Contra: Trägt Homosexualität am Missbrauch in der Kirche die Hauptschuld?

Zurückhaltung anmahnen. Von Peter Beer
Petersdom
Foto: Pacific Press (Pacific Press via ZUMA Wire)

Für viele Menschen inner- wie außerhalb der Kirche ist das nahezu weltweite Ausmaß des Missbrauchsskandals im Verantwortungsbereich der Katholischen Kirche schier unglaublich. Es lässt sich nur sehr schwer begreifen, wie und warum so etwas geschehen konnte. So gesehen, ist es nur allzu verständlich, wenn man schnelle und eindeutige Antworten auf die Fragen nach dem Wie und Warum bekommen möchte. Trotz all dem sollte man eines aber nicht vergessen. Nur wenn wir präzise sind und genau hinsehen, werden wir die passenden Mittel und Wege finden, die Ursachen, die uns in die gegenwärtige Lage gebracht haben, aufzuarbeiten und verhindern, dass wir früher oder später wieder in dieselbe Lage kommen. In diesem Sinne erscheint es mir wenig hilfreich, von einer These auszugehen und sich damit zufrieden zu geben, die den Eindruck erweckt, Homosexualität sei mehr oder weniger der Hauptgrund für den Missbrauch in der Kirche. Diese These erscheint mir schon aus folgenden Gründen als zumindest hinterfragenswert. Erstens: Missbrauch ist ein Verbrechen und dieses Verbrechen wurde zur Krise für die Kirche als Ganzes durch die Art und Weise, wie mit diesem Verbrechen durch Zuständige und Mitwisser umgegangen wurde, nämlich mit Verschweigen und Vertuschen. Dadurch kam es zu einer schwerwiegenden Glaubwürdigkeitskrise, denn es ist nicht vermittelbar, dass die kirchliche Verkündigung von der Frohen Botschaft gerade auch für die Kleinen und Schwachen in so krassem Widerspruch zum tatsächlichen Handeln von Teilen des Leitungspersonals der Kirche steht. Wenn man also nach den Schuldigen der Krise sucht, dann sollte man bei denen beginnen, die die Täter stoppen und die (weitere) Taten hätten verhindern können. Zweitens: Der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen definiert sich durch den massiven Machtmissbrauch gegenüber Schwächeren, Schutzbefohlenen und in diesem Sinne Abhängigen, denen auf welche Weise auch immer sexuelle Handlungen aufgezwungen werden. Derartige Machtmissbräuche lassen sich weder ausschließlich auf eine bestimmte sexuelle Orientierung zurückführen noch auf eine bestimmte sexuelle Orientierung als solches beschränken. Drittens: Die meisten Missbrauchsfälle im Verantwortungsbereich der Kirche werden bei der Gruppe von hauptamtlich Tätigen festgestellt, die sich als Priester zu sexueller Enthaltsamkeit verpflichtet haben. Offensichtlich gelingt es nicht, die trotz Verpflichtung zu Enthaltsamkeit nicht einfach verschwundene Sexualität in eine kohärente Lebensform zu integrieren. Eine fehlende angemessene Integration von Sexualität in ein enthaltsames Leben kann zu Verdrängungen führen, die sich irgendwann Bahn brechen und zu mehr oder weniger unkontrolliertem Ausagieren führen. Solche Übersprungshandlungen umfassen unter anderen homo- sowie heterosexuelle Handlungen, wobei diese nicht zwangsläufig eine sexuelle Präferenz beziehungsweise Orientierung anzeigen. Diese wenigen kurzen Hinweise mögen reichen, um Zurückhaltung gegenüber der verallgemeinernden These, Homosexualität sei schuld am Missbrauch durch Priester, anzumahnen. Das bedeutet nicht die Augen davor zu verschließen, dass auch homosexuell veranlagte Menschen Missbrauchstäter werden können. Wenn es aber bei der Bewältigung der Missbrauchskrise für die Kirche darum geht, Glaubwürdigkeit wieder herzustellen, kann dies nicht dadurch geschehen, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen generell – so schwierig und problematisch aus gewissen theologischen Grundannahmen heraus der Umgang mit ihnen in kirchlichem Kontext sein mag – vorschnell zum Sündenbock wird. Zu leicht könnte damit bewusst oder unbewusst versucht werden, von erheblichen (auch strukturell-systemischen) Problemen der Kirche selbst abzulenken. Alleine im Blick auf die mit der Missbrauchskrise zusammenhängenden Themen wären u. a. hier zu nennen: die Hilf- und Sprachlosigkeit gegenüber der Diskrepanz von theologischen Vorgaben und tatsächlicher Lebensführung; die Duldung von machtrelevanten Seilschaften; Amtsmissbrauch; das Fehlen einer ausreichenden Begleitung und Unterstützung der priesterlichen Lebensform bei gleichzeitigem Unverständnis für diese (auch bei Priestern selbst); das geistlich-spirituelle Niveau innerhalb der Institution Kirche, deren Vertreter zum Teil offenbar keine allzu große Schwierigkeiten damit hatten, dass ihr persönliches Sprechen und Handeln nicht miteinander im Einklang waren et cetera.

Der Autor ist Generalvikar der Erzdiözese München und Freising.

 

Hintergrund: Homosexualität und Missbrauch

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Vereinigten Staaten, in Chile, in Irland, Australien und anderen Ländern greifen Bischöfe zu vielen Mitteln, um ihre Betroffenheit über die Verbrechen von Klerikern zum Ausdruck zu bringen. Der deutsche Missbrauchsbericht war der verständliche Versuch der Bischöfe, auf die Missbrauchskrise des Jahres 2010 zu reagieren. Doch was ist die Ursache dafür, was Kleriker Schutzbefohlenen angetan haben? Der John Jay Report aus dem Jahr 2004 hatte bereits erwiesen, dass über achtzig Prozent der Missbrauchstaten von katholischen Priestern an Jungen im Teenageralter verübt worden sind.

Die Frage, die sich stellt, ist: Trägt die im Klerus verbreitete Homosexualität die Hauptschuld am Missbrauch in der Kirche? Wer trägt die Hauptlast? Sind es die Machtstrukturen? Und was muss getan werden, damit wieder mehr Menschen mit einer integrierten Sexualität den Weg in die Priesterseminare dieser Kirche finden?

Diese Fragen diskutieren und differenzieren der Churer Weihbischof Marian Eleganti und der Münchner Generalvikar Peter Beer.

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