Abbild des Vaters

Priesterbild für heute – Zum 50. Todestags Pater Joseph Kentenichs. Von Manfred Gerwing
Porträt von Pater Josef Kentenich
Foto: KNA-Bild (KNA) | Porträt von Pater Josef Kentenich, Gründer der internationalen Schönstatt-Bewegung. (Aufnahmeort und Aufnahmedatum unbekannt)

Der heilige Johannes Paul II. nannte ihn einen „der großen Priestergestalten der neueren Geschichte“. Gemeint war Pater Joseph Kentenich (1885–1968), der Gründer des internationalen Schönstatt-Werkes. Vor 50 Jahren starb er: am Morgen des 15. September 1968. Es war ein Sonntag. Die Kirche gedachte der Sieben Schmerzen Mariens.

Um 6.15 Uhr war er an den Altar getreten. Kurz nach sieben war die Messfeier beendet. Zurück in der Sakristei verharrte er eine Weile still am Ankleidetisch, neigte sich plötzlich nach vorn und sank zu Boden. Sein großes Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Pater Kentenich legte sein Priesterbild in zahlreichen Tagungen, Vorträgen, Primizpredigten und Exerzitien dar. Überdies gelang es ihm, im Rahmen seines Schönstattwerkes eine Reihe von Priestergemeinschaften ins Leben zu rufen. Das reichhaltige Quellenmaterial ist gesammelt und gesichtet, aber noch längst nicht kritisch ediert und genügend erforscht. Seine Gedanken waren damals aktuell und sind es angesichts der fundamentalen Kritik und Krise um das Priestertum, sein Wesen und seine künftige Gestalt mehr denn je.

Die tägliche Messzelebration war für ihn selbstverständlich. Er wusste sich dazu berufen und gesandt, sah darin als Priester seine vornehmste Aufgabe und die Quelle seiner Freude.

Mit der Kirche war Kentenich davon überzeugt, dass dem Priester in der Ordination eine potestas sacra, eine geistliche Vollmacht, zuteilgeworden sei. Sie bestehe darin, dass er das Altarssakrament in persona Christi zu vollziehen vermöge. „Priester werden dazu geweiht, das Sakrament des Leibes Christi zu vollziehen.“ Durch das Zweite Vatikanische Konzil sah er sich in dieser Auffassung bestätigt. „Am meisten üben die Priester ihr heiliges Amt in der Feier der Eucharistie“ aus (Lumen gentium 28). Das, was unter „Sakrament des Leibes Christi“ zu verstehen sei, dürfe allerdings nicht auf den Akt der Konsekration eingeengt werden.

Das Sakrament des Leibes ist das Sakrament der Wahrheit, der Liebe und das Sakrament der Einheit der Kirche, wodurch „die Vielen eins sind in Christus“, wie er mit Rekurs auf den Aquinaten (STh III, q. 82, a. 2 ad 3) und in Orientierung an das Bittgebet zu seiner Primiz, Juli 1910, betonte: „Verleihe, o mein Gott, dass alle Geister in der Wahrheit und alle Herzen in der Liebe sich einigen.“ Wahrheit, Liebe, Einigung. Das waren Kentenichs Leitsterne. Sie verdeutlichen seine katholische, weltumfassende Einstellung.

Gott ruft, wählt aus und nimmt in Anspruch: aus den Menschen, für die Menschen. Der Mensch habe – wie Maria – zu hören und Gott zu antworten: existentiell, ganz und gar, für immer. Er müsse auf das Wort Gottes hören, es in sich aufnehmen, gleichsam mit ihm schwanger gehen und der Welt neu schenken. Der Priester muss ein kontemplativer Mensch sein. Ein Mann des Gebets, ein marianischer Priester.

Als solcher glaubt er an die wirklich-wirkende Realität Gottes im Leben der Menschen und im Menschen. Er ist fähig, die Gegenwart Gottes auch noch im Versagen zu zeigen, weil er das Leben heilsgeschichtlich zu deuten versteht.

Der Priester sei in eine tiefe Seins-, Wirk- und Lebenseinheit mit Christus hineingezogen. Seine Sendung dürfe er mithilfe und orientiert an Maria erfüllen; denn auch sie stehe in einer besonderen Nähe zu Christus, dem Haupt der ganzen Schöpfung. Maria sei ihm Dauergefährtin und Dauergehilfin bei seinem ganzen Erlösungswerk.

In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg ging Kentenich in seinen Überlegungen zum Priestertum vor allem vom character sacerdotalis indelebilis aus. In der Lehre vom durch das Sakrament verliehenen „unauslöschlichen Merkmal“ wird die göttliche Berufung unterstrichen, die, weil sie göttlich ist, unwiderruflich sei. Damit steigerte er das Selbstbewusstsein und Auserwähltsein der Priester. Vor allem die Priester sollten sich nicht der Welt anpassen, sondern sich „beständig umwandeln lassen durch Erneuerung des Denkens“.

