Vatikanstadt

Das entkernte Christentum

Kardinal Müller zur Antwort von Magnus Striet auf die weltkirchliche Kritik am Synodalen Weg.  
Auftakt der dritten Synodalversammlung
Foto: Julia Steinbrecht (KNA) | Irme Stetter-Karp, Thomas Söding, Franz-Josef Bode und Georg Bätzing umringt von Demonstranten zu Beginn der dritten Synodalversammlung am 3. Februar 2022 in Frankfurt.

Difficile est satiram non scribere"   es ist schwierig, keine Satire zu schreiben. Dieser Ausspruch des römischen Dichters Juvenal kommt einem unwillkürlich in den Sinn nach der Lektüre des Gastbeitrags von Magnus Striet, den der Freiburger Professor auf den Propagandaforen der deutschen Bischöfe veröffentlicht hat. Darin führt er die um die Wahrheit des Evangeliums und die Einheit der Kirche tief besorgte Kritik der nordischen und polnischen Bischofskonferenz wie auch die Befürchtungen im Offenen Brief von 74 amerikanischen und afrikanischen Kardinälen an den Thesen des Deutsch-Synodalen Weges zurück auf die mangelnde intellektuelle Kompetenz ihrer Verfasser und Unterzeichner.

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Das Schisma

Deren Warnung vor einem Schisma kann seiner Meinung nach nur darin den hinreichenden Grund haben, dass diese "Würdenträger" sich nie ernsthaft mit der aufgeklärten Kritik am kirchlich-sakramental verfassten Christentum und vor allem mit der Philosophie Immanuel Kants beschäftigt haben. Und selbst wenn sie die wichtigsten Autoren der Offenbarungs- und Religionskritik seit dem 18. Jahrhundert gelesen haben sollten, dann wären sie apriori nie in der Lage, sie zu verstehen oder gar zu widerlegen. Denn nur auf dem intellektuellen Niveau der deutschen Theologie und ihrer Ableger, meint er, kommt ein Ausländer über die paar angelernten Phrasen in den neoscholastischen Studienhäusern seiner Heimat hinaus.

Offenbar reichte die offizielle Antwort des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz an seine weltkirchlichen Kollegen, die unter dem Mangel an Problembewusstsein für die moderne Zeit leiden, nicht aus, um den deutschen Führungsanspruch in der Weltkirche durchzusetzen. Das Große Striet-Ross des Synodalen Wegs musste daher in den Kampf geworfen werden. Denn nach dem Großen Striet ist die geoffenbarte Wahrheit nur eine Fiktion von geistig beschränkten und trotz ihrer mangelnden Bildung von doch recht verschlagenen Bischöfen und Päpsten, welche "die hochkomplexe, von Umbrüchen und Transformationen des überkommenen Glaubens gekennzeichnete Geschichte des Christentums, das es immer nur im Plural gegeben hat, nicht kennen beziehungsweise sich durch die von ihnen konstruierte Singularkonstruktion nur jeder Diskussion entziehen wollen".

"Denn nur auf dem intellektuellen Niveau der deutschen Theologie
und ihrer Ableger, meint er,
kommt ein Ausländer über die paar angelernten Phrasen
in den neoscholastischen Studienhäusern seiner Heimat hinaus."

Juveniler Stolz 

Der Herr Professor Striet ist nun selbst schon 58 Jahre alt und müsste den Zenit des jugendlichen Stolzes auf seine Hyper-Intelligenz und die Inhaberschaft eines Lehrstuhls überschritten und schon bei ein wenig mehr sokratischer Bescheidenheit angekommen sein: "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Oder ganz schlicht gesagt: "Die anderen wissen auch etwas und ich nicht alles oder immer besser." Denn so sehr wir gegen die bloße Gefühlsreligion in der katholischen Theologie die Vernunft in ihrer Synthese mit dem Glauben schätzen, müssen wir doch nicht auf die späte Altersweisheit warten, um zu begreifen, dass die auf sich selbst zurückgeworfene endliche Vernunft nur zu einer "Erkenntnis kommt, die aufbläht, während die Liebe aufbaut". Gott macht es uns im Lichte seines Geistes möglich, dass wir ihn erkennen, weil er vorher uns erkannt hat (vgl. 1 Kor 8,2). Der geoffenbarte Glaube macht jeden, der ihn annimmt, selig, auch wenn er von theologischen Diskussionen nichts versteht. Die Theologie ist wichtig für die Kirche und ihr Lehramt, aber nicht heilsnotwendig für den Glauben der Einfältigen und Schwachen. Die Gnade genügt.

