In diesem Jahr begeht er seinen neunzigsten „Geburtstag“: Fast sechzig Jahre nach dem Ende des alten Kirchenstaates im Jahre 1870 entstand am 11. Februar 1929 der souveräne „Staat der Vatikanstadt“. Im Vatikanstaat verfügt der Heilige Vater über die volle und uneingeschränkte gesetzliche, ausführende und gerichtliche Gewalt. Während der Sedisvakanz, dem Zeitraum, in dem das Amt des Papstes unbesetzt ist, liegen diese Befugnisse in den Händen des Kardinalskollegiums.
Zur Verwaltung des neuen Kirchenstaates setzte Pius XI. (1922–1939) einen Gouverneur und einen Generalrat ein. Später errichtete Pius XII. (1939–1958) zudem eine „Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt“. Als der erste Gouverneur, ein römischer Marchese, verstarb, wurde sein Amt nicht wieder besetzt. Für die Verwaltung des Vatikanstaates blieb jedoch weiterhin die Bezeichnung „Governatorato“ bestehen.
Am 16. Juli 2002 erließ der heilige Johannes Paul II. kraft eines Motu proprio ein neues „Gesetz über die Regierung des Vatikanstaates“. Das Gesetz sieht vor, dass die Regierung des Stadtstaates durch das Governatorat geschieht. Dieses wird gebildet durch die Gesamtheit der Behörden, die zur Ausübung der ausführenden Gewalt im Vatikanstaat und dessen exterritoriale Gebiete bestimmt sind. „Die ausführende Gewalt wird durch den Kardinalpräsidenten der Päpstlichen Kommission für den Vatikanstaat ausgeübt, der den Titel „Präsident des Governatorats“ trägt. In der Ausübung seiner Aufgaben stehen ihm der Generalsekretär und der Vizegeneralsekretär unmittelbar zur Seite, denen er – auch ständig – die Erledigung bestimmter Funktionen übertragen kann.
Als Verwaltungseinheiten des Governatorats benennt das Motu proprio Direktionen und Zentralämter. Die Direktionen agieren als „technisch-administrative Zentren für die Verwirklichung der institutionellen Tätigkeiten des Staates, der geschaffen wurde zum Zwecke der Gewährleistung der Souveränität und der Unabhängigkeit des Heiligen Stuhles“. Die Aufgaben des Governatorates sind vielfältig. Es gilt, wie in jedem anderen Staat auch, ein Geburten-, Heirats- und Sterberegister zu führen. Das Governatorat unterhält ein Verzeichnis der Staatsbürger und erteilt Aufenthaltsgenehmigungen, die zeitlich beschränkt oder auf Dauer ausgestellt sind. Neben dem „Registro Automobilistico Vaticano“, dem Verzeichnis der vatikanischen Kraftfahrzeuge, gibt es sogar ein eigenes Schifffahrtsregister, das jedoch noch keinen Eintrag aufweist. Der Vatikan besitzt das international verbriefte Recht, unter päpstlicher Flagge Schiffe auf den Weltmeeren fahren zu lassen. Das Governatorat trägt Sorge um die Instandhaltung der Gebäude in päpstlichem Besitz, der Straßen und Gärten in der Vatikanstadt und den exterritorialen Gebieten; der Abteilung der Technischen Dienste mit ihren diversen Werkstätten sind die zahlreichen Wasser-, Elektro-, Heizungs- und Klimaanlagen anvertraut.
Ein „Ufficio Merci“ (Warenamt) kümmert sich um die Versorgung des Vatikans mit Gütern aller Art. Die „Floreria“, ein großangelegtes Magazin, besorgt den Schmuck und die Ausgestaltung der Räume, in denen die liturgischen Feiern, Zeremonien und Audienzen des Heiligen Vaters stattfinden; ferner betreut sie die Einrichtung der Wohnungen des Papstes, der Kardinäle und übrigen kirchlichen Würdenträger ebenso wie die der Büros der Kurie und des Vatikanstaates. Dem Governatorat unterstehen das Post- und Telegrafenamt des Vatikans, der Telefondienst, die staatseigene Druckerei und Verlagsbuchhandlung, die Vatikanischen Museen sowie die Sternwarte des Heiligen Vaters in Castel Gandolfo. Auch der Bahnhof des Papstes und der Fuhrpark des Pontifex werden von den Büros im Palazzo del Governatorato aus verwaltet.
