Herr Kardinal, die nordischen Bischöfe haben in ihrem Hirtenbrief Grundsätze der christlichen Anthropologie bekräftigt. Welche Reaktionen haben Sie darauf bekommen?
Wir sind sehr überrascht über die Reaktionen aus aller Welt. Die meisten sind sehr positiv. Natürlich gibt es auch einige Stimmen, die sagen, dass wir nicht offen genug sind, zum Beispiel für Transpersonen. Aber im Allgemeinen ist man zufrieden, dass wir versucht haben, darauf zu schauen, wie wir als Christen heute mit dem biblischen Menschenbild leben können. Wichtig ist, dass wir akzeptieren, dass wir entweder Mann oder Frau sind. Die biblische Auffassung vom Menschen ist immer noch gültig. Hier in Schweden haben auch einige Nichtkatholiken Fragen zum Hirtenbrief gestellt, zum Beispiel nach der möglichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.
Wo sehen Sie für die katholische Kirche derzeit Möglichkeiten, sich zu neuen humanwissenschaftlichen Diskussionen, etwa um den Transhumanismus kompetent zu äußern?
Indem wir versuchen, die traditionelle biblische Lehre über das Menschsein zu beschreiben. Wir können nicht versuchen, alle mit diesen Debatten verbundenen offenen Fragen zu beantworten, aber wir können sagen, dass Gott uns als Mann und Frau geschaffen hat. Grundsätzlich bleibt der Mensch immer Mensch, entweder Mann oder Frau. Gott hat uns so gewollt. Auch wenn Mann und Frau ein anderes Geschlecht wählen, bleibt es, wie es ist. Natürlich müssen wir alle Menschen mit Liebe und Respekt behandeln.
"Grundsätzlich bleibt der Mensch immer Mensch,
entweder Mann oder Frau. Gott hat uns so gewollt"
Sie haben in Ihrem Hirtenbrief daran erinnert, dass es Aufgabe der Bischöfe ist, Wegweiser zum Pfad der Gebote Christi zu sein. Was antworten Sie Christen, die glauben, die Kirche würde die Menschen heute besser erreichen und eher für die Botschaft des Evangeliums gewinnen, wenn sie ihre Lehre ändert?
Die Lehre ist eng mit dem sittlichen Leben verbunden. Gott hat uns das biologische Leben geschenkt. Daraus ergeben sich Antworten auf grundsätzliche Fragen. Wichtig ist, dass der Mensch aus biologischer und theologischer Perspektive bleibt, was er ist. Er hat natürlich die Freiheit, innerhalb dieses biologischen Seins vieles zu tun. Aber die Kirche will ihm grundsätzlich helfen, ein gutes, glückliches Leben in Gottes Gegenwart zu leben. Deshalb haben wir die Gebote bekommen. Sie sind für uns eine Hilfe. Aber wir müssen sie gut studieren, die Lehre besser kennenlernen und die Tradition und Sichtweise der der Bibel tiefer erfassen. Dann versteht man die Positionen der Kirche besser.
Was bedeutet das Festhalten an der Lehre praktisch, wenn beispielsweise die Lehrpläne der Schulen ganz andere Inhalte vorgeben als die Kirche? Oder wenn Mitarbeiter im Gesundheitswesen um ethische Standards ringen?
Das bedeutet, dass wir uns um einen tieferen Dialog zwischen Kirche, Wissenschaft und Gesundheitswesen bemühen müssen. Das Problem ist, dass es schwierig ist, Orte für den Austausch zu finden. Es gibt Ideologien, neben denen die Kirche immer nur sehr mühsam ins Gespräch kommt. Einfacher ist es, von Mensch zu Mensch zu sprechen in der Familie, bei der Arbeit und auch in der Kirche , auch wenn wir verschiedene Auffassungen haben. Dann lässt sich besser erklären, was die Kirche meint, und man kann einen gemeinsamen Weg finden. Das größte Problem besteht heute darin, dass wir nicht miteinander sprechen, sondern aneinander vorbeireden. So kommt man aber nicht vorwärts. Wir müssen den Trend zur Polarisierung überwinden. Das kann nur im Kleinen geschehen.
