Vatikanstadt

Gegenspieler oder Brüder im Geist?

Im Wortlaut der Beitrag von Kurienkardinal Gerhard Müller zum Verhältnis von Papst Franziskus und Benedikt XVI.
Zum Verhältnis von Papst Franziskus und Benedikt
Foto: - (Holy See Press Office) | In dem Beitrag Benedikts über das katholische Priestertum habe die „schwere Wahrnehmungsstörung von zwei konträren Einheitsprinzipien“ wieder einmal ihre Bestätigung und Nahrung gefunden, schreibt Kardinal Müller.

Das mediale Verwirrspiel um die Co-Autorenschaft Benedikts XVI.  an Kardinal Sarahs Buch "Aus der Tiefe unseres Herzens" (Januar 2020) indiziert nur die grassierende Paranoia in der Öffentlichkeit seit der vermeintlichen Koexistenz von zwei Päpsten. Denn in der katholischen Kirche kann es nur einen Papst geben. Denn es gilt: "Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielfalt von Bischöfen und Gläubigen." (II. Vatikanum, Lumen gentium 23).

In dem Beitrag Benedikts über das katholische Priestertum hat diese schwere Wahrnehmungsstörung von zwei konträren Einheitsprinzipien wieder einmal ihre Bestätigung und Nahrung gefunden. Es liegt dagegen offen zutage, dass Papst Franziskus und sein Vorgänger Benedikt XVI. nicht die Urheber dieser krankhaften Polarisierung, sondern die Opfer einer ideologischen Projektion sind.

"Dieser singuläre Vorgang, dass der Papst als Haupt des
Bischofskollegiums und der sichtbaren Kirche, deren unsichtbares
Haupt Christus ist, die ihm auf Lebenszeit übertragene Cathedra
Petri noch vor seinem Tode verlässt, kann nie und
nimmer mit weltlichen Kategorien erfasst werden"

Diese gefährdet die Einheit der Kirche ebenso wie sie auch den Primat der römischen Kirche untergräbt. Alle diese Vorgänge zeigen nur, dass das mentale Trauma, das der Amtsverzicht Papst Benedikts Anfang 2013  im "Glaubenssinn des Gottesvolkes" (Lumen gentium 12; 35) ausgelöst hat, noch nicht ausgeheilt ist. Die Gläubigen haben jedoch das Recht auf eine theologisch klare Beurteilung des Nebeneinanders eines regierenden Papstes und seines emeritierten Vorgängers. Dieser singuläre Vorgang, dass der Papst als Haupt des Bischofskollegiums und der sichtbaren Kirche, deren unsichtbares Haupt Christus ist, die ihm auf Lebenszeit übertragene Cathedra Petri noch vor seinem Tode verlässt,  kann nie und nimmer mit weltlichen Kategorien erfasst werden (altersbedingtes Recht auf einen Ruhestand, Wunsch des Volkes, seine Führungspersönlichkeiten auszutauschen). Wenn auch das Kirchenrecht diese abstrakte Möglichkeit vorsieht (Can. 332 §2 CIC), so fehlen bislang detaillierte Bestimmungen und  konkrete Erfahrungen, wie sein Status beschrieben und in vor allem in der Praxis zum Wohl der Kirche gestaltet werden kann.

In der Politik gibt es die Gegenspieler um die Macht. Wenn der Konkurrent beseitigt ist, zieht die Karawane. Unter den Jüngern Christi aber soll es nicht so sein. Denn in der Kirche Gottes sind alle Brüder. Gott allein ist unser Vater. Und sein Sohn Jesus Christus, das Fleisch gewordene Wort (Joh 1, 14-18), ist allein der Lehrer aller (Mt 23, 10). Bischöfe und Priester sind aufgrund ihrer sakramentalen Weihe die im Heiligen Geist bestellten Diener der Kirche (Apg 20, 28), die im Namen und der Autorität Christi die Kirche Gottes leiten. Er spricht durch ihren Mund als göttlicher Lehrer in der Predigt (1 Thess 2, 13). Er heiligt durch sie in den Sakramenten die Gläubigen. Und Christus der "Hirt und Bischof eurer Seelen" (1 Petr 2, 25) sorgt sich um das Heil der Menschen, indem er in Seiner Kirche die  Priester (Bischofe und Presbyter) zu ihren Hirten bestellt (1 Petr 5, 2f; Apg 20, 28). Der römische Bischof übt den Dienst des hl. Petrus aus, der von Jesus, dem Herrn der Kirche, zum universalen Hirtendienst berufen worden ist (Joh 21, 15-17). Aber auch die Bischöfe sind untereinander Brüder. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass sie als Glieder des Bischofskollegium geeint sind -mit und unter der Autorität des Papstes (II. Vatikanum, Lumen gentium 23).