Für die Sicherheit im weltlichen Herrschaftsgebiet des Papstes sorgen ein eigenes Gendarmeriekorps und eine kleine, aber äußerst effiziente Feuerwehrtruppe; beide unterstehen der Direktion für die Sicherheits- und Zivilschutzdienste. 2009 kam die päpstliche Feuerwehr zum ersten Mal im benachbarten „Ausland“ zum Einsatz. Ein schweres Erdbeben in Mittelitalien, in L'Aquila und Umgebung, hatte viele Opfer gefordert. Es gab Verletzte und Tote. Als der Vatikan von der Katastrophe erfuhr, entschied man sich spontan, mit der Feuerwehr der Vatikanstadt vor Ort zu erscheinen: „Auch wenn unser Beitrag eher symbolisch war, wir wollten in dieser großen Not da sein und unsere Hilfe anbieten, als Unterstützung für die Menschen, die leiden – im Namen des Papstes.“
Der „Vatileaks-Prozess“ des Jahres 2012, der sich mit dem Diebstahl vertraulicher Dokumente aus den Privatgemächern Benedikts XVI. zu befassen hatte, weckte überall auf der Erde nicht nur das Interesse an der weltlichen Gerichtsbarkeit des Papstes, sondern auch an Missbräuchen im Staat der Vatikanstadt. „Warum soll es bei uns nicht menscheln?“, erklärte sich ein hochrangiger Verantwortungsträger des Governatorates in einem Interview mit einer italienischen Tageszeitung.
In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren die Briefmarken des Vatikans zu einem Spekulationsobjekt geworden. Händler kauften die Marken gezielt auf. Der Vatikanstaat erhöhte dann die Auflage so sehr, dass der Sammlerwert der Briefmarken ins Bodenlose stürzte. Als man darauf reagierte und noch vorhandene Bestände vernichtete, trat genau das Gegenteil der beabsichtigten Korrektur ein. Die Verwirrung bei den Philatelisten wurde noch größer und die Bewertung vatikanischer Marken beinahe unmöglich. Die päpstliche Postverwaltung besann sich: Sie legte von da ab die Auflagenhöhe definitiv fest und ordnete Verkaufsbeschränkungen für die Briefmarkenserien an. Heute sind die Briefmarken des Papstes wieder beliebte und seriöse Sammelobjekte.
Vatikanische Insider berichteten in den 1970er Jahren von einer Versuchung des Kirchenstaates, vom Europäischen Butterberg zu profitieren. Ein Abgeordneter des Europaparlaments wollte von der damaligen EWG-Kommission wissen, wieviel Butter in der kleinen Vatikanstadt verbraucht werde. Nach seinen eigenen Angaben hatte der Vatikan 1969 allein aus Deutschland 62 000 Kilogramm und aus Frankreich 1 239 000 Kilogramm eingeführt. Umgerechnet auf die Bürger und Aufenthaltsberechtigte in dem Stadtstaat hätte jeder von diesen täglich vier Kilo Butter verzehren müssen. Man versprach Abhilfe, doch noch Jahre später wurde publik, dass sogar Butter, die für kirchliche Hospitäler, Waisenhäuser und die Armen- und Altenspeisung bestimmt war, von einem Handelsunternehmen unter Beteiligung von Monsignori auf dem italienischen Schwarzmarkt versilbert wurde.
Die „Farmacia Vaticana“ ist die meist besuchte Apotheke der Welt. Tag für Tag wird sie von weit mehr als zweitausend Menschen aufgesucht, fast die Hälfte von ihnen kommt aus dem „Ausland“. In der Apotheke sind Medikamente vorrätig, die im benachbarten Italien noch nicht im Handel erhältlich sind oder dort überhaupt nicht vertrieben werden. Die „Farmacia Vaticana“ weist ausdrücklich darauf hin, dass in ihr keine Produkte verkauft würden, die moralisch verwerflich seien. Doch vor dem Missbrauch von Medikamenten ist man auch im Schatten von Sankt Peter nicht gefeit. Im November 1990 plauderte der kanadische Leichtathletik-Trainer Charlie Francis in einem Interview aus: „1981 in Rom rannten die Kugelstoßer immer in den Vatikan, und alle wunderten sich, wie religiös Kugelstoßer sind. Dann stellte sich heraus, dass die Vatikan-Apotheke als einzige in Rom Dianabol ausgab.“
Jahrzehnte später sah sich ein Prälat in der oberen Verwaltungsebene des Vatikan- staates verpflichtet, auf Missstände hinzuweisen. Carlo Maria Vigano, geboren 1941 in Varese, war bereits ein erfahrender und verdienter Diplomat des Heiligen Stuhls, als er im Juli 2009 von Papst Benedikt XVI. zum Generalsekretär des Governatorats der Vatikanstadt berufen wurde. Aber bereits im Oktober 2011 ernannte ihn Papst Benedikt XVI. zum Apostolischen Nuntius in den Vereinigten Staaten. Vorausgegangen war in der Vatileaks-Affäre die Veröffentlichung von Briefen, in denen Erzbischof Vigano auf seine Bemühungen zur Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft in der Vatikanstadt hinwies und den Wunsch äußert, sein Amt weiterhin ausüben zu dürfen.
Vermutlich wird der Heilige Stuhl in naher Zukunft kaum umhinkommen, nicht nur auf die Vorwürfe des Ex-Nuntius Vigano in der aktuellen Missbrauchsaffäre einzugehen, sondern auch seine Erfahrung als Generalsekretär des Governatorates einer neuen Bewertung zu unterziehen.