Heilig ist etwas in der Welt, das trotzdem Gott gehört. Heilige Orte, Zeiten, Menschen, Werte und Gebote sind in fast allen Religionen bekannt. Der christliche Theologe wird darin einen Hinweis darauf sehen, dass auch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus wie auch die Gabe des Heiligen Geistes in die Herzen der Menschen genau in diese Linie gehört. Denn zusätzlich zu dem, was wir vom Alten Testament her wissen, geht es bei Jesus Christus und in der Gabe des Heiligen Geistes eben gleich zweimal um eine massive Präsenz Gottes in der Welt. Sie ist immer vereinnahmend, das heißt dort, wo Gott ist, ist sein heiliges Eigentum. Besonders gilt das vom Heiligen Land und von den Heiligen Stätten darin.
Das Heilige als Punkt der Gegenwart Gottes ist – wie Gott selbst – nie tot, sondern stets geheimnisvoll lebendig. Das gilt von großen Heiligen, zum Beispiel dem heiligen Franz von Assisi oder der heiligen Elisabeth. Denn dort, wo etwas oder jemand heilig ist, dort ist Gott verletzlich, segnend, moralisch anspruchsvoll und anstrengend, heilend, tröstend, gefährlich wie die Bundeslade und den Tod überwindend. Kurzum, Gott ist heilig, weil wir an der Summe der Offenbarungen Gottes, von der Heiligen Schrift bis zu Jesus Christus, dem Heiligen Gottes (Mk 1, 24), Gottes Macht wahrnehmen. Sie ist faszinierend und Ehrfurcht gebietend. Kein Zweifel: Der Verlust des Glaubens besteht darin, dass es für diese Menschen nichts Heiliges mehr gibt – weder Liebe, noch Sonntag, noch Kind im Mutterleib – und sie daher die Brücken zu Gott in der Welt nicht mehr sehen können oder wegdeuten. Dabei sind die Brücken überaus zahlreich. Sie reichen vom Antlitz jedes Menschen in seiner Not bis zur herrlichen Inkunabel mit zweitausend Seiten des Duns Scotus; vom Leprakranken in der Klinik Albert Schweitzers bis zu einem gregorianischen Graduale.
Wie aber verhalten sich die vielfältigen Spuren des Heiligen zu dem, von dem wir singen „Denn du allein bist heilig, du allein der Höchste…“? Sicher ist dieses: Wer die Spuren in der Welt nicht sieht oder wegdeutet, kann auch die Sonne nicht erblicken. Aber jede einzelne Spur verdankt ihr letztes und unerklärbares Geheimnis ihrem Charakter als Widerschein des einen und großen Geheimnisses der Welt.
Was gut und wahr ist, ist auch schön
Das gilt besonders von ihrer Schönheit. So blieb es einem christlichen Zeitalter vorbehalten zu sagen: alles, was ist, ist eines und gut, wahr, das heißt, identisch und schön. Die Summe dieser Attribute ist die heilige Quelle allen Seins, nämlich Gott.
Mein Leben lang habe ich allerdings dafür gekämpft, dass die Christenheit nicht vergisst, dass Gottes Heiligkeit auch Gefahr bedeutet. Nicht Drohung, aber es gibt das Heilige, den heiligen Gott, nicht ohne das Gegenteil, die Schändung, die Abtreibung ungeborenen Lebens. Denn weil das Heilige Quelle des Lebens ist, bedeutet Zerstörung und Schändung des Heiligen nichts anderes als Selbstbestrafung.
Wenn wir beten „geheiligt werde dein Name“, dann geht es auch wieder um so etwas wie ein Zeichen von Gott selbst in der Welt: „Lass uns und andere deinen Namen heilighalten“ heißt: Lass uns dein Haus, dein Volk, dein Gebot heilig halten. Ein eigentlich paradoxer Fall: Dass wir das Heilige, das uns schützt und segnet, selbst schützen und achten sollen, dass wir darauf achten müssen, dass der heilige Gott nicht hinausgedrängt wird aus dieser Welt, die er doch selbst geschaffen hat.
„Gott ist heilig“. Dabei ist immer auch das Nicht-Heilige, das anders ist als Gott, mitgedacht. Der Gott der Bibel und überhaupt aller Religionen ist heilig, in Kontrast zu dem, was nicht heilig ist und auf das er doch bleibenden Anspruch erhebt. Denn gerade als der Heilige braucht Gott Menschen. Heiligen des Namens heißt: Dass dein herrliches Handeln als Schöpfer und Erlöser eine persönliche, heilige Antwort und Entsprechung finde. Dass Gott heilig ist, heißt nie, das Gott „schon alleine zurechtkommt“. Denn bei Heiligkeit gehört Gott immer zusammen mit etwas oder jemandem, der nicht Gott ist. Der geheiligt wird oder Gottes Spur trägt, der Gott ehrt, weil er als ein anderer Gott gegenüber steht. Wie Menschen vor dem Altar, die im Schutz des Heiligen geborgen sein möchten.
In der Liturgie überweltliche Reinheit schauen dürfen
Was Heiligkeit Gottes ist, wurde mir zuerst deutlich an der Stille, Zweckfreiheit und Schönheit des Altarraums unserer Pfarrkirche und an dem „ewigen Licht“, das dort auch nachts die heilvolle Gegenwart Gottes anzeigte. Spuren von Weihrauch in der Luft zeigten mir an: Hier wurde und wird gebetet. Die Sehnsucht nach Gottes heiligem Haus und Raum gehört seitdem zu den Grunderfahrungen meines Lebens.
Zur Erfahrung des Heiligen gehört für mich auch das Aufblitzen des Goldes von Kelch, Patene und Monstranz im Gottesdienst, denn der Glanz des Goldes steht für eine fast überweltliche Reinheit. Auch das Gold hat Eigenschaften, die als Zeichen in der Verkündigung des heiligen Gottes dienen können. Reinheit ist nicht-korrupt sein, nicht verwittern können, kein Verfallsdatum haben. Der Satz „Treu wie Gold“ heißt daher biblisch: „Treu wie Gott“. Daher sang man früher: „Dir allein schwör ich die Liebe lilienrein“.
Es ist also nie und nimmer damit getan, dass es Gott „gibt“, dass er irgendwo als Punkt und Spitze einer Himmelsleiter existiert. Erstaunlich ist, dass alle Religionen darin übereinstimmen, dass dieser Heilige absolut kostbar und höchst achtbar ist. Auf Deutsch gesagt: dass es sich lohnt, das Knie vor ihm zu beugen, und dass dieses „würdig, recht und schön“ ist, wie die mozarabischen (altspanischen) Präfationen sagen. Dass seine Spuren in und an den Dingen auch der letzte und eigentliche Grund dafür sind, weshalb wir allen Kreaturen gerecht werden müssen. Die Tugend der Gerechtigkeit ist daher Achten auf Gottes Heiligkeit in der Welt, die von außerhalb der Welt kommt. Dass Gott dreimal heilig ist, ist daher immer das Erste, die Grundvoraussetzung, der unumstößliche Anfang, so bei der Berufung Jesaja, zu Beginn der Visionen der Geheimen Offenbarung und im Sanctus zu Beginn des Kanonteils jeder Messe. Daher ist auch der Heilige Geist die Erstlingsgabe, das Angeld, der Beginn der Neuen Schöpfung.