, warum der Glaube die Vernunft und die Vernunft den Glauben braucht. Ratzinger hat sich weder gebeugt, noch angepasst, wenn Kritiker auf ihn einschlagen haben. An ihm konnte man sehen, was intellektuelle Brillanz bedeutet, und dass Demut nicht klein, sondern in Wahrheit groß macht.
Nun ist sein Leben, das nahezu ein Jahrhundert umspannte, vollendet. Vom Rupertiwinkel nach Rom, vom Sohn eines Gendarmeriemeisters zum Glaubenspräfekten, vom Professor zum Pontifex maximus: In den Lebenslinien von Joseph Ratzinger spiegeln sich Schönheit und Drama des Glaubens und Kirche. Mehr als 600 Bücher und Aufsätze hat Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. verfasst. Dieses Erbe ist von unschätzbarem Wert. Die prophetische Kraft dessen, was Benedikt XVI. gesagt und geschrieben hat, wird mit den Jahren immer deutlicher zutage treten.
Benedikt XVI., einer der größten Intellektuellen unserer Zeit
Wer seine Schriften liest, dem begegnet einer der größten Intellektuellen unserer Zeit: rationaler als der Rationalismus, aufgeklärter als die Aufklärung, vertraut mit der Geistesgeschichte Europas, ein Geistlicher, der die Denker unserer Zeit zu Ende zu denken wusste, dem die Großen des Mittelalters und der Antike ebenso vertraut waren wie die Gestalten der Bibel. Ein Theologe, der die Gottsuche der Religionen wie der Philosophen kannte, und dem es ein Herzensanliegen war, mit der christlichen Antwort auf die ewige Suche des Menschen nach Gott alte und neue Wege zum Sinn des Lebens zu erschließen.
„Lest Ratzinger!“ möchte man all jenen zurufen, die jetzt trauern, weil Benedikt XVI. gestorben ist. Die sich ängstigen wegen der tosenden Stürme, die das Schiff der Kirche zu versenken drohen. Die sich fürchten angesichts der vielen Irrlichter und des Durcheinanders auf Deck. „Lest Ratzinger! Da habt Ihr ein verlässliches Logbuch des Glaubens und im Notfall eine rettende Planke.“
Ob als junger Theologe, Konzilsberater, Bischof, Glaubenspräfekt oder später als Papst: Joseph Ratzinger war nie glatter Diplomat, wendiger Politiker oder Schauspieler. Ratzinger hat sich nicht um sein Image gesorgt, sondern um die Klarheit des kirchlichen Zeugnisses. Er war nicht „Integrationsfigur“, sondern Apostelnachfolger. Ihm ging es nicht um Beliebtheit, sondern um Bekenntnis - gelegen oder ungelegen. „Mitarbeiter der Wahrheit“ wollte Joseph Ratzinger stets sein, nicht Handlanger der Beliebigkeit. Ihm ging es nicht darum, zeitgemäß oder opportun zu handeln, sondern dem Evangelium gemäß.
Ohne Gott gerät alles ins Wanken
Ohne Gott gerät alles ins Wanken. Davon war Ratzinger zutiefst überzeugt. Inmitten einer heraufziehenden „Diktatur des Relativismus“ die Sensibilität für die Wahrheit wachzuhalten, sah er als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Trotz all der Anfeindungen und sprungbereiter Feindseligkeit, die Ratzinger ertragen musste, ist er sich selbst treu geblieben. In seiner Unbeugsamkeit um des Glaubens willen hat er gezeigt, was es bedeutet, „Vicarius Christi“ zu sein.
Wenn die selbstreferenziellen Teile der Kirche endgültig eingestürzt sind, wird sich unter theologischem Schutt und kalter Asche immer deutlicher zeigen, welch wegweisende Bedeutung das große theologische Erbe dieses Papstes für die Erneuerung des Glaubens und der Kirche hat.
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