Ich bin ein großer Freund der Alten Musik und eines meiner liebsten Stücke ist das Stabat Mater, das Giovanni Battista Pergolesi in seinem Todesjahr 1736 komponiert hat. Das Material für die geistliche Musik ist die mittelalterliche Mariensequenz, die von franziskanischer Passionsfrömmigkeit geprägt ist und den Minderbrüdern Innozenz III., Jacopone da Todi oder Bonaventura als Autor zugeschrieben wird. 1727 wurde sie von Benedikt XIII. für das Fest der Sieben Schmerzen Mariens in das Missale Romanum eingefügt, nachdem sie über 150 Jahre zuvor aus demselben entfernt worden war.
Die Sequenz betrachtet das Mysterium des Leidens und Sterbens des Herrn durch die Augen Mariens. Der Text schildert, wie die Mutter Gottes bei dem Kreuz des Heilands steht und den Tod ihres lieben Sohnes beweint, und erbittet für den Beter eine fruchtbare Betrachtung der Passion Christi, Anteil an dessen Verdienst und das einstige Erlangen der paradisi gloria.
Künstlerische Meditation über die Mysterien des Herrn
Der Inhalt des Reimgebets inspirierte den nur 26-jährigen Pergolesi, ein musikalisches Werk für zwei Sänger – Soprano und Alto, wobei der Alt oft mit einem Countertenor besetzt ist –, Streicher und basso continuo in f-Moll zu schreiben. In der Musikgeschichte wird diese Tonart mit tiefer Traurigkeit, Klage und Kummer in Verbindung gebracht; auch die Besetzung ist eher nüchtern und entspricht dem kontemplativen Charakter des Materials. Durch die Tonart und das bewusste Einsetzen verschiedener Dynamiken entsteht eine künstlerische Meditation über die Leidenschaft des Herrn, die für den Hörer nur ergreifend sein kann und wohl deshalb zu den größten Werken des Barocks zählt.
Die Sequenz selbst vereint in sich wichtige Lehren der katholischen Religion: Die Menschwerdung des Wortes Gottes in der Person Jesu Christi, dessen heilbringendes Leiden, seine glorreiche Auferstehung, seine Wiederkunft als Richter am Weltende, die besondere Rolle der Gottesmutter im Erlösungswerk, aber auch die bittere Realität des uns allen bevorstehenden leiblichen Todes; Pergolesi präsentiert dies alles in einer musikalischen Form, die authentisch abendländisch ist und auf Jahrhunderte formengeschichtlicher Entwicklung zurückgeht. Damit produziert er keine billige Parodie oder profane Wegwerf-Musik, sondern schenkt uns ein Stück Musik, aus dem die Majestät Gottes hervorstrahlt, vergleichbar mit einer Ikone, aus deren goldener Bemalung die Herrlichkeit des Himmels erahnbar wird.
Der Autor, 24, studiert Theologie in Münster.
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