Die säkularisierte Gesellschaft wähnt sich zwar in dem Glauben, Gott nicht zu brauchen, doch am Ende des Lebens trifft man sich gern in einer gotischen Kathedrale. Der Abschied von Queen Elizabeth II. war ein Denkanstoß für alle, die christliche Riten und Zeremonien als überholt betrachten. Denn bisher hat keine noch so fortschrittsbewusste westliche Nation etwas Besseres zu bieten als die christliche Tradition im Angesicht des Todes tritt das unübersehbar zutage. Es gehört zu den Widersprüchen unserer Zeit, dass Millionen am Fernsehen gebannt die Feierlichkeiten aus London, die wie ein Historienfilm wirkten, verfolgten und zugleich traditionsliebenden Gläubigen den Ruch des vermeintlich Erstarrten und Ewiggestrigen unterstellen. Auch in der katholischen Kirche ist der Sinn für Feierlichkeit und Form im Zug der Liturgiereform zu Unrecht in Verruf geraten. Im Extremfall wird allen Festlegungen im Gebet der Vorwurf entgegengehalten, geistlichen Missbrauch zu befördern.
Im Zuge der Trauerfeier für Elizabeth II. leuchtete der grundsätzliche Sinn überlieferter Formen möglicherweise auch liturgisch unerfahrenen Zeitgenossen leichter ein. Weltweit vier Milliarden Menschen konnten in wenigen Stunden am Bildschirm verfolgen, dass Riten den Menschen aus dem geschäftigen Alltag herausreißen. Die Zeit schien einen Augenblick stillzustehen. Von der Lafette, auf der der Sarg gezogen wurde, bis zu den Trippelschrittchen der Gardisten wirkte dennoch nichts lächerlich. Der Sinn des Ritus erschloss sich vielen auch ohne Kommentar: Die Königin trat als Person hinter dem Amt so weit wie möglich zurück.
Katechese via Public Viewing
Immer wieder leuchtete das Kreuz auf dem Bildschirm auf. Jeder, der sich vor dem Katafalk von der Königin verabschiedete, sah vor dem Sarg zunächst einmal das Zeichen der Erlösung. Der Abschied von der Queen wurde zur weltweiten Bilderkatechese. Aus der gotischen Kathedrale erreichten die Gesänge und Bibeltexte auch Zuschauer, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig sind. Und selbst wer sich vor allem am Anblick der Paradeuniformen und Pferde weidete, erhielt eine gute Nachricht aus Westminster Abbey: Christen haben einen Erlöser, der für sie gestorben und auferstanden ist und alle, die an ihn glauben, vom ewigen Tod errettet. Via Public Viewing erreichten zwei zentrale Christusworte aus dem Johannesevangelium jedes Pub und Länder, in denen Christen ob ihres Glaubens diskriminiert oder verfolgt werden: "Ich bin die Auferstehung und das Leben" und "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben".
Nicht zuletzt bewiesen die Feierlichkeiten einmal mehr die einzigartige Stellung der Frau im Christentum. Keine Weltreligion könnte einer noch so verdienstvollen Politikerin einen vergleichbaren Abschied bieten. Ohne die christliche Tradition gäbe es auch keine Grundlage für das für die Queen charakteristische Sendungsbewusstsein. Auch wenn sie im Amt durchaus fehlbar war, wie sich bei der Legalisierung der Abtreibung in Großbritannien im Jahr 1967 zeigte, amtierte Elizabeth II. als Verteidigerin des christlichen Glaubens. Die Liveübertragungen aus London dokumentierten allerdings, dass sich getaufte Staatsgäste mit dem zentralen Symbol der Christen nicht leicht taten. So verzichtete die spanische Königin Letizia im Gegensatz zu König Felipe darauf, sich vor dem markanten Kreuz, das vor dem Katafalk aufgestellt war, zu bekreuzigen und beließ es bei einer Verneigung. Auch diese Ungleichzeitigkeit sagt etwas aus über das Zeichen, dem bis heute widersprochen wird.
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