Der dankbare Kampf um das Leben

Vor vierzig Jahren überlebte Gianna Jessen ihre Abtreibung – Die evangelikale Christin hat ihrer Mutter vergeben. Von Katrin Krips-Schmidt
Gianna Jessen
Foto: IN | Vital und dankbar für das Leben: Gianna Jessen.

Wäre es nach dem Willen ihrer Mutter gegangen, gäbe es Gianna Jessen gar nicht. Die hübsche Frau, die gerade ihren 40. Geburtstag feierte, ist eine der wenigen Überlebenden einer Abtreibung. Ihre leibliche Mutter war siebzehn Jahre alt, als sie in der 30. Schwangerschaftswoche eine Abtreibungsklinik aufsuchte.

Seitdem Gianna vierzehn ist, spricht die überzeugte evangelikale Christin in Talkrunden über ihren ungewöhnlichen Start ins Leben, nimmt an Demonstrationen der Lebensrechtsbewegung teil und hält Vorträge auf der ganzen Welt zum Lebensschutz mit dem Ziel, eine desinformierte Öffentlichkeit über Taktiken und Hintergründe der Abtreibungslobby aufzuklären.

Im April 1977 injizierte der Arzt ihrer Mutter eine Salzlösung in die Fruchtblase, denn für einen operativen – den „üblichen“ – Eingriff war es schon viel zu spät. Die toxische Flüssigkeit vergiftet den Fötus allmählich, während die zarte Haut äußerlich „verbrennt“. Gianna, die bei ihrer Geburt zweieinhalb Pfund wog, kam dann auch mit den typischen großen schwarzen Flecken auf die Welt, die auf ihrem gesamten Körper verteilt waren. Außerdem litt sie an einer zerebralen Bewegungsstörung, deren Ursache an einer perinatalen Hirnschädigung lag. Einer umsichtigen Krankenschwester hat sie es zu verdanken, dass sie gerettet und nicht, wie 1977 noch üblich, vom Krankenhauspersonal stranguliert wurde. Stattdessen brachte die Pflegekraft sie in ein Krankenhaus, wo sie etwa drei Monate blieb, bis sie von einer Familie adoptiert wurde. Damals gaben die Ärzte an, dass Gianna niemals in der Lage sein werde, ohne Hilfe zu sitzen, und sie auch niemals laufen lernen oder wie „normale“ Kinder spielen werde. In ihrer Jugend musste Gianna eine Reihe schmerzhafter Operationen über sich ergehen lassen. Mit 14 sagte sie in einem Interview: „Ich hinke zwar noch immer, aber ich kann laufen, rennen, tanzen und springen. Vielleicht nicht so gut wie Sie oder wie viele andere Menschen, doch für mich ist es o.k.“ Gianna ist glücklich, am Leben zu sein: „Ich wäre fast gestorben. Jeden Tag danke ich Gott für mein Leben. Ich betrachte mich nicht als das Abfallprodukt einer Empfängnis, als ein Stück Gewebe oder als sonst irgendetwas, als was man das Baby im Leib seiner Mutter bezeichnet.“

Sie hat ihre Geschichte im September 2015 nicht nur vor dem Kongress der Vereinigten Staaten vorgetragen, sondern sprach auch vor dem britischen Unterhaus, dem australischen Parlament und war zu Gast in zahlreichen Fernsehsendungen. Bei Anhörungen des Rechtsausschusses des US-Senats sagte sie gegen Planned Parenthood aus und beklagte, dass diese Organisation „jährlich 500 Millionen Dollar Steuergelder erhält, um in erster Linie Babys zu vernichten und zu zerstückeln“. 2006 nahm sie am Londoner Marathonlauf teil, um auf das Problem der Abtreibung öffentlich aufmerksam zu machen. Bei all ihren Auftritten verbindet sie ihre persönliche Lebensgeschichte mit dem Zeugnis für ihren Glauben.

