Lange hatte das Große Abendländische Schisma gedauert. Es war ein Skandal für die ganze Christenheit und lastete schwer auf der Catholica, genauso schwer, wie die Zeit des Exils der Päpste im französischen Avignon Anstoß erregt hatte. 1376 war Gregor XI. schließlich nach Rom zurückgekehrt. Und als zwei Jahre später ein Nachfolger gewählt werden musste, kam es zur Spaltung. Das sechzehnköpfige und stark französisch dominierte Kardinalskollegium wählte zwar einen Italiener zum neuen Papst, der sich Urban VI. nannte. Aber als dieser gleich 29 neue Kardinäle ernannte, empörte sich der Rest des roten Senats und wählte im September 1378 in Fondi Robert von Genf zum Papst Clemens VII. Damit war das Schisma entstanden und es komplizierte sich noch einmal, als nach einem gescheiterten Einigungsversuch zu Pisa im Jahre 1409 sogar drei Päpste im Amt waren, von denen jeder den Anspruch erhob, rechtmäßiger Nachfolger des Apostels Petrus zu sein. Auf Urban VI. waren Bonifatius IX., Innozenz VII. und schließlich Gregor XII. gefolgt, in der konkurrierenden Linie kam nach Clemens VII. Papst Benedikt XIII. Und auf dem Konzil von Pisa kam als dritter im Bunde Alexander V. hinzu, dem schließlich Johannes XXIII. folgen sollte.
In dieser verfahrenen Situation erwies sich der deutsche König Sigismund als der Retter der Einheit. Er rang Johannes XXIII. die Zustimmung zu einem weiteren Konzil ab und berief dieses 1415 nach Konstanz am Bodensee ein. Die Kardinäle waren dort vertreten und viele andere Teilnehmer aus allen Teilen der Kirche. Als Johannes XXIII. erkennen musste, dass die Konzilsmehrheit alle drei Päpste absetzen wollte, um den Weg freizumachen für die Wahl eines einzigen und neuen Papstes, floh er aus der Stadt, wurde aber von den Truppen Sigismunds gefangen genommen, nach Konstanz zurückgebracht und am 29. Mai 1415 abgesetzt.
Ähnlich erging es Benedikt XIII., der inzwischen in Perpignan residierte. Ihn ereilte die Absetzung am 26. Juli 1417, nachdem ihm die spanische Krone ihre Unterstützung entzogen hatte. Der bereits achtzig Jahre alte Gregor XII. gab von allein auf: Der Weg für ein Papstwahlen war frei. Doch die Situation war alles andere als einfach. Seit dem Papstwahldekret von Papst Nikolaus II. von 1059 waren nur die Kardinäle rechtmäßige Papstwähler. Aber in Konstanz erhob sich jetzt die Frage, ob es denn überhaupt noch rechtmäßige Kardinäle gab, da die in Konstanz befindlichen Kardinäle alle von einem der drei Gegenpäpste ernannt worden waren. Konnten aber unrechtmäßige Kardinäle einen rechtmäßigen Papst wählen?
Nun gab es also Zweifel an der Legitimität der Kardinäle, aber nicht an jener der Teilnehmer des Konzils. Da dieses aus den fünf Nationen – der italischen, französischen, englischen, deutschen und spanischen Nation – bestand, wurde bestimmt, dass jede dieser Nationen aus ihrer Mitte sechs Wahlmänner bestimmen sollte, die zu dem Kardinalskollegium hinzutreten sollten. Bei der Wahl selbst sollten von jeder der sechs Gruppen mindestens zwei Drittel zur Wahl erforderlich sein. Ein hohes Risiko belastete also das Papstwahlen: Drei Stimmen einer einzigen Nation konnten die Wahl blockieren. Dennoch, so erklärte es der französische Kardinal Guillaume Fillastre, einer der Hauptarchitekten des Konzils, habe man diesen Wahlmodus beschlossen. Die Kardinäle seien außerdem bereit, sich einem einhelligen Votum der Nationen anzuschließen und das ganze Wahlgeschäft dem Himmel anheimzustellen. Als am 28. Oktober 1417 dieses Ergebnis verkündet wurde, läuteten in Konstanz alle Glocken. In der ,sessio solemnis‘ des Konzils vom 30. Oktober wurde diese Regelung beschlossen.
