Die Antworten der Gottesdienstkongregation auf die Anfragen zur praktischen Auslegung des Motu proprio „Traditionis custodes“ verhärten die Front zwischen dem Vatikan und den Traditionalisten. Aus dem gesamten Duktus des Textes spricht eine gewisse Ungeduld, endlich einen Schlussstrich unter das Thema „alte Messe“ zu ziehen. Der Text ist nicht nur ein Bruch mit der von Papst Benedikt XVI. beabsichtigten „Reform der Reform“, sondern auch ein seelsorglicher Fauxpas und ein kuriales Eigentor. Der Vertrauensverlust betrifft nicht nur die Traditionalisten selbst, sondern verstärkt die Unsicherheit der Gläubigen. Wenn heute nicht mehr gilt, was gestern empfohlen wurde, muss der Eindruck unendlicher Vorläufigkeit und des Chaos entstehen.
Petrusbruderschaft nicht berührt
Die für die Traditionalisten im deutschsprachigen Raum entscheidende Frage wird allerdings gar nicht gestellt. Wie verhalten sich die Bestimmungen der Gottesdienstkongregation zum Eigenrecht, das Gemeinschaften wie die Petrusbruderschaft für sich beanspruchen? Mit anderen Worten: Was ist dran an der Stellungnahme der Petrusbruderschaft, man sei von den Bestimmungen nicht direkt betroffen und werde das Dokument erst einmal studieren?
Unklar bleibt, warum die mit Rom verbundenen Gemeinschaften, die die alte Messe feiern, das Sakrament der Beichte nicht mehr spenden dürfen sollen, solange die Gläubigen es bei der Piusbruderschaft gültig empfangen dürfen. Gleiches gilt für das Sakrament der Trauung. Eine solche Praxis – sofern sie durchgesetzt würde – wäre der kürzeste Weg, um traditionsverbundene Gläubigen direkt in die Arme der Piusbruderschaft zu treiben. Auch die zeitliche Befristung der Zelebrationserlaubnis dürfte junge Männer, die ihre Berufung in der Seelsorge an den Traditionalisten erkannt haben, eher abschrecken. Falls der Vatikan einen Zelebrations-TÜV anstrebt, sollte er fairerweise auch für freischaffende Künstler der erneuerten Liturgie Pflicht werden.
Neue Verwirrung
Das Dokument schafft jedenfalls zusätzliche Verwirrung. Mit keinem Wort werden die Erfahrungen der überwiegend jüngeren birituellen Gläubigen gewürdigt, die dank ihrer Kenntnisse des alten Ritus die neue Messe besser mitfeiern können. Bemerkenswert ist, dass der bereits in „Traditionis custodes“ geäußerte Vorwurf der Spaltung wiederholt wird, in dem sich die Anhänger der alten Messe nicht als solche wiederfinden. Er mag in Einzelfällen begründet sein – doch solche gibt es, wie die Segnungsfeiern Homosexueller zeigen, auch unter den Anhängern des Messbuchs Pauls VI. Man darf gespannt sein, ob einzelne Ortsbischöfe den Vertrauensverlust in die Leitungskompetenz der Hirten wenigstens teilweise wieder auffangen können.
Law an Order
Wie weit die deutschen Bischöfe von einer Law-and-order-Mentalität entfernt sind, verdeutlichte in diesen Tagen Bischof Bätzings Zusage im „Stern“, er werde die Segnung homosexueller Paare nicht sanktionieren. Eine gewisse Großzügigkeit gegenüber den Anhängern der „alten Messe“ läge in der Konsequenz dieser Zusage. Das Selbstverständnis einer Avantgarde, die davon überzeugt ist, weiter zu denken als mancher Funktionär im Vatikan, verbindet inzwischen das progressive Spektrum mit Traditionalisten, die sich in römischen Dokumenten nicht wiederfinden. Ob solche neuen Allianzen die Einheit der Kirche stärken?
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