Ein noch lebender ehemaliger Papst ist mit allen Bischöfen brüderlich verbunden und steht unter der lehramtlichen und jurisdiktionellen Autorität des regierenden Papstes. Das schließt aber keineswegs aus, dass sein Wort in der Kirche weiterhin ein großes Gewicht hat aufgrund seiner theologischen und spirituellen Kompetenz sowie seiner bischöflichen und päpstlichen Regierungserfahrung.

"Das Verhältnis jedes emeritierten Bischofs zu seinem
Nachfolger muss vom Geist der Brüderlichkeit geprägt sein"

Das Verhältnis jedes emeritierten Bischofs zu seinem Nachfolger muss vom Geist der Brüderlichkeit geprägt sein. Weltliches Prestigedenken und politische Machtspiele sind Gift im Körper der Kirche, die der Leib Christi ist. Dies gilt a fortiori für das noch delikatere Verhältnis des regierenden Papstes zu seinem  Vorgänger, der auf die Ausübung des Petrusdienstes und somit auf alle Prärogativen des päpstlichen Primates verzichtet hatte und damit definitiv auch nicht mehr der Papst ist.

Erstaunlich ist hier der Schulterschluss der bisherigen Feinde der Kirche aus dem Kreis des altliberalen und marxistischen Neoatheismus mit dem innerkirchlichen Säkularismus, der die Kirche Gottes in eine plantarisch agierende humanitäre Organisation umfunktionieren will.

Der kämpferische Atheist Eugenio Scalfari rühmt sich seiner Freundschaft mit Papst Franziskus. Vereint in der gemeinsamen Idee einer menschen-gemachten Eine-Welt-Religion (ohne Trinität und Inkarnation) dient er ihm seine Kollaboration an. Die Idee einer Volksfront aus Gläubigen und Ungläubigen wird lanciert gegen die von ihm identifizierten Feinde und Gegenspieler aus dem Kreis der Kardinäle und Bischöfe und der "rechts-konservativen" Katholiken. Darin findet er Gleichgesinnte aus dem Kreis der sich selbst so präsentierenden "Bergoglianer-Garde". Dieses von schierem Machtwillen getriebene Netzwerk von Linkspopulisten pervertiert ideologisch die potestas plena des Papstes zu einer potestas illimitata et absoluta. Daraus spricht der blanke Voluntarismus: Nach ihrer Vorstellung ist alles gut und wahr, weil es der Papst es will  nicht umgekehrt tut und sagt es der Papst, weil etwas gut und wahr ist. Sie widersprechen dem II. Vatikanum, welches das Lehramt in Dienst der Offenbarung sieht, in dem es nichts lehrt, als was überliefert ist, weil es das Wort Gottes aus göttlichem Auftrag und mit dem Beistand des Heiligen Geistes voll Ehrfurcht hört, heilig bewahrt und treu auslegt..." (Dei verbum 19). Sie entlarven sich so als die dämonischen Gegenspieler zum Papsttum, wie es in der Lehre des I. und II. Vatikanums dogmatisch definiert ist.

"Wo Gott als einziger Herr anerkannt wird,
da herrschen Gnade und Leben, Freiheit und Liebe"

Wenn schon zwischen Jesus und den Jüngern nicht das Prinzip der Servilität, sondern das Maß der Freundschaft herrscht (Joh 15, 15), wie sollte das Verhältnis des Papstes zu seinen Brüdern im Bischofsamt durch unterwürfigen Opportunismus und blinden, vernunftlosen Gehorsam geprägt sein jenseits der für die katholische Theologie typische Einheit von Glauben und Vernunft? Nach den liberal-marxistischen Vorstellungen legitimiert sich ein "zeitgemäßer" Papst dadurch, dass er die linksextreme Agenda rücksichtslos durchzieht und ein Einheitsdenken promoviert ohne Transzendenz, ohne Gott und die geschichtliche Vermittlung des Heils durch Christus, den einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen (1 Tim 2, 5).   