Es sollte eines der ungewöhnlichsten und spannendsten Papstwahlen der Kirchengeschichte werden und Kardinal Walter Brandmüller, in seiner Zeit als lehrender und forschender Kirchenhistoriker der Doyen der deutschsprachigen Konzilienforschung, hat für die Novemberausgabe der Monatszeitschrift VATICAN-magazin anhand von Quellen und Originalberichten der Konzilschronisten dessen Ablauf genau beschrieben. Seiner Schilderung der Ereignisse soll hier gefolgt werden. Zunächst wurde eine aus je zwei Kardinälen und Nationsdeputierten bestehende Kommission eingesetzt, die sofort zusammentreten sollte, um die technischen und rechtlichen Vorbereitungen für das Papstwahlen zu treffen. Dann waren die Konklavisten, also die Sekretäre oder Diener zu bestimmen, von denen jeder Papstwähler je zwei mit sich nehmen durfte. Schließlich wurden auch die Konklavewächter ernannt. Brandmüller schreibt: „In der ,sessio solemnis‘ vom 8. November 1417 wurden nun all diese Personen durch den Kardinaldekan de Brogny vereidigt, nachdem die Konklavebestimmungen von Clemens II. verlesen worden waren, die die harten Bestimmungen von ,Ubi periculum‘ Gregors X. etwas abmilderten. Demnach durften die Wähler zwei Konklavisten mitführen und die Beschränkung auf Brot und Wasser wurde aufgehoben. Man hatte früh zu Mittag gespeist und ritt dann zum Platz vor dem Bischofspalais, wo König Sigismund jeden einzelnen der 53 Papstwähler mit Handschlag begrüßte. Um ihn versammelt knieten nun alle nieder, worauf der Vizekämmerer der Heiligen Römischen Kirche, Manroux, Titularpatriarch von Antiochien, mit dem liturgischen Dienst das Münster verließ, über die Versammelten Gebete sprach und ihnen den Segen erteilte. Dann saßen sie auf und ritten – Sigismund an der Spitze – zu dem am Seeufer gelegenen ,Kaufhaus‘, wo das Papstwahlen vorbereitet war.“ Der Hochmeister des Ritterordens von Rhodos schloss das Tor und wich fortan Tag und Nacht nicht mehr von der Stelle.
Die Wähler waren also ins Papstwahlen eingezogen. Man hatte mancherlei Anstrengungen unternommen, um das Kaufhaus zum würdigen Schauplatz des historischen Ereignisses zuzurüsten. In den beiden oberen Böden waren 56 Doppel-Zellen durch Vorhänge abgeteilt und möbliert worden. Auch eine Kapelle war eingerichtet worden. Die Fenster des ersten Stockwerks waren zugemauert, die des oberen mit Brettern verschlagen und die Papstwähler Tag und Nacht auf Kerzenlicht angewiesen.
Es sei der Konzilschronist Richental gewesen, so schreibt Brandmüller, dessen Liebe zum Detail und dessen Kenntnis uns genaueste Informationen über die Einrichtung des Papstwahlen mitteilt, selbst den Umstand, dass es zwei „heimliche Gemach“ gab, für jedes Stockwerk eines.
Den ausführlichsten und chronologisch genauesten Bericht über die Vorgänge im Papstwahlen hat Felip de Malla an seinen König, den von Kastilien, gerichtet. Demnach begann man das eigentliche Wahlgeschäft am Morgen des 9. November 1417. Es wurde von der Versammlung beschlossen, dass schriftlich, aber nicht geheim abgestimmt werden solle. Während dieser Erörterungen vernahm man im Papstwahlen die Gebete und Gesänge der großen täglichen Bittprozession des Konzils, die eben zum ersten Mal von Konstanz aus vor das Kaufhaus gezogen war. Brandmüller wörtlich: „Unser Gewährsmann berichtet, dass daraufhin sich auch im Papstwahlen eine Stimmung der Andacht und Frömmigkeit ausgebreitet habe. Nicht wenige hätten Tränen der frommen Rührung vergossen und de Malla sah darin ein Zeichen für den Ernst und die lautere Gesinnung, die die Papstwähler beseelt habe. Am Morgen des 10. November erhob man sich sehr früh, um drei stillen Messen beizuwohnen, die Bischöfe de Dominicis und die Kardinäle de Chalant und Fillastre zelebrierten. Darauf folgte das erste Scrutinium. Natürlich waren während der letzten Wochen schon Papabili genannt worden, und man rechnete allgemein mit einem Italiener. Macia des Puig berichtete seinem König, dass Colonna und Foix, aber auch Bertrands, der Bischöfe von Genf, und Conzié im Gespräch seien.“
Im Verlauf der einzelnen Wahlgänge kristallisierten sich nun einige Namen heraus, die offenkundig als Papabili angesehen wurden. Die Stimmen der Kardinäle konzentrierten sich auf Brogny (8), Lando (12), Saluzzo (13), Colonna und Fillastre (je 5). Von den Nationen der Engländer und der Deutschen erhielten die Kardinäle nur vereinzelte Stimmen.
