Kaum etwas war unbedacht in den Entscheidungen Joseph Ratzingers. Ohne Frage auch seine Entscheidung nicht, sich nach seiner Wahl zum Stellvertreter Christi den Namen Benedikt zu geben. Denn kein Name wäre passender gewesen als der des „Benedictus“, des „Gesegneten“. Kein Patron wäre passender gewesen als der heilige Benedikt für einen Mann, der innerlich lebte wie der Mönchsvater, auch wenn er sich äußerlich mit den Ämtern bekleiden ließ, zu denen Gott ihn berief.
Orte der Heiligkeit
Benedikt von Nursia war kein Revolutionär, der die Welt verbessern wollte. Er wollte Orte der Heiligkeit schaffen, an denen Menschen ihre eigene Heiligkeit finden konnten. Er wollte Orte schaffen, an denen die Menschen im Erklimmen der zwölf Stufen der Demut lernten, dass sie alleine nichts vermögen, mit Gott aber alles. Und mit diesen Orten der Heiligkeit stieß der heilige Benedikt eine Revolution an, die Europa für immer veränderte. Keine laute, schnelle, blutige Revolution, sondern eine sanfte Revolution, die über Jahrhunderte hinweg, leise und in den abgelegensten Orten der Welt passierte. Ihre Helden sind keine glorreichen Kämpfer auf den Barrikaden, sondern einfache Frauen und Männer, die sich in abgeschiedener Stille auf die Suche nach der Wahrheit begeben.
Unsere Generation sucht Gott
Joseph Ratzinger war einer dieser Revolutionäre. Er war kein Mann der Welt, er konnte sich nicht mühelos elegant und aktuell-politisch versiert auf jedem diplomatischen Parkett bewegen und verlor bei Übertragungen im Fernsehen oder Radio ohne Frage einen Großteil seines leisen, klugen Charismas, mit dem er in Vorlesungssälen, am Ambo und vor allem in seinen Büchern die Menschen in den Bann zog. Joseph Ratzinger war ein Revolutionär der benediktinischen Revolution, die mit ihren schlichten Werkzeugen des „Ora et Labora et Lege“ die Welt mit der Liebe, Wahrheit und Schönheit Gottes durchdrungen hat. Und genau diese Revolution brauchen wir.
Wir sind eine Generation, die betäubt von dem Lärm, der uns umgibt, unter den Ablenkungen, Anstrengungen und Nichtigkeiten dieser Welt zusammenzubrechen droht. Wir sind eine Generation, die gefangen ist zwischen völliger Veränderung und absoluter Resignation. Wir sind, ob unbewusst oder bewusst, eine Generation auf der Suche nach Gott. Und Gott hat uns dabei geholfen, Ihn zu finden, indem er unserem Jahrhundert einen Papst gegeben hat, der dieser Suche nach Gott sein ganzes Leben gewidmet hat. Gott hat uns einen Papst gegeben, der uns ermutigt hat, unseren Verstand einzusetzen, keine Angst vor der Wahrheit zu haben, den Glauben zu durchdringen und den Mut zu haben, ihm dann auch zu folgen. Ganz anders als viele andere Stimmen traute Papst Benedikt unser Generation etwas zu – ja, er baute sogar auf uns, wie er uns in der Botschaft zum Weltjugendtag 2006 zusicherte: „Denkt daran: Die Kirche vertraut auf Euch!“
Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters
Durch seine Schriften, seine persönlichen Ansprachen und sein vorbildhaft demütiges und gehorsames Leben wurde er zu einem Benedikt von Nursia unserer Zeit, der in seinem Leben und seinen Lehren den Beginn der Benediktsregel verkörperte: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat!“ Papst Benedikt XVI. war einer der letzten großen benediktinischen Revolutionäre. Er war ein Papst der Weltkirche, ein Papst, der die Weite des Katholischen immer einer Enge jeglicher Ideologie vorzog.
Geprägt von der Erfahrung der tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts, warnte er unsere Generation schon 2005 in Köln vor den ideologischen Versuchungen unserer eigenen Zeit und zeigte uns in befreiender Klarheit, wo wir das finden, was wir suchen: „Nicht die Ideologien retten die Welt, sondern allein die Hinwendung zum lebendigen Gott, der unser Schöpfer, der Garant unserer Freiheit, der Garant des wirklich Guten und Wahren ist. Die wirkliche Revolution besteht allein in der radikalen Hinwendung zu Gott, der das Maß des Gerechten und zugleich die ewige Liebe ist. Und was könnte uns denn retten wenn nicht die Liebe?“
Benedikt XVI. wurde zum Vater unserer Generation
Für unser zerrüttetes und absterbendes Europa wurde Benedikt XVI. zum Vater. Zum Vater Europas und zum Vater unserer Generation: als Theologe in seinen Schriften, als Papst in seinem Wirken und als Emeritus in seinem beständigen Gebet. Was auch immer das 21. Jahrhundert noch mit sich bringt für die Kirche in Europa, wir wurden darauf vorbereitet. Wir wurden geprägt durch einen Mann, der in uns den Mut erweckt hat, die Heiligkeit in dieser Welt zu erhalten. Nach seinem Rücktritt als Papst wünschte Joseph Ratzinger sich, als „Vater Benedikt“ angesprochen zu werden. Und genau das ist er für uns.
Danke Vater Benedikt, dass Du uns im Glauben gestärkt hast. Danke, dass Du uns in der Lehre der Kirche, dem Leben Jesu, den Geheimnissen des Glaubens und der Schönheit der Liturgie Orte der Heiligkeit gezeigt hast. Danke, dass Du für unsere Generation gekämpft hast, um uns vor Ausweglosigkeit und Nihilismus zu bewahren. Danke, dass Du uns Mut gemacht hast zur Hoffnung und zur Liebe. Danke, dass Du für uns ein geistlicher Vater warst. Wir sind keine verlorene Generation – wir sind die Generation Benedikt.
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