Moskau/Kiew

Die Kirche ist kein Faktor mehr

Die Russland-Krise offenbart einen Bedeutungsverlust der europäischen Christenheit. Zwischen den Zeiten des Mauerfalls 1989/1990 und heute liegen Welten.
Papst Franziskus spricht Angelusgebet
Foto: Gregorio Borgia (AP) | Die Reise von Franziskus in die Ukraine hat nicht stattgefunden. Im Vatikan geben sich in diesen hektischen Tagen der Russland-Krise die Diplomaten nicht mehr die Klinke in die Hand.

Als Johannes Paul II. am Mittwoch, den 3. Oktober 1990, die Synodenaula des Vatikans betrat, begrüßte er die Bischöfe mit zwei Worten: "Guten Morgen." Auf Deutsch. In der Nacht waren die Länder der DDR der Bundesrepublik Deutschland beigetreten. Die Mauer war gefallen. Und der polnische Papst wollte den Bischöfen, die gerade an einer römischen Synode über die Priesterbildung teilnahmen, zumindest andeuten, dass er sich der historischen Bedeutung der Stunde der Wiedervereinigung Deutschlands   durchaus bewusst war.

Aber er war natürlich mehr als nur auf dem Laufenden. Der Fall des Eisernen Vorhangs, das Ende des Kalten Kriegs, der Untergang des Warschauer Pakts und die Neuordnung Europas hatten den Slawen auf dem Petrusstuhl als einen Protagonisten gesehen. Der Papst, der aus dem kommunistischen Ostblock kam, hatte seine Rolle in den großen Umwälzungen zu spielen verstanden.

Der Papst ist nicht mehr dabei

Michael Gorbatschow war zuvor in Rom gewesen. Seine Begegnung mit Papst Wojtyla hatte den Hauch einer Sternstunde. Den nach Freiheit dürstenden Polen war Johannes Paul II. Stütze und Motivation gewesen. Von Polen über den Vatikan in die Kanzleien der westlichen Mächte liefen die Kontakte - und zurück und hin und her. 

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Das Rad der Geschichte hat damals tatsächlich eine Umdrehung nach vorne gemacht. Und der römische Papst war dabei. Jetzt will Wladimir Putin das Rad der Geschichte zurückdrehen. Und angesichts der größten Bedrohung, die Europa und der Westen seit Kuba-Krise und Mauer-Bau erlebt haben, ist der Papst nicht mehr dabei. Die Reise von Franziskus in die Ukraine hat nicht stattgefunden. Im Vatikan geben sich in diesen hektischen Tagen der Russland-Krise die Diplomaten nicht mehr die Klinke in die Hand. Das große Wort von der "Brüderlichkeit", das der Papst zum Schlüsselwort des interreligiösen Friedensdialogs erhoben hat, ist unter die Räder der aufmarschierenden Truppen rund um die Ukraine geraten. Dabei geht es bei der Krise noch nicht einmal um einen Konflikt zwischen den Religionen. Russland und die Ukraine sind Kernlande der Orthodoxie. Aber im innerorthodoxen Streit sind Worte aus Rom wie ein stumpfes Schwert. Die Ukraine hin, Putin her - Papst und Vatikan sind von der Bühne völlig abgemeldet.

Das geht einher mit der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der Kirche in Europa. Mit der Rute der Missbrauchsskandale werden die Episkopate abwechselnd durch die Gassen und medialen Kanäle getrieben. Mal in Irland, mal in Deutschland, mal in Frankreich, demnächst vielleicht auch in Spanien, Italien oder Polen.

Europa, du bist alt geworden

Das christliche Europa stand geeint gegen den Kommunismus. Aber aus seinem Anti-Kommunismus hat das Christentum keine Kraft bezogen. Es ging ihm wie der "Democrazia cristiana" in Italien, die stramm antikommunistisch war, aber mit dem Ende des italienischen Kommunismus selbst zerfiel. Das christliche Europa hat nicht gelernt, so wie es die Vision von Johannes Paul II. war, aus zwei Lungen zu atmen, einer westlichen und einer östlichen. Beide Lungenflügel zerfrisst der Krebs. Den östlichen der Nationalismus, den westlichen der Hedonismus, der nicht zuletzt darin seinen Ausdruck fand, dass sich Kleriker zwecks Lustgewinn an Knaben vergriffen.

Europa, du bist alt geworden, so die Diagnose von Papst Franziskus. Die Frischzellenkur kann nur aus der Mitte der Heiligen Schrift und der Offenbarung kommen. Für neue Formen von Gemeinschaft, in denen das intellektuelle und tugendhafte Leben weiterleben kann, warb der Philosoph Alasdaire MacIntyre in seinem Buch "Der Verlust der Tugend" und prägte den berühmten Satz: "Wir warten nicht auf einen Godot, sondern auf einen anderen, zweifelsohne völlig anderen heiligen Benedikt". Der Boden ist bereitet. Aber es wird nicht genügen, einfach gegen etwas zu sein. Der Neuanfang muss schon ein positiver sein. Was eigentlich zur DNA des Christentums gehört.

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