Zuletzt habe der emeritierte Papst eine "innere Unruhe" mit Blick auf die Entwicklung in Deutschland verspürt, verriet sein Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, im Wienerwald am vergangenen Wochenende. Aber auch, dass die Kommunikation im letzten Halbjahr des Lebens von Papst Benedikt XVI. "schwierig" gewesen sei und bereits mehr "die Augen gesprochen" haben. Eher bestätigend denn überraschend war für die Besucher der Fachtagung im Kaisersaal des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz, dass Benedikt XVI. die Liturgie "besonders am Herzen" lag, und dass sein Wille, "nicht Herr des Glaubens, sondern Diener eurer Freude" zu sein, der "Schlüssel zu seinem Leben" war. Ratzinger habe erkannt, dass der Verzicht auf die Wahrheit in die "Diktatur der Beliebigkeit" führe, habe die wissenschaftliche Theologie in jungen Jahren als seine Berufung empfunden und "wollte mitdenken mit den großen Denkern des Glaubens", so Gänswein.
Die Erzählungen, Einordnungen und Wegweisungen von Erzbischof Gänswein waren bei der Tagung über "Das Prophetische in der Theologie von Benedikt XVI." in Heiligenkreuz gewiss der Publikumsmagnet. Der einzige Höhepunkt waren sie nicht, denn die sorgsam komponierte Dramaturgie der Tagung war auf Ergänzung angelegt, nicht auf Überschneidungen. "Die katholische Weite, die im Denken Joseph Ratzingers zum Ausdruck kommt, betrachten wir als Hochschule als das Erbe Ratzingers", sagte der Rektor der bislang einzigen nach Benedikt XVI. benannten Hochschule, der Fundamentaltheologe Wolfgang Klausnitzer. Er stellte klar, dass es keine Frontstellung sei, sondern überaus legitim, eine Hochschule nach dem großen Theologen-Papst zu benennen und sein Erbe hochzuhalten.
Vorreiter einer christlichen Aufklärung
Das "Instrumentarium zum Fassen des Unfassbaren" habe die griechische Philosophie vorbereitet, meinte die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und widersprach in der Tradition Ratzingers den Rufen nach einer "Enthellenisierung" des Christentums: "Alle Lampen Griechenlands brannten für die Sonne, die Christus heißt." Die Philosophie habe den Weg für den neuen Glauben vorbereitet. Ratzinger habe im Widerstreit der Theologen früh darauf verwiesen, dass das junge Christentum hier zuerst der Frage nach der Wahrheit begegnete. "Aber die erschütternde Begegnung mit dem lebendigen Gott geht über das philosophische Denken hinaus." Ratzinger habe die Unersetzlichkeit wie die Grenze der Vernunft gesehen und einer "Aufklärung über die Aufklärung" den Boden bereitet. Gerl-Falkovitz stellte Ratzinger als "Vorreiter einer Aufklärung" und als Denker einer Synthese von Glaube und Vernunft vor, der zugleich vor den "Pathologien der Religion und der Vernunft" gewarnt habe. Religion müsse der Wahrheit verpflichtet bleiben. Gerade weil der Mensch wahrheitsfähig ist, könne er nicht zur Wahrheit gezwungen werden, bilanzierte die Philosophin Benedikts oft missverstandene "Regensburger Rede". Das Ziel sei nicht ein Minimalkonsens an Ethos, sondern "die größtmögliche Anstrengung um Wahrheit". Es sei der Vernunft eigen, dass sie sich selbst übersteigt - auf Wahrheit hin.
In der Warnung vor der Verweltlichung der Kirche sieht der Abt von Heiligenkreuz, Maximilian Heim, einen Gleichklang zwischen Benedikt XVI. und seinem Nachfolger. Ratzinger habe nicht erst in seiner berühmten Freiburger Rede, sondern bereits in einem Aufsatz im Jahr 1958 für eine Entweltlichung der Kirche plädiert. Heute prangere Papst Franziskus die Verweltlichung als schlimmstes Übel in der Kirche an. Abt Maximilian Heim analysierte den Brief von Franziskus an das pilgernde Gottesvolk in Deutschland und meinte, es sei bezeichnend, dass bei den Synodalversammlungen in Frankfurt Gott in den Diskussionen fast keine Rolle spielte. Bei Benedikt XVI. wie bei Franziskus sei ein "Primat der Evangelisierung" offenkundig. Beide Päpste mahnten zur Erneuerung durch Umkehr und lehrten die Berufung aller zur Heiligkeit. Jedoch würden "die prophetischen Mahnungen der Päpste" oft ignoriert oder missverstanden. "Die Kirche wächst und blüht, wo sie nicht um sich selbst kreist oder nur über Strukturen und Machtverteilung diskutiert", so Abt Maximilian Heim.
