Lehren

Beate Beckmann-Zöller: „Am Herzen Jesu bleiben“

Die Präsidentin der Edith-Stein-Gesellschaft Deutschland, Beate Beckmann-Zöller, erläutert das Bildungsideal der heiligen Edith Stein.
Holocaust-Denkmal in Köln
Foto: Sascha Steinach via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Die Philosophin Edith Stein befasste sich auch im Karmel mit wissenschaftlichen Themen. Ihr tiefer Glaube spricht aus ihrer Arbeit über die „Kreuzeswissenschaft“. Das Foto zeigt das Edith-Stein-Denkmal in Köln.

Frau Beckmann-Zöller, was zeichnet die Lehrerin Edith Stein aus Ihrer Sicht aus?

Lehrerin war nicht Edith Steins Traumberuf. Sie wollte Philosophieprofessorin werden. Einmal ist bei ihr vom „Schreckgespenst Schule“ die Rede. Aber sie schreibt später, dass ihr der Beruf „lieb“ wurde. Die Lehrerin Edith Stein kam aus der Philosophie, liebte klare Definitionen und lehrte anspruchsvoll Deutsch. Sicher gab es bei ihr keine Gruppenarbeit und keinen kommunikativen Unterrichts-Stil, wie wir es heute gewohnt sind. Sie war zwar streng, aber eine freundliche, zugewandte Lehrerin. Sie war für die Schülerinnen in St. Magdalena in Speyer nahbar.

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Welche Rolle spielte der „Verein katholischer deutscher Lehrerinnen“ für die posthume Würdigung Edith Steins?

Bleibend ist das Verdienst des „Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen“ (VkdL), in den 50er Jahren die Heiligsprechung seines Mitglieds Edith Stein gefordert zu haben. Nicht der Orden der Unbeschuhten Karmelitinnen, sondern der VkdL hat diesem Wunsch Öffentlichkeit verschafft. Kardinal Frings hat die Seligsprechung beantragt. Und weil viele Lehrerinnen Edith Stein persönlich auf Weiterbildungen kennengelernt hatten oder ihre Schülerinnen gewesen waren, haben sie später selbst gefordert, dass sie natürlich für Lehrerinnen, aber auch überhaupt für uns alle als Katholiken ein Vorbild sein sollte.

Die junge Philosophin Edith Stein war selbstbewusst und sah für sich selbst eine glänzende Zukunft voraus, wie sie in ihren Lebenserinnerungen schreibt. Was hat sie so demütig werden lassen, dass sie dann in den Schuldienst ging – also buchstäblich dienen wollte?

Edith Stein hat seit ihrer Studentenzeit tatsächlich eine Bekehrungsgeschichte durchgemacht. Sie hat den christlichen Glauben bereits 1918 angenommen, getauft wurde sie dann am 1.1.1922, und sie bekam eine ganz andere Sicht. Natürlich wollte sie auch mit der Wissenschaft, der Philosophie dienen. Während ihrer Zeit als Lehrerin hat sie Texte von Kardinal Newman und Thomas von Aquin übersetzt. Sie hat das Philosophieren nicht gelassen, sich aber auf Rat ihres geistlichen Begleiters, Domkapitular Joseph Schwind, in den Dienst des Lehrerinnendaseins gestellt. Er meinte, das sei eine wunderbare Art, sich ins katholische Leben zu integrieren und im katholischen Leben zu wachsen. Edith Stein hat Jesus Christus und das Kreuz näher verstanden. Das Kreuz richtet sie auf. Sie beschreibt ihre Bekehrung als ein Bild: Sie ist eine Ertrinkende und wird ans rettende Ufer gezogen. Das macht sie so dankbar, schreibt sie, dass sie wirklich jeden Tag neu mit Christus beginnt und auch anderen weiterhelfen kann.

"Edith Stein hat großen Wert
auf geschlechtergetrennte Erziehung gelegt."

Als Lehrerin hat sie manchmal mit sich gerungen, etwa in der Frage, ob es sich ziemt, Faust im Deutschunterricht an einer Mädchenschule zu behandeln – wegen der Gretchentragödie galt dies seinerzeit als umstritten. Welches Bildungsideal hatte sie?

Ihr Bildungsideal meint immer auch Selbstbildung. Ihr Ziel ist es, die Schülerinnen so zu unterrichten, dass sie wissen, wie sie sich selbst weiterbilden können. Es geht Edith Stein dabei um die Entfaltung der Individualität. Zu ihrer Zeit galt das Gemeinschaftsideal als das deutsche Ideal, vor dem das Individuum zurücktreten sollte. Edith Stein betont jedoch das Individuum und die persönliche Freiheit in bestimmten Bereichen. Ihr wichtigster religionsphilosophischer Aufsatz aus dem Jahr 1921 behandelt das Thema „Freiheit und Gnade“.