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In der Welt (der civitas terrena) missbrauchen in der Tat Herrscher, Meinungsführer und Ideologen ihre Macht, indem sie sich über das natürliche Sittengesetz und die göttlichen Gebote hinwegsetzen. Oft usurpieren sie die Stelle Gottes und mutieren zu Teufeln in Menschengestalt. Aber wo Gott als einziger Herr anerkannt wird, da herrschen Gnade und Leben, Freiheit und Liebe. Im Reich Gottes gilt das Wort Jesu als Maxime: "Bei euch aber soll es nicht so sein. Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein. Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld hinzugeben für viele." (Mk 10, 45).

Die sakramentale Weihe (von Bischof, Presbyter, Diakon) bleibt gültig und wirksam und mit ihr auch die Verantwortung für die Lehre der Kirche und ihre pastorale Sendung. Die alten Gegner von Joseph Ratzinger (als Kardinalpräfekt und Papst) haben kein Recht, über ihn die damnatio memoriae zu verhängen, zumal die meisten von ihnen sich von seiner Qualität als Kirchenlehrer nur durch ihren erschütternden Dilettantismus in theologischen und philosophischen Fragen unterscheiden. Sein Beitrag im Buch von Kardinal Sarah kann als Gegenposition zu Papst Franziskus nur von denen diskreditiert werden, welche die Kirche Gottes mit einer ideologisch-politischen Organisation verwechseln. Sie wollen nicht begreifen, dass die Geheimnisse des Glaubens nur mit dem "Geist Gottes" und nicht mit dem "Geist der Welt" zu  fassen sind. "Der irdisch gesinnte Mensch erfasst nicht, was vom Geist Gottes kommt." (1 Kor 2, 14).

Als selbst die Apostel anfänglich nicht begreifen wollten, dass es Menschen gibt, die freiwillig für den Dienst am Reiche Gottes auf die eheliche Gemeinschaft verzichten, sagte Jesus selbst zu ihnen: "Wer es fassen kann, der fasse es." (Mt 19, 12). Und er erläutert dies so: "Jeder, der um des Reiches Gottes  willen, Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, erhält schon in dieser Zeit das Vielfache und in den kommenden Welt das ewige Leben." (Lk 18,29f; vgl. Mt 19, 29).

"Die Behauptung, Benedikt sei der heimliche
Gegenspieler des amtierenden Papstes [...],
kann nur im Mistbeet theologischer Ignoranz gedeihen"

Die Behauptung, Benedikt sei der heimliche Gegenspieler des amtierenden Papstes und sein Plädoyer für das sakramentale Priestertum und den Zölibat komme aus einer Obstruktionspolitik gegen das erwartete postsynodale Amazonas-Schreiben, kann nur im Mistbeet theologischer Ignoranz gedeihen. Niemand widerlegt diese fixe Idee so glänzend wie Papst Franziskus selbst.

Im Vorwort zur Text-Sammlung über das sakramentale Weiheamt anlässlich des 65-jährigen Priesterjubiläums Joseph Ratzingers im Jahre 2016 schreibt Papst Franziskus: "Jedesmal, wenn ich die Werke von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. lese, wird mir klar, dass er Theologie 'auf den Knien' betrieben hat und dies noch tut: Auf Knien, weil man sieht, dass er nicht nur ein hervorragender Theologe und Lehrmeister des Glaubens ist, sondern ein Mann, der wirklich glaubt, wirklich betet. Man sieht, dass er ein Mann ist, der die Heiligkeit verkörpert, ein Mann des Friedens, ein Mann Gottes."

Und nachdem Papst Franziskus die Karikatur des katholischen Priesters als eines routinierten Funktionärs einer NGO-Kirche verworfen hat, unterstreicht er noch einmal die außergewöhnliche Stellung Joseph Ratzingers als Theologe auf der Cathedra Petri mit den Worten: "Wie von Kardinal Gerhard Ludwig Müller auf so maßgebliche Weise bekräftigt wurde, weist das theologische Werk Joseph Ratzingers- und dann später Benedikts XVI.- ihm einen Platz unter so großen Theologen auf dem Petrusstuhl zu wie Leo dem Großen, heiliger Papst und Kirchenlehrer... Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich der rechten Betrachtung des Präfekten der Glaubenskongregation noch hinzufügen, dass er uns  vielleicht gerade heute, als Papst emeritus, auf besonders deutliche Weise eine seiner größten Lektionen der 'Theologie auf Knien' erteilt."