Wie groß ist Ihr Vertrauen in wissenschaftliche Plattformen? Inwieweit taugen unsere Hochschulen noch für diesen Austausch?
Ab und zu ergibt sich diese Möglichkeit, aber natürlich sind auch manche Kreise in den Hochschulen sehr ideologisiert. Hinter den Kulissen finden sich immer Menschen, die bereit sind, offen zu sprechen und zuzuhören.
Was erwarten Sie vom Synodalen Prozess der Weltkirche?
Ich erwarte, dass wir zusammen als katholische Christen einen Weg für eine Neuevangelisation finden, das heißt, dass wir nicht mehr über die Funktionen und die Machtverhältnisse oder unsere eigenen Probleme sprechen. Die Welt soll Glaube, Hoffnung und Liebe haben. Die Kirche muss versuchen, über Christus und seine Lehre zu sprechen und mit der Botschaft Christi auf die Welt zuzugehen statt über sich selbst zu sprechen. Die Welt braucht die Botschaft Christi. Wenn wir ihr das nicht geben können, dann ist der Synodale Prozess irgendwie gescheitert. Die Welt interessiert sich nicht für unsere inneren Verhältnisse. Wir sind nicht so wichtig. Wir sind nur als Verkünder und Propheten relevant. Der Synodale Prozess ist eine wunderbare Möglichkeit, gemeinsam für den Glauben in der Welt aufzutreten und unsere Einheit zu bekräftigen. In Schweden war das der Tenor: mehr Einheit untereinander schaffen. Es besteht die Gefahr, dass wir in verschiedene Gruppen zerfallen; bei uns in die verschiedenen Sprachgruppen und Ethnien, in Deutschland vielleicht in links und rechts.
"Ich erwarte, dass wir zusammen als katholische Christen
einen Weg für eine Neuevangelisation finden, das heißt,
dass wir nicht mehr über die Funktionen und die
Machtverhältnisse oder unsere eigenen Probleme sprechen"
Papst Franziskus hat nach Ostern erneut erklärt, dass die Synode kein Parlament sei. Wie erklären Sie Menschen, dass christliche Mehrheiten nicht automatisch mit dem Wirken des Heiligen Geistes gleichzusetzen sind, auch wenn in Deutschland manche Katholiken Mehrheitsbeschlüsse als das Wehen des Heiligen Geistes ansehen?
Dass Mehrheitsbeschlüsse identisch mit der Stimme des Heiligen Geistes sein sollen, ist natürlich eine nichtbiblische Auffassung. Die Bibel verweist auf die kleine Gruppe der Heiligen, die den Glauben bewahrt. Das Volk Israel im Exil war eine ganz kleine Minderheit, aber es bewahrte die Tradition. Und auch heutzutage ist nur die kleine Minorität in unseren Ländern christlich geblieben. Wenn unsere Bindung mit der Welt und den gesellschaftlichen Strukturen zu eng wird, besteht die Gefahr, dass wir auch die Auffassungen der Welt übernehmen. Die Demokratie ist gut für die Welt, aber in der Kirche sieht das anders aus. Da gilt Wahrheit, Liebe, Barmherzigkeit und Heiligkeit. Das zu erklären, ist eine große Aufgabe. Bei uns in Schweden ist es einfacher, weil wir als Katholiken nur eine winzige Minderheit darstellen und es gewohnt sind, anders zu denken als die Mehrheit. Das Problem in Deutschland ist, dass die Kirche dort ein Teil der Gesellschaft ist. Man hat irgendwie nicht verstanden, dass sich die Welt so radikal geändert hat, dass Christen sich etwas abseits stellen und bedenken müssen, dass wir etwas anderes zu bieten haben: Evangelium, Barmherzigkeit, Heiligkeit. Für die Welt ist das nicht unmittelbar zu verstehen. Unsere Aufgabe ist es, das zu erklären.