Die Priester leben aus einer göttlichen Realität und übernatürlichen Kraft. Gerade deswegen gelte es, sich als Priester einer herben, „heroischen Askese“ zu unterziehen.

Wenn Christus, dessen alter ego der Priester sei, arm und ehelos lebte und aus Liebe und im Gehorsam zum Vater sein Leben hingab, sich im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Altar des Golgatha-Kreuzes opferte, dann müsse auch der Priester in die radikale Nachfolge Jesu treten, die drei evangelischen Räte leben und bereit sein zum Martyrium.

Es gelte, sich von niemandem und nichts erpressen, terrorisieren oder in Angst und Schrecken versetzen zu lassen. Vielmehr sei die Freiheit der Kinder Gottes zu leben. Sie bestehe in der Gewissheit, dass nichts, nicht einmal der Tod, uns von der Liebe Christi trenne.

Im KZ Dachau zeigt sich eine weitere Öffnung seines spirituellen Ansatzes. Jetzt geht Kentenich deutlicher vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen aus. Allerdings nicht, um das eine gegen das andere auszuspielen, zu relativieren oder gar zu entwerten, sondern umgekehrt: um beide aufeinander zu beziehen, zu stärken und zu dynamisieren.

Deutlich wird diese Akzentverschiebung u.a. in den allabendlichen Vorträgen, die er eineinhalb Jahre lang ununterbrochen in Zusammenhang mit einem Benediktiner für den gesamten deutschen Priesterblock im KZ Dachau unter Lebensgefahr hielt. Hier ging es um den Aufbau einer widerstandsfähigen, idealen Priestergemeinschaft. Die Vorträge standen unter dem Leitwort Vivamus et moriamur pro Christo rege et regno eius veritatis et caritatis, „lasst uns leben und sterben für Christus, den König, und sein Reich der Wahrheit und der Liebe“.

Dabei stellen alle Christen zusammen eine heilige Priesterschaft dar. „Taufe, Firmung und Priesterweihe prägen in ihrer Art ein unauslöschliches Merkmal ein; Sie schenken […] Teilnahme am priesterlichen Charakter Jesu Christi“. Die Weihepriester aber haben die Aufgabe, die zum Volk Gottes Gehörenden entsprechend zu motivieren, ihre christliche Berufung zu erkennen und im Leben zu realisieren: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat“.

Pater Kentenich beabsichtigte, die Priester dazu zu befähigen, dass sie im Glauben an den vor- und fürsorgenden Vater-Gott ihre Angst überwinden und der Welt das Wort Gottes verkünden. Es gelte, die Gläubigen zu befähigen, kraft ihres königlichen Priestertums mitzuwirken „an der eucharistischen Darbringung“ und „ihr Priestertum […] im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“ auszuüben (Lumen gentium).

In Milwaukee, USA, und in den letzten Jahren nach seinem Exil fasste Kentenich sein umfassendes Priesterverständnis entschieden mit dem Wort „Vater“ bzw. „guter Hirt“ zusammen. Dabei redete er nicht einem Klerikalismus oder Paternalismus das Wort. Der Begriff „Vater“ ist vielmehr im Kontext seines Kirchenverständnisses zu deuten. „Kirche“ ist ihm nicht so sehr Institution und Organisation, sondern Familie Gottes, eine Art spirituelles, geistgewirktes Netzwerk von personalen Beziehungen und Prozessen zur Weitergabe des Wortes Gottes.

Der Priester als Vater ist in und mit Christus Abbild des Vater-Gottes. Er dient selbstlos fremden Leben, lässt es wachsen und verhilft ihm zum „Leben in Fülle“. Im Anderen sieht und entdeckt er Christus und nimmt ihm gegenüber „Johanneshaltung“ ein: „Er muss wachsen, ich aber abnehmen“.

 

Zur Person

Pater Joseph Kentenich wurde 1885 in Gymnich bei Köln geboren und auf den Namen Peter Josef getauft. Er trat bei den Pallottinern ein und empfing 1910 empfing in Limburg die Priesterweihe. Als Spiritual am Studienkolleg der Pallottiner in Vallendar am Rhein gründete er 1914 mit einigen der ihm anvertrauten Studenten eine Marianische Kongregation, aus der die Schönstattbewegung hervorging. Der 18. Oktober 1914 gilt als Gründungstag. Als Gegner des Nationalsozialismus war er drei Jahre in Dachau inhaftiert. In den fünfziger Jahren prüfte die Kirche die Schönstattbewegung. Pater Kentenich verbrachte vierzehn Jahre im amerikanischen Exil, ehe er 1965 rehabilitiert wurde und nach Deutschland zurückkehrte. Er starb am 15. September in der Anbetungskirche auf Berg Schönstatt, wo er seine letzte Ruhe fand. Sein Sarkophag trägt die Inschrift: „Dilexit Ecclesiam“ – Er liebte die Kirche.

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