Er gilt als der „Patron der Suchenden und Sehnsüchtigen“. Anlässlich seines hundertsten Todestages befasste sich die katholische Akademie „Die Wolfsburg“ mit dem Wirken des großen Gottsuchers Charles de Foucauld. Dabei führten Marianne Bonzelet, Religionslehrerin aus Kempen, und Bruder Andreas Knapp aus Leipzig die Teilnehmer nicht nur an die Person des Seligen heran, sondern tauchten tief in seine Spiritualität ein.
„Mein Gott, wenn es dich gibt, dann lass mich dich erkennen!“ Diese Worte sprach Charles de Foucauld vielfach aus, als er sich im Jahr 1886 in Pariser Kirchen auf die Suche nach Gott begab. Ein ausschweifendes Leben hatte der Sohn aus wohlhabendem Hause bis dahin geführt. Dann kam der Zeitpunkt, ab dem er nur noch eines wollte: den Menschen und Gott nahe sein, wie Jesus von Nazareth. Sein Weg führte ihn als Einsiedler in die Sahara, er erforschte die Sprache der Tuareg-Beduinen, die ihn wie einen Heiligen verehrten und gab Zeugnis für einen Glauben, den man mitten in der Welt leben kann. Die Tagung ging der Frage nach, ob ein solcher Lebensentwurf auch heute noch möglich ist.
Einer der Schlüsselbegriffe, um die Spiritualität des Seligen zu verstehen, ist „Nazareth“. Er steht für das alltägliche, unscheinbare Leben Jesu, sein Wachsen und Reifen in einem landwirtschaftlich geprägten, einfachen Umfeld, umgeben von Armut und Menschen, die bereits wegen ihres Dialekts zu Außenseitern gehörten. Als Charles de Foucauld sich aus dem Trappistenkloster Staoueli in der Provinz Algier nach Nazaret begibt, tut er das, um unter ärmlichsten Verhältnissen ein eremitisches Leben zu führen. Er fühlt sich berufen, in der Verborgenheit zu leben, wie es Jesus selbst dreißig Jahre lang an diesem Ort getan hat. „Jesus führte ein normales, einfaches Leben, in der Frömmigkeit der Armen. Er lernte dort die Lasten seines Volkes kennen. Gott suchte nicht den Glanz der Paläste, er wollte in Nazareth, bei den kleinen Leuten, Mensch werden“, beschrieb es Bruder Andreas Knapp. Jesus habe die Menschen in seinem Wirken so stark und nachhaltig erreicht, weil er mit den einfachen Worten der Bauern und Fischer Galiläas gesprochen habe. „Er hat auf einfache Bilder mitten aus dem Leben zurückgegriffen, weil er in dem Umfeld, in dem er aufwuchs, die notwendige Sensibilität für die Menschen entwickeln konnte“, ergänzte Bruder Andreas. So entstand aus Nazareth heraus die Spiritualität von Charles de Foucauld. Sie wird zum Synonym der Option für die Kleinen und Armen. Wie Jesus erträgt es der Selige nicht, wenn Menschen sozial ausgegrenzt sind. Deshalb wendet er sich, bei aller Abgeschiedenheit, die er selber eher sucht, immer wieder den Ausgeschlossenen zu. „Die Spiritualität des Charles de Foucauld ist ganzheitlich. Sie trennt nicht zwischen dem realen und dem religiösen Leben“, machte Bruder Andreas deutlich.
Auf dieser Basis stellte Marianne Bonzelet die Frage, inwieweit dieses Nazareth zum Lebensmodell für Normalverbraucher werden könne, in einer Zeit, in der Glaube für viele Menschen keine lebendige Wirklichkeit mehr sei. Dennoch seien sie auf einer Suche nach dem größeren Sinn hinter den Dingen. Diese Suche habe auch Charles de Foucauld angetrieben. Das Leitmotiv seiner Berufung sei gewesen, Jesus zu finden, um ihn in sich und seinem Alltag leben zu lassen. „Indem dort ein Wachsen und Reifen vor Gott und den Menschen möglich ist, wird der Alltag zum heiligen Raum. In ihm lassen sich die von Gott geschenkten Gaben entfalten“, betont Marianne Bonzelet. Einer Welt, die immer stärker nach Orientierung sucht, zeigt Charles de Foucauld seinen Maßstab: Jesus. „Die Bindung an Jesus ist das Zentrum der Spiritualität Charles de Foucaulds“, weiß die Religionslehrerin.