Der Heilige Vater fordert immer wieder zur Umkehr auf. Wo würden Sie als Bischof ganz praktisch ansetzen, um das zu verwirklichen?
Umkehr ist eine persönliche Sache. Wir müssen die Herzen der Menschen ansprechen. Das beginnt immer in der Welt selbst. Jeder Mensch muss verstehen, dass er zur Umkehr und Vereinigung mit Christus berufen ist und in der Pfarrei die Möglichkeit bekommt, sich einzusetzen. Spirituell gesehen bedeutet Umkehr, dass man eifriger betet, häufiger die heilige Messe besucht. Praktisch bedeutet Umkehr auch, einfacher, franziskanischer zu leben. Man kann den Flüchtlingen und Armen helfen. Man kann die Natur mehr schätzen als große Autos.
Welchen Eindruck haben Sie von der Kontinentalsynode in Prag gewonnen?
Es wurde versucht, die verschiedenen Beiträge zusammenzuführen und mit einer Stimme zu sprechen. Das war nicht einfach, weil die Situation vor Ort so verschieden ist. Aber irgendwie wurde ein Weg gefunden, um die Frohe Botschaft in den Mittelpunkt zu stellen, weniger die strukturellen Fragen. Die Kirche darf nicht so viel über sich selbst nachdenken. Das, was sie zu geben hat, hat sie nicht nur für sich selbst, sondern um der Welt die Liebe und Größe Christi anzubieten. Nicht, dass in Prag alles gesagt wurde, was zu sagen wäre. Aber man hat einen gemeinsamen Nenner für alle gefunden. Das finde ich bewundernswert.
Nach der Prager Kontinentalsynode hat die Mehrheit der fünften Synodalversammlung in Deutschland für die Zulassung von Frauen zu Weiheämtern, für die Segnung homosexueller Paare sowie die Laienpredigt gestimmt. Wie stehen Sie zu diesen Forderungen?
Ich finde es schade, dass man in Deutschland einen Sonderweg gewählt hat. Der Gedanke, eine Ortskirche könne einen Sonderweg führen, ist vielleicht typisch deutsch. Aber das geht nicht. Und der Weg zurück wird immer schwieriger. Und das kann natürlich sehr schmerzlich werden, wenn sich zeigt, dass es nicht möglich ist, einen Sonderweg zu gehen und katholisch zu bleiben. Die Ortskirche muss immer im Dialog mit der Weltkirche ihren Weg finden. Das wird für die deutschen Katholiken nicht ganz einfach sein.
"Ich finde es schade, dass man in
Deutschland einen Sonderweg gewählt hat"
Wie wird sich der deutsche Sonderweg auf die Synode der Weltkirche auswirken?
Ich denke nicht, dass die deutsche Sicht viel Einfluss auf die Weltkirche hat. Auch wenn die Beschlüsse des Synodalen Wegs für Deutschland wichtig sind - Deutschland ist nur ein kleiner Teil der Weltkirche. Natürlich werden wir diese Fragen irgendwie berühren, aber die deutsche Sicht wird nicht so wichtig sein, wie man vielleicht in Deutschland denkt. Die deutsche Stimme ist nicht die wichtigste der Weltkirche. Es kann sehr peinlich werden, wenn man in Deutschland sieht, dass die Themen des Synodalen Wegs in der Weltkirche nicht so eine große Rolle spielen wie in der deutschen Ortskirche.
Wie können sich die deutschen Katholiken da zurechtfinden?
Es ist möglich, sich einzugestehen, dass nicht alle Antworten aus Deutschland kommen. Natürlich kann man Ideen weitergeben, aber man kann nicht damit rechnen, dass alle diese Ideen übernehmen. Als Nationalkirche einen Sonderweg zu gehen, wie Luther es mal gedacht hatte, geht nicht. Die deutschen Katholiken sollen versuchen, zusammen mit der Weltkirche weiterzugehen und einen gemeinsamen Weg zu finden. Dazu muss man sich bewusst machen, dass man Teil der Weltkirche ist.
