Würde eine PR- Agentur den Auftrag erhalten, das Bild der katholischen Kirche in Deutschland wieder aufzupolieren, und zu diesem Zweck mit einer nüchternen Bestandsaufnahme beginnen, so wäre das Ergebnis nicht weit von dem entfernt, was man in einer Autowerkstatt einen Totalschaden nennt. So schön die äußere Hülle noch sein mag, mit prächtig ausstaffierten Ordinariaten, baulich vollkommenen Bischofskirchen und diözesanen Bildungshäusern, in denen alles Gediegenheit und Nachhaltigkeit ausstrahlt: Im Inneren passt nichts mehr zusammen, der Karren läuft nicht mehr. Von unbekannter Seite wurde die von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebene Missbrauchsstudie im vergangenen September an die Medien durchgestochen. Da konnten Zeitungen mit Zahlen um sich werfen, von denen die meisten Bischöfe noch gar nichts wussten. Die Deutungshoheit war dahin. Was blieb, war klagende Betroffenheit – bis auf den heutigen Tag.
Zuvor schon hatte sich Papst Franziskus geweigert, den deutschen Kommunionstreit zu entscheiden. Da hatten sich die deutschen Oberhirten im Inneren als tief gespalten gezeigt und eine Minderheit hatte Rom um einen Schiedsspruch gebeten. Das Ende des Lieds war es dann, dass jeder Bischof es halten kann, wie er will – was zunächst als bequeme Lösung erscheinen mag. Aber wenn es in zentralen Fragen der Sakramentenpastoral unterschiedliche Handhabungen gibt, rührt sich auch Widerspruch. Zumal sich im kleinen deutschen Rahmen damit wiederholt, was schon die unterschiedliche Aufnahme der von „Amoris laetitia“ gewollten Änderung in der Geschiedenenpastoral im Weltepiskopat und Kardinalskollegium vorgeführt hatte.
Gleichzeitig hat der Finanzskandal im Bistum Eichstätt den Verdacht genährt, dass man in den Bistumsverwaltungen bei aller Klerikerherrlichkeit nicht mit dem Geld umgehen kann. Und Kardinal Reinhard Marx machte daraus jetzt bei der Amtseinführung des neuen Direktors der Katholischen Akademie in München den Generalverdacht, dass die Kirche auch sonst nicht auf der Höhe der Zeit sei und von der Welt erst einmal wieder das Denken lernen müsse. Man habe nur dann eine gute Zukunft, wenn „wir ohne Angst als Kirche den Mut haben, von der Welt denken zu lernen“, sagte der Konferenzvorsitzende am vergangenen Freitag.
In Rom sitzt Kardinal Gerhard Müller, der vor zwei Jahren noch Präfekt der Glaubenskongregation war. Dass er jetzt mit einem weitverbreiteten und in sieben Sprachen veröffentlichten Glaubens-Manifest ins Rampenlicht getreten ist, hat etwas mit der Verunsicherung zu tun, die er in weiten Teilen der Kirche wahrnimmt, aber sicherlich auch in seiner deutschen Heimat, wo die Missbrauchsdebatte – anders als auf weltkirchlicher Ebene – sich verbindet mit den Schlagworten vom Ende des für Priester verpflichtenden Zölibats, der Weihe von Frauen und einer Abkehr von der Sexualmoral, so wie sie der Katechismus der Katholischen Kirche lehrt. Auf diesen Katechismus nimmt Müller ausdrücklich Bezug, wenn er nun auf vier Seiten „ein öffentliches Zeugnis für die Wahrheit der Offenbarung“ gibt, um das ihn „angesichts sich ausbreitender Verwirrung in der Lehre des Glaubens“ viele „Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien“ gebeten hätten.
