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Im Menschen berühren sich Himmel und Erde 

Mann und Frau zwischen Schöpfung und Erlösung in der Theologie Benedikts XVI./Joseph Ratzingers.
Weinberg in Sasbachwalden
Foto: Peter Schickert via www.imago-im (http://www.imago-images.de/) | Benedikt XVI. – „Ein demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn“: Nur wenn der Erlöser auch der Schöpfer ist, kann er überhaupt Erlöser sein.

Jedes Lebewesen ist von seinen biologischen Voraussetzungen her auf Reproduktion angelegt. Betrachtet man den Geburtsvorgang rein unter dem Aspekt der Biologie, ist es angemessen, darin die notwendige Erhaltung der Art zu sehen. In eine defizitäre Schieflage gelangt der Begriff der Reproduktion allerdings dann, wenn er in einer bloß mechanistisch-technischen Version Verwendung findet – wenn das Machbare gegenwärtiger Technologien den Menschen zum Produkt von Laboren degradiert, in der Reproduktion nichts weiter ist als eine unpersonale und laborbedingte Weitergabe von notwendigen Informationen der Spezies Mensch an die nachfolgende Menschengeneration. Die Weitergabe (in diesem Fall wohl besser: die Konstruktion) des menschlichen Lebens wird zur reinen Überlebensstrategie der Menschheit. Das Machen-Können scheint, gerade in Bezug auf das menschliche Leben, von immer mehr Möglichkeiten gekennzeichnet zu sein, die auch vor der Frage nach dem Klon-Menschen nicht Halt zu machen droht. 

Zwischen Prokreation und Reproduktion 

Einen deutlich vernehmbareren Verweis auf die schöpferische Tätigkeit Gottes kennt das in vielen romanischen Sprachen bekannte Wort der „Prokreation“. Der Rückbezug des Menschen auf eine ihm vorgelagerte schöpferische Instanz, der er sein Leben verdankt und die sich zugleich menschlicher technischer Fertigkeit entzieht, ihn als in seinem Geschaffen-Sein und in seiner Herkunft von Gott wahrnimmt, wird darin in besonderer Weise deutlich. 

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Mit diesen beiden unterschiedlichen Betrachtungsweisen des Menschen setzt sich Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. auseinander. Ohne dahinter stehende naturwissenschaftliche Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen, bleibt doch die Frage bei der Reproduktion bestehen: War's das? Gibt es nicht mehr über die Existenz des Menschen zu denken als die Wahrnehmung seiner arterhaltenden Produktion? 

Im christlichen Grundverständnis vom Menschen geht es bei der Zeugung um das Werden eines Individuums, einer eigenständigen und singulären Person, die zwar invariante Elemente des Menschen beinhaltet, aber darüber hinaus ebenso etwas Neues, Einmaliges – Individuelles. 

Diese Individualität korrespondiert mit der Aussage aus dem jüngeren Schöpfungsbericht in Gen 1,26: „Lasset uns Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis.“ Joseph Ratzinger zieht diese fundamentale anthropologische Aussage als Erklärung heran für das „Mehr“, das in der Entstehung neuen Lebens besteht, jenseits der biologischen Überlebensstrategie der Menschheit. Es geht darum zu zeigen, dass mit dem Schöpfungsakt stets Neues entsteht, nicht nur ein weiteres „Exemplar einer Klasse von Lebewesen“. 

„Wie würde die Welt aussehen, wenn man diese hohen
Werte und den Rückbezug auf Gottes Schöpfermacht
als Leitmotiv akzeptieren würde!“ 

  Und es geht auch darum zu zeigen, das nur erwähnt am Rande, dass die Vernunft nicht begrenzt ist auf das Sichtbare, Empirische, Materielle, dass sie nicht in der Reduzierung der Ethik auf Physik zu suchen ist, sondern im bewussten Erleben von Freiheit. Experimentelle „Gewissheit“ durch Berechnungen und Versuche verlagert das Sittliche und das Heilige in das Abseits des Irrationalen – dieses Szenario geht an der Wirklichkeit des Menschen und der Schöpfung vorbei. Eine neue Dimension für das Mechanisch-Technisch-Experimentelle wird aber genau dann erschlossen, wenn das Personale als die eigentliche, stärkere und höhere Form der Wirklichkeit angesehen wird. Wie tröstlich, möchte man hinzufügen, wenn Liebe, Hingabe, Freiheit, Geschöpflichkeit (weil dadurch auch die Würde des Menschen begreifbar wird) als wertvoller, wichtiger und letztlich wesensgemäßer für den Menschen angesehen werden. 