Außerdem gibt sie anderen Lehrerinnen den Rat, den Schülerinnen Vorbilder in der Literatur vorzustellen. Dabei sollen positive Vorbilder, auch Beispiele für weniger gelungenes Leben, helfen, Frauenbilder voneinander zu unterscheiden und den Schülerinnen aufzeigen, wie ein gelungener Weg aussehen könnte, den sie dann selber wählen sollten. Sie wollte Schülerinnen verantwortlich führen und die Individualität gemäß der geschlechtlichen Identität ausbilden. Edith Stein hat großen Wert auf geschlechtergetrennte Erziehung gelegt. Mädchen sollten ihrer Auffassung nach ohne Jungen erzogen werden, damit sie mehr Möglichkeiten haben, auch in Fächer, die normalerweise an Schulen leichter von Jungen besetzt sind – Mathematik und Naturwissenschaften – hineinzuwachsen. Als Deutschlehrerin hat sie die deutsche Klassik behandelt und versucht, daran christliche Ideale aufzuzeigen.

Edith Stein hat über die Natur und die Eigenart der Frau publiziert. Wie lässt sich das, was sie unter dem Wesen der Frau versteht, zusammenfassen?

Edith Stein hat nicht einfach einen puren Essentialismus vertreten, sondern hat das Wesen der Frau im Sinne der Phänomenologie als das verwendet, was sich an dem tatsächlich Unterscheidenden und Eigenen in der Polarität zum Mann herausschälen lässt. Sie hat erlebt, dass Frauen in alle Berufe einsteigen und war selbst auch in einem sehr männlichen Beruf als Philosophin an der Universität, weil die Männer im Ersten Weltkrieg waren.

Die flexiblen Unterschiede zwischen den Geschlechtern konnte sie so, wie die Hirnforschung sie heute darstellt, noch nicht kennen. Sie hat den Mädchen empfohlen, ihre Begabung zur Einfühlung zu entfalten. Das Problem der „Einfühlung“ als Erkenntnisweg hat sie ja auch in ihrer philosophischen Dissertation behandelt. Zugleich empfiehlt sie die Verstandesschulung als einen Gegenpol, der gerade für Mädchen ganz wichtig sei, um nicht in Tagträume und reine Gefühlsentscheidungen abzugleiten. Der Wille der Frau soll von ihr selbst durch klare rationale Entscheidungen geprägt werden.

Würde Edith Stein heute auch für das Priesteramt der Frau kämpfen?

Sie hat zwar aus dogmatischer Sicht keine Hindernisse gesehen, aber auch Gegenargumente gebracht, die in der gegenwärtigen Diskussion aber kaum zitiert werden. Heute würde Edith Stein auf keinen Fall sagen, dass dogmatisch nichts dagegen spricht, weil das päpstliche Lehramt die Zulassung von Frauen zum Priesteramt inzwischen ausgeschlossen hat. Sie wäre die letzte, die den Päpsten da widersprechen würde. Vor allem sagt sie, es bleibe ein Geheimnis, warum Jesus letztlich keine Frau in den Zwölfer-Kreis gewählt habe. Aus ihrer Sicht scheint doch eine Absicht dahinter zu sein, denn er hat noch nicht einmal seine Mutter zu einer apostolischen Nachfolge und damit zur Priesterin berufen. Edith Stein sieht die Berufung der Frauen darin, sozusagen am Herzen Jesu zu bleiben in der ganz nahen Vereinigung mit Christus, während der Mann immer auch in „persona Christi capitis“ sozusagen wieder heraustreten muss aus der Vereinigung mit Christus und den Herrn als Priester selbst repräsentiert.

Für Edith Stein ist das die weniger schöne Rolle. Frauen sind in der Sichtweise Edith Steins zwar nicht zu Priesterinnen berufen, aber wohl zu „Verkünderinnen seines Willens an Könige und Päpste“ und damit als Prophetinnen. Als Beispiele nennt sie Katharina von Siena und Birgitta von Schweden, die dann mit ihr von Johannes Paul II. 1999 zu Patroninnen Europas ernannt wurden. Edith Stein hat diese Berufung klar von der des Priesters unterschieden. Sie sieht einerseits eine ganz klare Bipolarität in der Anthropologie – trotz ihrer Kenntnis von Intersexualität („Zwitter“) – aus philosophischer und theologischer Perspektive, aber auch eine große Breite an Berufungen.

Welche Aufgabe würde Edith Stein heute für Frauen als erstrangig betrachten?

Die Herausbildung des Charakters durch die Schulung von Verstand und Gefühl, natürlich durch eine Berufstätigkeit. Sie hat einerseits weibliche Berufe herausgestellt – Ärztin, Sozialarbeiterin, Lehrerin –, aber auch Politikerin als „Mutter des Volkes“. Sie selber war ja politisch engagiert, hat es dann aber gelassen, weil sie ein zu dünnes Fell hatte, wie sie schreibt. Und auch Muttersein ist für sie Beruf und Berufung. Das würde sie heute wohl in den Vordergrund stellen – im Ausgleich zum gesellschaftlichen Trend.


Beate Beckmann-Zöller
Foto: monika_wrba | Beate Beckmann-Zöller ist promovierte Religionsphilosophin und seit 2021 Präsidentin der Edith-Stein-Gesellschaft Deutschland.
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