"Benedikts Beitrag im Sarah-Buch bietet [...]
eine Hilfe, die theologische und spirituelle
Krise des Priesterstandes zu überwinden"

Benedikts Beitrag im Sarah-Buch bietet in einer vertieften christologisch-pneumatologischen Hermeneutik der inneren, in Gottes geschichtlicher Selbstmitteilung begründeten Einheit des Alten und Neuen Testamentes eine Hilfe, die theologische und spirituelle Krise des Priesterstandes zu überwinden, "der für die Erneuerung der Kirche von höchster Bedeutsamkeit ist." (PO 1). Der Priester ist nicht der Funktionär eines Unternehmens, das religiös-soziale Dienstleistungen anbietet. Er ist auch nicht der Exponent einer autonomen Gemeinde, die gegenüber Gott Rechte geltend macht, statt "jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben herab, vom Vater der Lichter" (Jak 1, 17) zu empfangen. Durch die heilige Weihe wird er vielmehr Jesus Christus gleichgestaltet, dem Hohenpriester und Mittler des Neuen Bundes, dem göttlichen Lehrer und guten Hirten, der sein Leben für die Schafe der Herde Gottes hingibt (LG 29; PO 2).  

Aus dieser Conformitas cum Christo ergibt sich auch die innere Angemessenheit der zölibatären Lebensform Christi für das sakramentale Priestertum. Jesus selbst sprach von den Jüngern, die eschatologisch zum Zeugnis für das kommende Reich und im Dienst am Heil der Menschen sexuell enthaltsam leben und aus freiem Willen auf das Ehe- und Familienleben verzichten (Mt 19, 12; 1 Kor 7, 32). Der Zölibat ist zwar nicht  kategorisch gefordert von der Natur des Priestertums. Aber er ergibt sich in innerster Angemessenheit aus dem Wesen dieses Sakramentes als Repräsentation Christi des Hauptes der Kirche in der Vollmacht seiner Sendung und seiner Lebensform der Ganzhingabe an Gott (vgl. PO 16). Deshalb sind die in der Ost- und Westkirche unterschiedlich ausgebildeten Dispensen vom Zölibatsgesetz als Ausnahmen zu begründen und der Priesterzölibat als die Regel.

Grundsätzlich hat die Kirche auf ein zölibatäres Priestertum hinzuarbeiten. Aus den biblischen Wurzeln hatte sich über die geforderte eheliche Enthaltsamkeit verheirateter Kleriker die Praxis gebildet, nur noch Kandidaten zum Bischof, Priester und Diakon weihen, die von vornherein ein eheloses Lebens versprechen. In der Ostkirche wurde - in Abkehr von der altkirchlichen Tradition, keineswegs in ihrer Fortsetzung- auf dem II. Trullanum (691/92), das bezeichnender Weise im Kaiserpalast und nicht in einer Kirche abgehalten wurde, den Priestern und Diakonen die Fortsetzung des ehelichen Lebens zugestanden. In der lateinischen Kirche dagegen weihte man später nur noch unverheiratete Männer, die vorher schon das Versprechen eines zölibatären Lebens gaben. In den östlichen Kirchen gestattete man den verheiraten Klerikern, aber nicht den Bischöfen, die Fortsetzung der Ehe - bei sexueller Enthaltsamkeit einige Zeit vor der Feier der Göttlichen Liturgie und dem Verbot einer zweiten Ehe nach dem Tod der Ehegattin. Diese Bestimmung gilt auch für die katholischen Kleriker, die eine Dispens von der Zölibatspflicht erhalten hatten (Lumen gentium 29).  Um des höheren Gutes der Einheit willen akzeptiert die katholische Kirche diese Praxis in den unierten Ostkirchen und sie erteilt seit Papst Pius XII. und hinsichtlich der Anglikaner seit Papst Benedikt XVI. verheirateten Geistlichen anderer Konfessionen, die in die volle Gemeinschaft mit ihr eintreten,  eine Dispens von der Zölibatspflicht, falls eine Priesterweihe in Frage kommt.