Das Mitwirken am Heilsplan Gottes vollzieht sich für den Seligen in einem Leben aus dem Evangelium. Nach seiner Bekehrung vertiefte er sich darin, um Jesus besser erkennen zu können und eine Fähigkeit zu entwickeln, in allem, was er tat, das nachzuahmen, was Jesus selbst getan, gedacht oder gesagt hätte. Für Charles de Foucauld war klar: Wenn wir das Evangelium nicht leben, ist Christus nicht in uns, wenn wir es leben, werden wir zu einem lebendigen Wörterbuch für unsere Mitmenschen. Schon lange bevor das Zweite Vatikanische Konzil die Verantwortung der Laien in der Kirche stärker betonte, habe er 1912 festgestellt: „Jeder Christ sollte Apostel sein, das ist ein Gebot der Liebe.“ Den Weg dorthin beschreibt er in einer intensiven Befassung mit dem Evangelium, um in ihm nach dem Angesicht Jesu zu suchen. Die gesamte Botschaft Charles de Foucaulds lasse sich so in dem Wort „Nazareth“ zusammenfassen. Es sei die Aufgabe der Christen, ihr persönliches Nazareth dort zu finden, wo sie leben. Damit verbunden sei, so Marianne Bonzelet, die kontemplative Komponente. Das Besondere, das sich in den Gemeinschaften der Geistlichen Familie Foucaulds zeige, sei, dass sie ihr kontemplatives Leben mitten in der Welt suchten. Geistliches Leben soll sich an den Orten zeigen, an denen man es nicht unbedingt erwartet. Das zeige: „Selbst im Alltag kann man spirituell in die Tiefe gehen.“ Bereits die heilige Teresa von Ávila hat gesagt: „Man kann Gott auch zwischen den Kochtöpfen finden“.
Gott im Alltag zu erleben sei in dem „Hochgeschwindigkeitszug, in dem wir leben“, eine besondere Herausforderung, machte Bruder Andreas Knapp deutlich. Daher sei es bei der kontemplativen Betrachtung umso wichtiger, sich Zeit zu nehmen, über den oberflächlichen Blick hinaus eine Dimension zu erschließen, die hinter den Dingen liegt. „Wenn ich kontemplativ lebe, kann ich sehen, dass Gott mich mit seinem liebevollen Blick ansieht und mich segnet.“ Der Perspektivwechsel, der durch die Kontemplation ermöglicht werde, weite den Blick darauf, „dass nur Gott absolut ist und ich nur relativ bin“. So könne auch ein notwendiges Gleichgewicht entstehen: „Engagement, das im Gebet wurzelt, kann frei werden von Fanatismus.“
So habe Charles de Foucauld aus der Eucharistie als Kraftquelle und dem Evangelium als Basis für sein Handeln einen Weg gefunden, der ihn ganz nahe an Gott, aber auch ganz nahe an die Menschen herangebracht habe. „Aus dem Rückzug in die Einsamkeit des Eremiten und die Kontemplation macht er sich auf zu den Menschen, um mitten in der Welt Gutes zu tun“, fasst Marianne Bonzelet zusammen. So wird auch die Wüste, in der er mit den Tuaregs lebte, zu mehr als einem Ort, sondern zum Synonym dafür, sich für Menschen überall dort einzusetzen, wo sie in einer Not sind, die zur Hilfe herausfordert.
Der Patron der Suchenden sei Charles de Foucauld gerade deshalb, weil er immer wieder im Evangelium nach Wegen zu den Menschen Ausschau gehalten habe. „Heute sind wir gefordert, das Evangelium in unsere Sprache zu übersetzen, um es den Menschen nahezubringen“, machte Andreas Knapp deutlich. „Wenn wir über unseren Glauben sprechen, ist das zumeist nicht wie bei Jesus nazarenisch einfach und verständlich, es ist eher römisch und vielleicht auch komisch.“ Die Begriffe unserer religiösen Sprachenwelt seien meist so kompliziert, dass wir sie anderen Menschen nicht voraussetzungslos erklären könnten. Knapp beklagte die Sprachlosigkeit der Christen gerade im Umgang mit Nichtglaubenden. Das werde ihm, der in Leipzig, der oft als „Hauptstadt des Atheismus“ bezeichneten ostdeutschen Metropole lebe, immer wieder deutlich. Gotteserfahrungen seien etwas sehr Persönliches und „uns fehlen zum Teil die Worte, sie anderen zu vermitteln“, beklagt Bruder Andreas. Die Sprache Jesu hingegen sei geprägt gewesen von Bildern aus dem alltäglichen Leben. „In diesen Bildern wird Gott präsent.“ Deshalb sei es wichtig, den Menschen heute einen Zugang zu Gott nicht in festgefügten Worthülsen zu verschaffen, sondern in einer Sprache, die sie verstehen. Das kann dann vielleicht so funktionieren, wie in einer anschließenden Übung praktiziert wurde. Hier sollten die Teilnehmer ihre Gotteserfahrung so formulieren, dass sie sie in einer kurzen WhatsApp-Nachricht an einen jungen Menschen kommunizieren könnten. Und da entstand der kluge Satz, der die Nähe Gottes in einer jungen Lebenswelt auf den Punkt bringt: „Gott ist immer online“.