Welche Rollen spielen diese Reizthemen bei Ihnen im ökumenischen Dialog mit den evangelischen Christen?
Die evangelische Gemeinschaft mischt sich aus Respekt nicht in katholische Debatten ein. Ich erlebe selten, dass evangelische Theologen oder Bischöfe Katholiken zur Zulassung von Frauen zum Weiheamt raten, weil sie das für richtig halten. Natürlich mag es sein, dass einige so denken, aber wir sind im ökumenischen Dialog so weit gekommen, dass man sich nicht einmischen will. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir uns aus dem Innenleben einer anderen christlichen Kirche oder Gemeinschaft heraushalten.
Die katholische Kirche in Schweden wächst seit Jahren. Warum entscheiden sich Menschen für die katholische Kirche, obwohl die lutherische Staatskirche in Schweden ein liberaleres Modell der christlichen Nachfolge anbietet, das dem gesellschaftlichen Mainstream eher entspricht?
Wer nach Schweden kommt und katholisch bleiben will, versucht, seinen Glauben persönlich zu vertiefen, um überhaupt als Katholik zu überleben. Es ist nicht so einfach, in einer postlutherischen, säkularen Gesellschaft als Katholik zu leben. Dadurch werden ihnen ihre katholischen Überzeugungen erst wichtig. Bei den Konvertiten zeigt sich, dass sie suchen, was die Kirche zu bieten hat. Sie kommen nicht, um die Kirche zu verändern, sondern um von der Kirche bereichert zu werden. Und natürlich können sie auch etwas von ihren Traditionen mitbringen. Aber sie wollen nicht die Kirche protestantischer machen, sondern sie wollen diese katholische Vielfalt bereichern durch ihre Erfahrungen. Derzeit hilft uns beispielsweise ein ehemaliger Prediger der Pfingstkirche bei der Evangelisierung. Er ist sehr erfahren in der Verkündigung. Das kann uns helfen. Es gibt aber auch Konversionen zu den Protestanten.
Ein viel diskutierter Punkt in Deutschland ist die Verbindlichkeit des Ausschlusses von Frauen vom Weiheamt. Ist diese Frage aus Ihrer Sicht durch Papst Johannes Paul II. mit dem Schreiben ,,Ordinatio sacerdotalis" definitiv beantwortet? Oder sehen Sie Spielraum für weitere Diskussionen, weil es sich nicht um ein Dogma handelt?
Das ist natürlich eine sehr spezifische theologische Frage, zumal immer noch über das Diakonat für Frauen diskutiert wird. Aber grundsätzlich hat Johannes Paulus II. einen Punkt hinter die Aussage gesetzt, dass Frauen keinen Zugang zum Weihepriestertum haben. Dazu ist natürlich zu sagen, dass Frauen viele andere Möglichkeiten in der Kirche offenstehen. Auch Papst Franziskus hat versucht, mehr und mehr Raum für Frauen in der Kirche zu schaffen. Es ist traurig, wenn sich Katholiken nur auf die Frage des Weiheamts konzentrieren, denn es gibt so viele Möglichkeiten für Frauen, sich in der Kirche zu engagieren und Einfluss auszuüben.
"Es ist traurig, wenn sich Katholiken nur auf die Frage
des Weiheamts konzentrieren, denn es gibt
so viele Möglichkeiten für Frauen, sich in
der Kirche zu engagieren und Einfluss auszuüben"
Was braucht die Kirche in Deutschland aus Ihrer Sicht nun?
Vielleicht muss der Heilige Geist ein Wunder wirken. Auch in einer so schwierigen Situation können Wunder geschehen. Das ist meine größte Hoffnung, denn ich habe eine große Liebe zu den deutschen Katholiken. Wer wirklich an die Katholizität der Kirche glaubt, wird zur Einheit zurückfinden. Es wird vielleicht ein schwieriger Prozess werden; vielleicht gehen einige enttäuscht weg. Aber ich hoffe und glaube, dass wir einen Weg in die Zukunft finden.
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