Feuilleton

Wo einst die Gottesmutter von Kasan war

Von der „Blauen Armee Mariens“ zum Fatima-Weltapostolat: Das Haus Domus Pacis erinnert daran, wie der Funke auf die Weltkirche übersprang. Von Katrin Krips-Schmidt
Das Haus des Friedens mit der berühmten blauen Kuppel ist ein Wahrzeichen Fatimas
Foto: Wenz | Das Haus des Friedens mit der berühmten blauen Kuppel ist ein Wahrzeichen Fatimas.

Die Botschaften der Muttergottes von Fatima sind der Ausgangspunkt einer weltweiten apostolischen Bewegung. Heute ist sie in 120 Ländern auf allen fünf Kontinenten präsent.

Die Keimzelle der internationalen Gemeinschaft des Fatima-Weltapostolats lag jedoch viele tausend Kilometer entfernt von dem berühmten Wallfahrtsort in Portugal. Und eigentlich waren dort, in der kleinen Gemeinde St. Mary of Plainfield im Staat New Jersey im Jahr 1946, wo Pfarrer Harold Colgan seit kurzem tätig war, die Marienerscheinungen noch gar nicht sonderlich bekannt. Dies sollte sich jedoch schon bald ändern. Denn der Pfarrer kam – mit gerade 52 Jahren – mit schweren Herzbeschwerden ins Krankenhaus. Die Ärzte gaben ihm nur noch wenige Monate. Pfarrer Colgan bat darum, ihm eine Marienstatue zu bringen. Am nächsten Tag – es war der 8. Dezember, das Fest der Unbefleckten Empfängnis – versprach er, dass er der Jungfrau den Rest seines Lebens widmen und ihre Botschaft verbreiten werde, wenn er wieder geheilt würde.

Innerhalb kürzester Zeit wurde er gesund und konnte seine Tätigkeit in der Pfarrei wieder aufnehmen. Von nun an war er bemüht, die Bitten Unserer Lieben Frau von Fatima zu befolgen. Ihre Botschaft, die er in seinen Predigten weitergab, fasste er in drei Punkten zusammen: Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariä, die tägliche Betrachtung des Rosenkranzgebetes sowie die gewissenhafte Befolgung der individuellen als auch der gesellschaftlichen Pflichten.

In einer Kleinschrift las er, dass Maria versprochen hatte, Russland werde sich bekehren, wenn ihre Wünsche befolgt werden. So entschloss er sich, den militant atheistischen Kommunisten und ihrer Roten Armee in der Sowjetunion eine „Gegenarmee“ entgegenzustellen – eine Streitmacht von Betern, die nicht mit militärischen Waffen, sondern mit den Waffen des Gebetes die Seelen bekehren solle. Als Zeichen ihres Einverständnisses sollten die Gemeindemitglieder, die sich daran beteiligen wollten, bei der nächsten Sonntagsmesse ein blaues Tuch oder ein blaues Kleidungsstück tragen. Die Aktion wurde ein voller Erfolg. Damit war die „Blaue Armee Unserer Lieben Jungfrau von Fatima“ im Jahr 1947 ins Leben gerufen. Der Ortsbischof ermutigte Pfarrer Colgan zur Gründung weiterer Gruppen in seiner Diözese.

Schon bald arbeitete der Geistliche mit John Haffert, dem Autor und Herausgeber zahlreicher katholischer Bücher, zusammen. Haffert hatte am 8. Dezember 1947 die internationale Pilgerstatue Unserer Jungfrau nach Amerika gebracht, die zuvor vom Bischof von Fatima gesegnet worden war. Nun trat sie ihren Siegeszug durch die Vereinigten Staaten und auch durch Kanada und von dort aus durch die ganze Welt an.

Auch in den Massenmedien verbreitete sich die Botschaft der Jungfrau von Fatima. Pfarrer Colgan und John Haffert reisten 1950 gemeinsam in den Vatikan, wo sie Papst Pius XII. ihr Projekt vorstellten. Der Heilige Vater ermunterte sie mit den Worten: „Als Weltanführer gegen den Kommunismus segne ich Dich und alle Mitglieder der ,Blauen Armee‘“. 1954 ernannte Pius XII. Pfarrer Colgan zum Monsignore. Zu dieser Zeit zählte die „Blaue Armee“ bereits mehr als fünf Millionen Mitglieder. Heute fühlen sich weltweit etwa 21 Millionen Menschen dem Fatima-Weltapostolat zugehörig. Diesen neuen Namen gab sich die Bewegung im Jahr 2005 auf Vorschlag des Heiligen Stuhls, um die Bedeutung des marianischen Apostolats zu unterstreichen und eine womöglich negative,„kriegerische“ Konnotation, die mit dem Begriff „Armee“ verbunden gewesen wäre, zu vermeiden.

Erster internationaler Präsident wurde Bischof Joao Venancio von Leiria-Fatima. Als Hauptsitz wurde ein Grundstück hinter dem Fatima-Heiligtum auserkoren, auf dem ein Hotel mit einer lateinischen und einer byzantinischen Kapelle, die mit ihrer russischen Kuppel schon von weitem erkennbar ist, errichtet wurde – das „Domus Pacis“ (Haus des Friedens).