Vorträge hält Gianna auch vor Jugendlichen, vor denen sie im Zeitalter der Promiskuität und der „Safe Sex“-Kampagnen für die unpopuläre Tugend vorehelicher Enthaltsamkeit eintritt. Als Papst Franziskus über Paare sprach, die vor der Ehe zusammenlebten, machte sie das wütend. Franziskus sagte am 16. Juni 2016 im Rahmen eines Pastoralkongresses für Familien der Diözese Rom: „Ich habe viel Treue in diesen eheähnlichen Gemeinschaften gesehen und ich bin mir sicher: Das ist eine echte Ehe, sie haben die Gnade einer echten Ehe aufgrund ihrer Treue.“ „Ich hätte niemals gedacht, dass mich ein Papst einmal zum Weinen bringen könnte“, twitterte Gianna daraufhin, „und bitte erzählt mir nicht, dass ich das, was ich da lese, nicht richtig lese.“ Was der Papst „Zusammenleben“ und „echte Ehe“ nenne, würde Jesus als „Unzucht“ bezeichnen, sagte Jessen gegenüber dem amerikanischen Lebensschützer-Blog LifeSiteNews. „Ich habe eine Frage an Papst Franziskus. Ist meine Jungfräulichkeit ohne Wert? Spielen die hohen Kosten des Kampfes für die wahre Liebe, der oft Anlass zu Verspottung ist, für ihn keine Rolle? Ich bin mit 39 Jahren Jungfrau. Ich habe den Herrn mit meinem Körper geehrt“, fuhr sie fort.

In einer Talkshow wurde Gianna einmal gefragt, ob sie ihre leibliche Mutter jemals getroffen habe. Ja, sagte sie, ohne Vorankündigung sei sie einmal nach einer Rede auf sie zugekommen. „Hi, ich bin deine Mutter“, teilte sie ihr lakonisch mit. Gianna wusste sofort, dass das keine Lüge war und erwiderte: „Ich bin Christin und ich vergebe dir.“ Doch mit dieser Antwort hatte ihr Gegenüber nicht gerechnet und wollte sie auch nicht hören. Es folgte eine unschöne Reaktion, doch für Gianna spielte es keine Rolle, ob ihre leibliche Mutter ihre Vergebung nun annehmen wollte oder nicht. Trotz der körperlichen und kognitiven Funktionsstörungen, die sie als Folge des Sauerstoffmangels während ihrer Abtreibung noch immer beeinträchtigen, wie etwa ihre Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen, setzt sie sich ständig neue Ziele und strahlt eine ungeheure Vitalität und Energie aus. „Es ist nicht leicht“, sagt sie, „aber ich kann Ihnen sagen, es macht viel mehr Spaß... Wir vergessen oftmals, dass wir so viel Lebenserfahrung durch einen Kampf gewinnen können – und nicht dadurch, indem wir Kämpfe vermeiden.“ Das nächste, das sie sich in den Kopf gesetzt hat, ist es, einen Berg zu besteigen: „Wenn ich diese unvorstellbaren Ziele in meinem Gedächtnis behalte, dann richte ich mich nicht auf eine Niederlage ein. Ich bereite mich nicht auf den Rollstuhl vor. Ich richte mich nicht darauf ein, hinfällig zu werden. Und das ist so entscheidend im Leben.“ 2012 entstand der Spielfilm „October Baby“, dessen Drehbuch auf dem Leben von Gianna Jessen basiert. Der in den USA produzierte Film, der auch in Deutschland in synchronisierter Fassung gezeigt wurde, hatte großen Erfolg und spielte bereits am ersten Wochenende das Dreifache seiner Produktionskosten ein.

Mutter Teresa sagte über Gianna Jessen: „Gott gebraucht Gianna, um die Welt daran zu erinnern, dass jeder Mensch wertvoll für ihn ist. Es ist schön, die Macht der Liebe Jesu zu sehen, die er in ihr Herz eingegossen hat. Ich bete für Gianna und für all jene, die ihr zuhören, dass diese Botschaft der Liebe Gottes der Abtreibung durch die Macht der Liebe ein Ende bereiten werde.“

Themen & Autoren

Kirche

Der Synodale Weg steht im Widerspruch zum Zweiten Vatikanum – Teil III der Debatte um aktuelle Formen der Synodalität.
28.03.2023, 19 Uhr
Peter C. Düren