Der italienische Online-Dienst „Vatican Insider“, der sich auch ohne seinen Gründer Andrea Tornielli nach wie vor als Sprachrohr von Papst Franziskus sieht, präsentierte Müllers Dokument gleich als Versuch, die Lehre von Papst Franziskus zu „korrigieren“. Und auch Kardinal Walter Kasper reagierte sogleich mit einer Erklärung, in der er seinen Landsmann mit einem „Luther redivivus“ verglich, weil Müller gegen Ende seines Textes vor dem „Betrug des Antichristen“ warnte, der die Glaubenswahrheiten verschweige und so die Menschen verführe. Kasper sieht darin eine Kritik an Papst Franziskus und Müller als jemanden, der „sich zu Recht für Reformen in der Kirche einsetzt, diese aber am Papst vorbei und gegen ihn durchsetzen will? Ich will das nicht glauben. Denn das könnte nur zu Verwirrung und Spaltung führen. Das würde die katholische Kirche aus den Angeln heben.“
Die imaginäre PR-Agentur, die das Image der Kirche in Deutschland aufpolieren soll, würde an dieser Stelle ihren Auftrag wohl zurückgeben, denn offenbar hat nicht nur die deutsche Hierarchie, sondern die Weltkirche bis in ihre purpurnen Spitzen hinein ein Orientierungsproblem. Die einen denken von der Offenbarung her, die anderen gehen von den Befindlichkeiten der Menschen aus. Eine Spannung, die das Katholische immer aushalten konnte, was aber anscheinend nicht mehr funktioniert.
Dabei hatte Kardinal Müller sein Glaubens-Manifest mit dem Titel „Euer Herz lasse sich nicht verwirren“ mit dem begonnen, was seit jeher das Herz des katholischen Credos ausmacht: „Mit klarer Entschiedenheit ist dem Rückfall in alte Häresien entgegenzutreten, die in Jesus Christus nur einen guten Menschen, Bruder und Freund, einen Propheten und Moralisten sahen. Er ist zu allererst das Wort, das bei Gott war und Gott ist, der Sohn des Vaters, der unsere menschliche Natur angenommen hat, um uns zu erlösen...“. Das Instrument der Erlösung ist die Kirche mit ihrer sakramentalen Ordnung, wozu laut Müller auch gehört, dass nur der zur Kommunion gehen kann, der dieses Sakraments würdig ist: „Von der inneren Logik des Sakramentes versteht sich, dass standesamtlich wiederverheiratet Geschiedene, deren sakramentale Ehe vor Gott besteht, nicht voll mit dem katholischen Glauben und der Kirche verbundene Christen, wie alle, die nicht entsprechend disponiert sind, die heilige Eucharistie nicht fruchtbar empfangen (KKK 1457), weil sie ihnen nicht zum Heil gereicht.“ Das ist seit dem Konsistorium vom Februar 2014, bei dem Kasper über die Einzelfall-Lösungen für Wiederverheiratete sprach, der Streitpunkt zwischen beiden Kardinälen. Weshalb Kasper in seiner Erklärung Müller genau in diesem Punkt widerspricht: Das Kommunionverbot für Wiederverheiratete stehe so nicht in Punkt 1457 des Katechismus. Außerdem spreche das Manifest (Müllers) von wiederverheiratet Geschiedenen, deren erste Ehe „vor Gott besteht. Damit setzt es offensichtlich voraus, dass es auch solche gibt, deren erste Ehe vor Gott nicht besteht. Wer kann das entscheiden, und was ist mit diesen?“
Ebenfalls auf das Beharren Müllers auf dem priesterlichen Zölibat kontert Kasper mit der Bemerkung: „Auch wenn ich persönlich der Überzeugung bin, man müsse über den Sinn der freigewählten Ehelosigkeit der Priester nochmals neu und tiefer nachdenken, so kann zumindest die Diskussion über viri probati nicht verboten sein.“ Die Amazonas-Synode im Herbst lässt grüßen. Der Richtungsstreit in der Kirche ist längst noch nicht beendet. Er nimmt an Schärfe zu.