Unser Herr Professor schmeichelt sich etwas süßlich bei den Protagonisten des Synodalen Weges ein, wenn er hinter ihrer Agenda den heldenhaften Kampf für rechtlich abgesicherte Selbstbestimmungsrechte vermutet. Die würden schon in den liberalen Demokratien praktiziert und müssten nur jetzt noch gegen das "Wahrheitsentscheidungsmonopol" bischöflicher Hierokraten durchgefochten werden. Im Kampf um die Durchsetzung der Selbstbestimmungsrechte jedes einzelnen Christen exakt in all dem, was für ihn subjektiv wahr oder gut und damit persönlich angenehm ist, sei nach dem Vorbild Jesu auch ein Schisma in Kauf zu nehmen. Das Gebet um die Einheit der Jünger im Glauben an den Vater und den Sohn, damit die Welt glaube an ihn als den Gesandten des Vaters, wäre leicht mit dem Zweifel an seiner historischen Authentizität aus dem Weg zu räumen.

Gerhard Ludwig Müller
Foto: Francesco Pistilli (KNA) | Kardinal Gerhard Ludwig Müller übt scharfe Kritik an der Stellungnahme von Magnus Striet.

Deutsches Establishment

Jesu Botschaft vom Reich Gottes, das mit seiner Lehre kommt und in Kreuz und Auferstehung geschichtlich verwirklicht wurde, ist für Striet keineswegs der "Kern des Evangeliums". Das Wesentliche, Vorbildliche und Nachahmenswerte an Jesus ist für ihn allein sein bewusst vollzogenes Schisma mit dem damaligen religiösen Establishment.

Selbstredend meint er nicht das Establishment der deutschen Kirchenfunktionäre mit ihren willfährigen Repräsentanten im Bischofsgewand, sondern "den Papst und die Bischöfe in Einheit mit ihm, denen Christus seine Kirche zu weiden und zu leiten übertragen hat" (vgl. II. Vatikanum Lumen gentium 8). Jesus hat demnach keineswegs sein Blut "für uns vergossen zur Vergebung der Sünden". Nur "für seine Kritik an einem ausgrenzenden religiös begründeten Moralismus ist er in den Tod gegangen". Ob die Deutsch-Synodalen ihm bei ihrem Kampf gegen die repressive Sexualmoral der katholischen Kirche, für die Segnung homophiler Paare und gegen das sakramentale Priestertum und den Zölibat, gegen die hierarchische Verfassung der Kirche und gegen den Lehr- und Jurisdiktionsprimat des römischen Papstes ihrem "schismatischen Jesus" auch bis in den Tod folgen oder doch lieber die katholischen Gläubigen "mundtot" machen?

Ganz klar stellt der Herr Professor fest: Wenn Jesus heute noch leben würde, wäre er auf der Seite des Deutsch-Synodalen Weges. Nur im Geist dieses längst Verstorbenen, der womöglich nur in die Phantasie der liberalen Katholikinnen und Katholiken auferstanden ist, wie Striet sagen würde, können wir die Bibel auslegen. Aus den Streitereien in der Kirchen- und Dogmengeschichte müssen wir nur lernen, dass es keine geoffenbarte und kirchlich feststellbare Wahrheit Gottes gibt, "dem sich der Mensch Gott als Ganzer in Freiheit mit Vernunft und freiem Willen in Glaube, Hoffnung und Liebe überantwortet" (vgl. II. Vatikanum, Dei verbum 5). Demnach gibt es auch keine sichtbare gesellschaftlich verfasste Kirche, die "in Christus das Sakrament des Heils der Welt ist" (Lumen gentium 1; 48; Gaudium et spes 45).

Keine Angst vor Häresien

Also die Herren Kardinäle und Bischöfe nicht allzu ernst nehmen! Keine Angst vor Apostasie, Häresie und Schisma! Es wird schon alles gut, wenn wir nur den Herrn Professor Striet ernst nehmen und blind seinen Eingebungen folgen.