Christian Schaller, Vize-Direktor des "Institut Papst Benedikt XVI." in Regensburg und wie Abt Maximilian Heim und Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz Ratzinger-Preisträger, verwies auf die zentrale Stellung der Christologie im Denken des verstorbenen Papstes. Erst durch die gemeinsame Ausrichtung auf Christus entstehe eine "Wir-Struktur des Glaubens". Die volle Menschwerdung des Menschen setze laut Ratzinger die Menschwerdung Gottes voraus. Christliche Theologie kreise nicht um Legenden und Mythen, sondern um das Eingreifen Gottes in die Geschichte. "Christsein ist Beteiligung am unendlichen Geheimnis der Inkarnation." Die Kirche sei auch nur "im Hingewandt-Sein auf Christus" zu reformieren. Ratzingers "integrative" Theologie gebe Antwort auf moderne Fragen, so Schaller. Seine "synthetische Art, Theologie zu treiben" setze voraus, dass Gott ist und zwar nicht nur eine Hypothese.
Bemüht, das Kostbarste zu bewahren
"Gott hat sich in der Geschichte gezeigt", betonte auch der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück. "Der erhöhte Herr ist die Mitte der Kirche. Die Kirche ist kein Sozialgebilde - sie ist exzentrisch, denn sie hat ihre Mitte außerhalb ihrer selbst." So umgreife sie Verstorbene und Lebende. Tück zeigte, dass Benedikt XVI. sich in seiner Enzyklika "Spe salvi" der an die Kirche gerichteten Kritik einer individuellen Jenseitsvertröstung stellte. Die Hoffnung auf Vollendung im Jenseits dispensiere nicht vom Einsatz im Diesseits. Die politischen Utopien, auch von Karl Marx, verlagerten die Jenseits-Hoffnung in eine Zukunfts-Hoffnung, ohne damit Gerechtigkeit für die verstorbenen Opfer der Geschichte anbieten zu können. "Benedikt XVI. dagegen verbindet die Hoffnung auf die Auferstehung des Fleisches mit einer Theologie des Gerichts." Diese Hoffnung sei nicht gnostisch verwässert, sondern fleischlich: "Gott nimmt die geschaffene Welt in die Auferstehung mit hinein." Das sei österlicher Glaube: Der Richter, der zugleich der Retter ist, richte die Wahrheit auf, erinnere das Vergessene und bringe das Verborgene und Vertuschte ans Licht. Das Purgatorium habe Ratzinger als "personale Konfrontation mit Christus, dem Retter" neu interpretiert, als einen "kritisch-therapeutischen Prozess", der "aus Vollendungsbedürftigen Vollendete" mache.
Der Neutestamentler Marius Reiser wähnt die Exegese im Zentrum der Theologie Joseph Ratzingers, der das Hauptproblem darin gesehen habe, dass die Gestalt Jesu in der modernen Theologie immer mehr an Kontur verlor. Reiser unterzog die sogenannte historisch-kritische Exegese einer Kritik und zeigte an Beispielen, dass sie vielfach "nur beschränkt historisch und beschränkt kritisch" arbeite. Das Bemühen Benedikts XVI. darum, "das Kostbarste zu bewahren", schilderte Pater Wolfgang Buchmüller in seinem Referat über den "Geist der Liturgie". Der Mensch sei hier nie der Hauptakteur, denn Liturgie sei "Werk Gottes und für Gott", sei "Abbild der ewigen Wirklichkeit".
Dem Predigtwerk Ratzingers wandte sich die Theologin Michaela Hastetter zu. Sie verwies darauf, dass die Predigt sich "nicht nur aus Glaubenswissen, sondern aus Glaubenserfahrung speist". Viel Applaus erhielt Hastetter in Heiligenkreuz, als sie die Worte des Schriftstellers Franz Werfel über den Propheten Jeremia auf Papst Benedikt bezog: "Dieser Prophet war ein empfindsamer Mann, der in schonungslosem Widerspruch stand zu seiner Welt und Zeit. Er war ein scheuer Mann, den auch die einleuchtenden und machtgebietenden Irrtümer dieser Erde nicht gebeugt haben. Denn er gehorchte keinem anderen als der Stimme Gottes, die in ihm und zu ihm sprach."
Die ganze Tagung im Video:
Die gesamte Tagung sehen Sie im YouTube- Kanal des Stift Heiligenkreuz in dieser Playlist.
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