Schöpfung heißt, dass es überhaupt eine Adresse gibt, der man dafür danken kann, dass es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts. Dass es mich gibt, meine Schwester, meinen Bruder, meine Frau und Kinder, Großeltern, weitere Verwandte, Lehrer und Pfarrer. Dass unser Dasein bunt ist und unsere Geschichte mit Reichtümern gesegnet. Schöpfung heißt daher Freude darüber, nicht allein zu sein. Und oft nehmen wir Schöpfung neu wahr, wenn wir etwas in die Einsamkeit gehen. Aber dort, zum Beispiel am Strand oder im Gebirge, begegnet uns Schöpfung noch einmal in ihrer ganzen Großartigkeit, ganz zu schweigen vom Blick in den gestirnten Himmel. Nein, wir sind nicht allein und das verdanken wir nicht uns selbst.
Es ist schlicht evident, dass wir das nicht alles selbst gemacht haben, sondern hineingerufen, hineingeboren werden in den großen Reichtum „des Seins“. Wer auch nur ein wenig nachdenken kann, muss geradezu zwangsläufig zu einem dankbaren Menschen werden.
Der Herr lässt seine Herde nicht ins Nichts fallen
Dazu gehört auch, dass Gott das alles, was ist, weiter am Sein erhält, nicht ins Nichts fallen lässt, wie ein Hirte, der jeden Tag seine Herde auf die Weide führt. Aber schon die Propheten des Alten Testaments und dann alle Apostel nehmen Gottes Wirken etwas später noch tiefer und sensibler wahr: Er ist nicht nur der, dem wir alles verdanken und der jeden Tag Kohlen nachlegt, damit der Kachelofen warm bleibt, der jedem Kind eine Seele schenkt und der auch alle Tiere belebt. Dieser Gott will mit seiner heiligen und heilbringenden, das heißt: lebenspendenden Wirksamkeit bis ins Letzte und Tiefste aller Kreatur hineindringen. Man kann sagen: Er will es alles beherrschen, weil er bis ins Letzte eindringen will.
Hier setzen dann die Missverständnisse ein, als sei eben dieses Tyrannei und am Ende nichts als klerikale Unterwerfung. Ist Gott nur ein machtgieriger Ober-Pastor? Ist „Reich Gottes“ nur Tyrannei bis ins letzte Zipfelchen?
Aber wenn Gott „in allen Dingen“ und auch in all unserem Tun ist, dann bedeutet das doch nur, dass Gott alles mit seinem tröstlichen Licht, mit dem Glanz seiner Ordnung, also mit Schönheit und Glücklichsein erfüllt. Das meint Paulus, wenn er sagt: Gott wird alles in allem sein. Das bedeutet nicht Vernichtung der Kreatur, damit sie nur noch Hülle, Tüte für Gottes Gegenwart ist. Wer das fürchtet, ist wieder vom Tyrannei-Verdacht befallen. Sondern es bedeutet: Gott will und wird alles von aller Bedrohung und Krankheit befreien. So wie eine tapfere Buchbinderin, die gerade ein schönes altes Buch mit goldenem Barockeinband von einem grässlichen pechschwarzen Schimmel befreit. Nicht ohne Atemschutz, Handschuhe und Pinzette. Gott befreit seine unvergleichlich schöne Schöpfung von schwarzem, tödlichem Schimmel. Und wir wissen alle, was das ist. Egal, ob man es nun Tod oder Teufel oder Sünde oder Antichrist nennt.
Dass der Herr wiederkommt steht außer Frage
Erlöser ist Gott, weil er die Herrlichkeit nicht nur an der Oberfläche der Schöpfung angebracht hat, sondern weil er seine Herrlichkeit durchdringen lassen will bis in den letzten Winkel. Das ist, wenn man es so sehen will, „egoistisch“ von Gott. Oder es ist, anders gesehen, die Rettung, weil wir alle miteinander so wenig herrlich sind. Weil es außerhalb des Lichts nur die Nacht gibt, und die Nacht nur dann ihren Zweck erfüllt, wenn sie im Morgenrot endet.
Erlösung mag, um das Bild noch einmal aufzugreifen, Folge von Gottes „Egoismus“ sein. Aber dieser befreit alle andere Kreatur von der Erbkrankheit des tödlichen eigenen nicht-göttlichen Egoismus. Nur der, der Herrlichkeit und Liebe selbst ist, darf sich selbst bis in den letzten Winkel durchsetzen. Und dann sagen wir: Gott sei Dank.
Die Offenbarung des Johannes spricht von dem Schöpfer und dem mit ihm Identischen, „der kommt“. Denn in der Tat ist die Frage, ob und wie Gott kommt, nicht von uns zu entscheiden, sondern gar nicht zu verhindern.
Die angemessene Vorbereitung auf das Kommen Gottes aber ist nicht die Angst, sondern auch hier wieder der Dank. Und das hat auch direkte Verbindungen zu unserem Gottesdienst, der Eucharistie heißt, Dank für Erlösung, auch Dank dafür, er für die Menschen das ist, sie aushält und mit den Getauften zusammen das Unmögliche wagt: in dieser Welt Christ zu sein. Und dass es mit Gott auch ein wenig so ist wie in dem Märchen von Hase und Igel: Gott ist immer schon dort, wo wir in allem Tun und an allem Ende hingelangen.
Deshalb sind die Laudes zwar das kirchliche Morgengebet, aber dabei bleibt es glücklicherweise nicht. Dort, wo Vesper oder bei manchen Komplet in das Nunc dimittis (Lk 2, 28–32) mündet, sind sie für viele Beter am meisten herzergreifend: Nun entlässt du Herr, deinen Diener, denn meine Augen haben dein Heil geschaut. Licht zur Erleuchtung der Heiden und Herrlichkeit für dein Volk Israel. Da ist sie wieder, die Herrlichkeit als letztes Ziel der Nähe Gottes zu den Menschen. Denn Gott hat die Menschen nicht nur erschaffen, sondern will am Ende und für immer bei und mit ihnen wohnen. Jeder Tabernakel ist ein Zeichen davon. Denn Gott hat uns wunderbar erschaffen, aber noch wunderbarer erlöst, wie es in einem Gebet der Eucharistiefeier heißt.