Nicht von ungefähr erhob schon gleich zu Beginn seiner Ausführungen der Herr Professor seinen Zeige- und Deutefinger, mit dem er seine bischöflichen Gasthörer ermahnt, immer nur dann eine Antwort zu geben, wenn sie vorher gefragt wurden. Ansonsten gibt sich der Herr Professor nur mit Menschen ab, die auf den "Geschmack der Freiheit" gekommen sind, den längst auch viele Katholikinnen und Katholiken als evangeliumsgemäß kosten wollen.

Das Schisma als Verlust der Einheit mit dem zu vernachlässigenden Rest der Weltkirche ist nicht zu fürchten, weil es ohnehin längst da ist und als Katalysator wirkt auf dem Weg zur Autonomie aller Christen von dem Wort und Willen Gottes, so wie ihn das Lehramt im Glaubensbekenntnis und Katechismus vorlegt. Die auf den "Geschmack der Freiheit" gekommenen Katholiken vollziehen jetzt endlich die Trennung von der "römisch-katholischen Kirche, die sich unter dem Papst und einer Einheitsdoktrin versammelt",  welche die Reformatoren im 16. Jahrhundert schon erfolgreich vorexerziert hatten. Es gilt jetzt, beherzt auch in der Moderne anzukommen und deren Erfolgsrezept für die Selbst-Säkularisierung der Kirche übernehmen.

Professorale Akrobatik

Das Christentum sei nicht die Einheit der Jünger im Glauben an Jesus, den Christus und "Sohn des lebendigen Gottes", sondern im Wesen Streit und Kampf um die Interpretationen von einer unerkennbaren Wahrheit. Man wundert sich   nur nebenbei bemerkt   darüber, dass angesichts der prinzipiellen Nichterkennbarkeit von  natürlichen und geoffenbarten Wahrheiten der intellektuell haushoch überlegene Herr Professor dennoch den Unterschied zwischen "rechtschaffenen liberalen Katholiken" und nicht-rechtschaffenen Katholiken, das heißt "intellektuell nicht allzu ernst zu nehmenden ausländischen Kardinälen und Bischöfen" definitiv festmacht an der Begeisterung für "die Rechte von LGBTQ-Menschen" und die Zulassung von biologischen Nichtmännern "zu den Ämtern" und dem bedingungslosen Ja zur "sogenannten 
Genderideologie".

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Nach so viel professoraler Akrobatik sehnt sich mein intellektuell überforderter bischöflicher Verstand zurück nach der einfachen Logik eines katholischen Kirchenlehrers aus dem zweiten Jahrhundert, den Papst Franziskus am 21. Januar 2022 zum "Doctor unitatis" erklärt hat. Gegen die pluralistische und subjektivistische Verfälschung des apostolischen Glaubens durch die Gnostiker schrieb im Jahre 185 nach Christus Irenäus, der Bischof von Lyon: "Die Häretiker können, weil sie blind sind für die Wahrheit, gar nicht anders, als dauernd neue Wege zu gehen, die von der rechten Bahn abweichen. Und deshalb sind die Spuren ihrer Lehren ohne Sinn und Zusammenhang. Aber der Pfad derer, die aus der Kirche kommen, führt um die ganze Welt; er hat nämlich von den Aposteln her eine feste Tradition, und er lässt uns bei allem ein und denselben Glauben sehen, indem alle den einen und denselben Gott Vater annehmen und dieselbe Heilsordnung der Menschwerdung des Sohnes Gottes glauben; sie kennen dieselbe Schenkung des Geistes und bedenken dieselben Gebote und bewahren dieselbe Form der kirchlichen Verfassung; sie warten auf dieselbe Ankunft des Herrn und halten am selben Heil für den ganzen Menschen fest, das heißt für Leib und Seele. Die Predigt der Kirche ist demnach wahr und fest; bei ihr findet sich ein und derselbe Heilsweg in der ganzen Welt" (Gegen die Häresien V 20, 1).

Monopol brechen

Keine Angst vor einem Schisma   denn dieses Schisma ist schon da. So der Freiburger Theologe Magnus Striet, der jetzt in einem Beitrag auf die Kritik von Kardinälen und Bischöfen aus der Weltkirche am Synodalen Weg reagierte. Für Striet geht es jetzt darum, das Monopol der bischöflichen Hierarchien inklusive Papst bei Wahrheitsentscheidungen abzuschaffen.


Kurz gefasst:

Auch Jesus stünde auf der Seite der Deutsch-Synodalen, weil er ja ebenso mit dem religiösen Establishment seiner Zeit gebrochen habe. Eine Wahrheit im Glauben aber gibt es für Striet nicht.

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