Der Martinstag, der 11. November 1417, sollte zum entscheidenden Wahltag werden. Während die Stimmen ausgezählt wurden und die Spannung wuchs, kam wiederum die tägliche Bittprozession zum Kaufhaus gezogen. Es waren 150 Sängerknaben. Ihr Hymnengesang, schreibt Brandmüller, „drang auch durch die Mauern des Papstwahlen, und unser katalanischer Gewährsmann sagt, er habe nie zuvor einen so ergreifenden, geradezu himmlischen Gesang gehört wie diesen. Viele der Versammelten seien zu Tränen erschüttert gewesen, und hätten der Aufforderung niederzuknien und zu beten spontan Folge geleistet. Man sang das ,Veni creator‘ mit gedämpfter Stimme, de Brogny sprach die Oration ,Deus, qui corda fidelium‘, jeder ging an seinen Platz zurück, und die Stimmenauszählung wurde beendet.“ Die Zahl der Kardinalsstimmen für die Favoriten hatte sich nur unwesentlich geändert. Colonna gewann drei Stimmen hinzu und zählte nunmehr acht. Doch jetzt kam es nicht zu einem weiteren Wahlgang, sondern es folgte der Akzess, der Hinzutritt zu den ermittelten Hauptkandidaten.
Die Ereignisse begannen sich zu überstürzen, schreibt Brandmüller: „Die Spanier einigten sich auf den Bischöfe von Genf und die Kardinäle Brogny und Saluzzo, die Italiener und Engländer auf Colonna, dem – plötzlich – auch Correr und Condulmer beitraten, und dann die ganze Natio Germanica. Von der Hispanica fehlten Colonna nur noch die Stimmen der Bischöfe von Cuenca, Badajoz und Dax. Auch drei der Gallicana. Es dauerte aber keine zwei Pater noster mehr und die Wahl war geschehen. Nie – so Felip de Malla – habe er die Macht des Gebetes so sehr erfahren wie in diesem Augenblick. Innerhalb einer halben Stunde war der Akzess geschehen und in plena et perfecta concordia eine einmütige Wahl erfolgt. Auf die Frage, ob er diese annehme, antwortete Colonna: ,Allmächtiger Gott, du machst den Sünder gerecht, du hast dies getan, dir sei Lob und Ehre‘.“
Nun öffnete man das Tor, verkündete Habemus papam und freudestrahlend trat Sigismund als erster ein, nach ihm die anderen Konklavewächter, um dem Papst Obedienz zu leisten. Unverzüglich und ohne zu Mittag zu speisen ordnete man sodann die feierliche Prozession, die wegen der ungeheuren Volksmenge, die sich auf den Straßen drängte, nur mit Mühe das Münster erreichte. Dort spendete der Papst den Segen und dann ging's zu Tisch.
Dieses Papstwahlen zu Konstanz, so Brandmüller abschließend, erscheint „als ein in hervorragendem Maße geistliches Ereignis, das umso mehr als ein Geschenk des Himmels empfunden wurde, als die Vorgeschichte ganz anderer Art gewesen war. Nicht nur die unmittelbaren Zeugen, sondern die ganze Christenheit wurde durch diese Wahl und die durch sie bewirkte Beendigung des Schismas mit überaus großer Freude und Dankbarkeit erfüllt. Beredtes Zeugnis hierfür sind etwa die deutschen Städtechroniken des Spätmittelalters, von denen keine das Konzil erwähnt, ohne der glücklichen Wahl Martins V. zu gedenken: Item an sant Martins tag ward der babst Martinus erwölt, ain ainiger babst, gott sei gelopt.“
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