"Der Mangel an Priestern [...] in den ehemals christlichen
Ländern des Westens beruht nicht auf einem Mangel an den
Berufungen durch Gott, sondern am Mangel unseres
Lebens aus dem Evangelium von Jesus Christus"

Eine glatte Abschaffung des Priesterzölibates wie in den protestantischen und anglikanischen Gemeinschaften im 16. Jahrhunderts wäre also ein Verstoß gegen die Natur des Priestertums und eine Missachtung der gesamten katholischen Tradition. Wer wollte vor Gott und seiner heiligen Kirche die desaströsen Konsequenzen für die Spiritualität und Theologie des katholischen Priestertums verantworten? Auch Millionen  Priester seit Gründung der Kirche müssten sich innerlich verletzt fühlen, wenn man ihnen nun erklären würde, ihr existentielles Opfer für das Reich Gottes und die Kirche beruhte nur auf einer äußerlichen rechtlichen Disziplin, die mit dem Priestertum und der Lebensform der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen nicht das geringste zu tun habe. Der Mangel an Priestern (in Zahl und Qualität) in den ehemals christlichen Ländern des Westens beruht nicht auf einem Mangel an den Berufungen durch Gott, sondern am Mangel unseres Lebens aus dem Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes und Retter der ganzen Welt.

Es gibt nicht nur eine Diskussion um den Zölibat, sondern auch einen erbitterten Kampf gegen ihn und damit auch gegen das sakramentale Priestertum. Die protestantischen Reformatoren haben im16. Jahrhundert das kirchliche Amt nur als eine religiöse Funktion in der christlichen Gemeinde begriffen und es damit seines sakramentalen Charakters beraubt. Wenn die Priesterweihe keine innere Gleichgestaltung mehr ist mit Christus, dem göttlichen Lehrer, dem guten Hirten und Hohenpriester des Neuen Bundes, dann entfällt auch das Verständnis für die innere Verbindung mit der im Evangelium begründeten Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen (Mt 19, 12; 1 Kor 7, 32).

Im Gefolge der reformatorischen Polemik und aufgrund ihres immanentistischen Menschenbildes sahen die französischen Aufklärer im Priesterzölibat und den Ordensgelübden nur eine Unterdrückung des Sexualtriebes, die zu  Neurosen und Perversionen führe- ähnlich wie später die tiefenpsychologische Deutung der Sexualität als mechanische Triebbefriedigung, die im Falle ihrer "Unterdrückung" Neurosen und Perversionen hervorrufe.
In der heutigen Diktatur des Relativismus wird die Hervorhebung einer sakramentalen Vollmacht aus der höheren göttlichen Autorität als klerikaler Machtanspruch und die zölibatäre Lebensform als öffentliche Anklage gegen die Reduktion der Sexualität auf einen egoistischen Lusterwerb empfunden. Der Priesterzölibat erscheint als die letzte Bastion der radikalen Transzendenzverwiesenheit des Menschen und der Hoffnung auf eine jenseitige und zukünftige Welt, die aber nach den atheistischen Prinzipien eine gefährliche Illusion ist.

"Die katholische Kirche wird als weltanschauliche Alternative
zum radikalen Immanentismus [...] von einer internationalen Macht-
und Geldelite erbittert bekämpft, die eine absolute Herrschaft
über Geist und Leib der dumpfen Menschenmassen anstreben"

Die katholische Kirche wird als weltanschauliche Alternative zum radikalen Immanentismus deshalb von einer internationalen Mach- und Geldelite erbittert bekämpft, die eine absolute Herrschaft über Geist und Leib der dumpfen Menschenmassen anstreben. Man mimt in therapeutischem Gestus den Philanthropen, der den armen Priestern und Ordensleuten nur einen Gefallen erweist, wenn er sie aus dem Käfig ihrer unterdrückten Sexualität befreit. Aber diese Menschheitsbeglücker merken in ihrer blasierten Intoleranz gar nicht, wie sie die Menschenwürde all der Christen verletzen, die die Unauflöslichkeit der Ehe in ihrem Gewissen vor Gott ernst nehmen oder das Zölibatsversprechen mit Hilfe der Gnade treu erfüllen. Denn gerade dort, wo gläubige Christen ihre Lebensentscheidung in der innersten Tiefe des Gewissen vor Gott treffen, wollen ihnen die Leugner der übernatürlichen Berufung des Menschen einreden, sie müssten sich einfügen in den begrenzten Horizont eines zum Tode verurteilten Daseins, als ob der lebendige  Gott nicht sei ( II. Vatikanum, Gaudium et spes 21). " Doch seit der Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung wahrgenommen, seine ewige Macht und seine Gottheit: Denn obwohl sie Gott erkannten, haben sie ihn nicht als Gott verehrt und ihm nicht gedankt... Sie behaupteten weise zu sein, und wurden zu Toren. Sie vertauschten die Herrlichkeit des  unvergänglichen Gottes mit Bildern von sterblichen Menschen und (sogar vernunftlosen) Tieren." ( Röm 10-23). 