Die „Blaue Armee“ bildete Gebetsgruppen, die sogenannten „Gebetszellen“, vernetzte sich immer weiter auf internationalen Treffen und bot ihren Mitgliedern Pilgerfahrten nach Fatima und zu anderen religiösen Wallfahrtstätten an. 1970 erwarben Monsignore Colgan und John Haffert von einer Engländerin die „Gottesmutter von Kazan“, eine als wundertätig angesehene Ikone der russisch-orthodoxen Kirche. Bis Anfang der neunziger Jahre wurde sie in der byzantinischen Kirche in Fatima ausgestellt, bis man sie Papst Johannes Paul II., durch dessen Pontifikat die „Blaue Armee“ einen starken Auftrieb erhalten hatte, 1993 zur Verfügung stellte, der sie 2004 der russisch-orthodoxen Kirche zurückgab.

Monsignore Colgan starb 1972, während sein Mitstreiter John Haffert 1991 noch den Sturz der kommunistischen Sowjetunion miterleben durfte. Neun Monate später traf er mit mehreren hundert Pilgern auf seinem „Friedensflug nach Russland“, der am Rosenkranzfest des Jahres 1992 begonnen hatte, auf dem Roten Platz in Moskau ein. So war er auch noch Zeuge, als Papst Johannes Paul II. gemeinsam mit den Bischöfen der Welt am 24. März 1984 die Weihe Russlands an das Unbefleckte Herz Mariens vollzog und damit die Bekehrung des russischen Volkes einleitete – wie es die Gottesmutter prophezeit hatte.

John Haffert starb am 31. Oktober 2001. Am 7. Oktober 2005 wurde die „Blaue Armee“ vom Päpstlichen Rat für die Laien als eine Katholische Vereinigung Päpstlichen Rechts für die Weltkirche bestätigt, womit ihr die höchste kirchliche Anerkennung zuteil wurde. Seitdem hat sie zum ersten Mal einen Laien als Präsidenten: den aus Puerto Rico gebürtigen Professor Américo Pablo López-Ortiz.

Nach Deutschland kam die „Blaue Armee Mariens“ schon 1951. Pfarrer Andreas Johannes Fuhs, ein Mitglied der Päpstlichen Marianischen Akademie, begann, ausgehend von seiner eigenen Pfarrgemeinde in Beltheim bei Koblenz, die Botschaft von Fatima zu verbreiten, nachdem er zuvor die Erlaubnis des Bischofs von Trier erhalten hatte. Dazu trug dazu auch die von Pater Karl Pfister herausgegebene Zeitschrift „Maria siegt“ entscheidend bei. 1954 hatten in Deutschland bereits über 80 000 Gläubige ein Versprechen abgelegt. Im selben Jahr vollzog Kardinal Frings auf dem Katholikentag in Fulda vor 100 000 Teilnehmer die Weihe Deutschlands an die Gottesmutter.

1962 stattete Pfarrer Fuhs gemeinsam mit dem Gründer der internationalen Organisation, Monsignore Colgan, Konrad Adenauer, der ebenfalls Mitglied der „Blauen Armee“ Mariens war, einen Besuch ab. Unter den Nachfolgern von Pfarrer Fuhs, unter anderen Pfarrer Hans Albert Reul und dem Geistlichen Rat Martin Übelhör, konnte sich die Bewegung stetig weiterentwickeln. Erzbischof Dyba erneuerte 1994 die Weihe Deutschlands an das Unbefleckte Herz Mariens. Die Zentrale des Fatima-Weltapostolates in Deutschland hat ihren Sitz in Petersberg bei Fulda.

Hintergrund

Die Ikone der Gottesmutter von Kasan gilt als Ausdruck der „Seele des russischen Volkes“ und als Beschützerin Russlands und ist daher die berühmteste Ikone der russisch-orthodoxen Kirche. Die Entstehung des wundertätigen Bildes liegt weitgehend im Dunkeln. Der Überlieferung nach soll es in der Mitte des 16. Jahrhunderts von einem Mädchen unter den Trümmern eines abgebrannten Hauses aufgefunden worden sein, nachdem die Gottesmutter dem Kind den Weg zu der verschollenen Ikone aufgezeigt hatte. Diese wurde nach ihrem Auffindungsort als „Gottesmutter von Kasan“ bezeichnet. Zar Iwan der Schreckliche ließ eine erste Kopie anfertigen, der noch viele weitere folgen sollten. Auch sie galten teilweise als wundertätig. Der Madonna wurde immer wieder die Hilfe bei der Vertreibung feindlicher Truppen zugeschrieben. Die Moskauer Kasaner-Kathedrale an der nördlichen Seite des Roten Platzes sowie die große Kasaner-Kathedrale in St. Petersburg sind der Gottesmutter von Kasan gewidmet. In ihnen finden sich Kopien der Madonna. Das Original wurde Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Petersburger Gotteshaus entwendet (andere Quellen sprechen davon, dass sie zerstört wurde) und 1953 von einem Engländer aufgekauft. Zwischen 1970 und 1993 wurde die „Kasanskaja“, wie die Statue auch genannt wird, in Fatima aufbewahrt, nachdem die „Blaue Armee“ sie für drei Millionen Dollar erworben hatte. Von 1993 bis 2004 befand sie sich im Arbeitszimmer von Papst Johannes Paul II., bevor sie am 28. August 2004 dem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau Alexius II. durch Kardinal Walter Kasper übergeben wurde. Seit Juli 2005 befindet sie sich in der renovierten Mariä-Verkündigungs-Kathedrale in Kasan. KKS

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