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Der infame Vorwurf lautet, dass finstere kirchliche Reaktionäre mit ihrer Verteidigung des sakramentalen Priestertums und der -in ihren Augen- weltfremden Sexualmoral und des menschenfeindlichen Zölibates die notwendige Modernisierung der katholischen Kirche und ihre Anpassung an die moderne Welt hinauszögere oder sogar verhindere. Was sie allenfalls noch tolerieren, ist eine Kirche ohne Gott, ohne das Kreuz Christi und ohne die Hoffnung auf  das ewige Leben. Diese  "Kirche des dogmatischen Indifferentismus und moralischen Relativismus", die auch Atheisten und Ungläubige umfassen könnte, darf zeitgemäß sprechen vom Klima, der Überbevölkerung den Migranten. Aber sie  muss schweigen zu Abtreibung und der als Geschlechtsumwandlung drapierten Selbstverstümmelung, zu Euthanasie und zur Verwerflichkeit sexueller Gemeinschaft außerhalb der Ehe von Mann und Frau. Sie  müsste auf jeden Fall die sexuelle Revolution als Befreiung der Leibfeindlichkeit katholischer Sexualmoral akzeptieren. Sie würde damit ein Zeichen der Buße setzen gegen die traditionelle Leibfeindlichkeit aus dem manichäischen Erbe des hl. Augustinus.

All diesen Schmeicheleien zum Trotz sind die gläubigen Katholiken der wohlbegründeten Meinung, dass an der Stelle des Atheisten Scalfari, der weder an Gott glaubt, noch  das "Geheimnis der heiligen Kirche" (Lumen gentium 5) verstehen kann, doch Benedikt (Joseph Ratzinger) der unendlich kompetentere Ratgeber des Stellvertreters Christi, des Nachfolgers Petri und Hirten der universalen Kirche wäre. Das bezieht sich sowohl auf seine theologischen Qualitäten und  spirituellen Einsichten in das Geheimnis der Liebe Gottes als auch auf die Erfahrung von der Verantwortung eines Papstes für die universale Kirche allein vor Gott, die Benedikt als einziger Mensch auf dieser Welt mit  Papst Franziskus teilt.

Was Papst Franziskus im Vorwort zum Priester-Buch seines Vorgängers schreibt, sollten alle die "Weisen und Machthaber dieser Welt" (1 Kor 2, 6 erst einmal lesen, bevor sie ihre paranoiden Phantasien von päpstlichen Gegenspielern, opponierenden Kardinälen und drohenden Schismen in die Welt hinausposaunen: "Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. verkörpert jene ständige Beziehung zum Herrn Jesus, ohne die nichts mehr wahr ist, alles zur Routine wird, die Priester fast zu Gehaltsempfängern, die Bischöfe zu Bürokraten werden und die Kirche nicht Kirche Christi ist, sondern etwas, das wir geschaffen haben, eine NGO, die letztendlich überflüssig ist." Und er fährt fort, in dem er die zur Buchvorstellung am 28. Juni 2016 in der Sala Clementina versammelten Kardinäle, Bischöfe und Priester nicht wie Untergebene an-herrscht, sondern wie Freunde an-spricht: "Liebe Mitbrüder! Ich erlaube mir zu sagen, dass wenn einer von euch jemals Zweifel daran gehabt haben sollte, was der Schwerpunkt seines Amtes ist, sein Sinn, sein Nutzen; wenn er jemals Zweifel dran gehabt haben sollte, was die Menschen wirklich von uns erwarten, dann möge er über die hier vorgelegten Zeilen nachdenken. Das, was in diesem Buch beschrieben und bezeugt wird: dass wir ihnen Christus bringen und sie zu ihm hinführen, zum frischen und lebendigen Wasser, nach dem es sie mehr dürstet als nach allem anderen, das nur ER zu schenken vermag und das durch nichts ersetzt werden kann; dass wir sie zur wahren und vollkommenen Glückseligkeit führen, wenn sie nichts mehr zu befriedigen vermag; dass wir sie der Erfüllung ihres geheimen Traums zuführen, den wahr werden zu lassen keine Macht der Welt versprechen kann!"

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