Wie würde die Welt aussehen, wenn man diese hohen Werte und den Rückbezug auf Gottes Schöpfermacht als Leitmotiv akzeptieren würde! Tut man es allerdings nicht, so Ratzinger, kommt es zur „Leugnung des Menschen“, die dort stattfindet, wo man Liebe und Hingabe nur „als schönen Schein betrachten“ will, der „psychologisch nützlich, aber letztlich irreal und unerheblich ist“. 

Der Mensch ist Bild Gottes

Aber mit der Leugnung des Menschen verknüpft ist auch die Leugnung Gottes. Unterwirft man sich der eben skizzierten scheinbaren Logik, dann wird selbstverständlich auch „der Gottesbegriff zur mythologischen Rede ohne Realitätsgehalt“. Er bleibt gleichsam von der Erde – ohne Bezug auf seine Herkunft von Gott. Gestaltet wurde der Mensch nach dieser Prämisse nicht von einem Gott, sondern von den Menschen. Der Schöpfungsbericht spricht aber von der Abbildhaftigkeit des Menschen. Er ist Bild Gottes. Er verweist wie ein Gemälde auf das darauf Abgebildete. Öl und Leinwand und die Hand des Künstlers verweisen über sich hinaus, auf etwas, das das Kunstwerk nicht in sich selbst ist. Für die Logik der Schöpfung besagt dies, dass der Mensch in einem Gefüge, in Beziehungen lebt. Seine Gottebenbildlichkeit ist in erster Linie, wie Ratzinger mehrmals betont, „Verwiesenheit“ … „Dynamik, die den Menschen in Bewegung bringt auf den Ganz-Anderen hin“. 

Christian Schaller
Foto: Archiv | Dr. theol. Christian Schaller ist stellvertretender Direktor des Instituts Benedikt XVI.

Es handelt sich beim Bericht über den Menschen als Mann und Frau im ersten Buch der Bibel nicht um eine vermeintlich biblizistische Engführung, die nur von denen behauptet werden kann, deren selbstgerechte Eigeninterpretation biblischer Texte die Begriffe „Mann“ und „Frau“ als irgendeine historisch bedingte Konnotation darstellen möchten. Aber der Schöpfungswille Gottes, der sich in der Relationalität in der Liebe zwischen Mann und Frau auf die womöglich tiefste Weise ausdrückt, führt erst zur Weite wahren, von dumpfen Mythen befreiten Menschseins von Mann und Frau. 

Die Auflösung der Geschlechter ist letztlich die Rückführung des Menschen in eine innerweltliche Verfügbarkeit – Mann- und Frausein sind nicht gottgewollt, sondern unterliegen der gestalterischen Möglichkeiten von menschlichem Konstruktionswillen –, die, denkt man konsequent weiter, Abhängigkeiten schafft, Unfreiheit erzeugt und die Freiheit des Christenmenschen untergräbt. Eine Freiheit, die in seinem Geschaffen-Sein gründet und ihn unverfügbar werden lässt.  Seine Würde erhält der Mensch als Mann und Frau aus dieser Ur-Ordnung am Anfang allen Seins. Oder: Ist der Tod Jesu am Kreuz vielleicht auch nur eine Engführung? Die Auferstehung am Dritten Tag – eine Engführung? 

„Seine Würde erhält der Mensch
als Mann und Frau aus dieser Ur-Ordnung
am Anfang allen Seins“ 

Oder ist das biblische Zeugnis der Evangelisten doch vielmehr das durch die Gnade ermöglichte Bekenntnis zum Heilschaffen Gottes, das „im Anfang“, in der Schöpfung des Menschen – als Mann und Frau – begonnen hat. Die Ur-Relation Gottes zu seiner Schöpfung in der überbordenden Liebe findet in der Hingabe von Mann und Frau eine geschöpfliche Entsprechung, besonders dann, wenn daraus das Leben eines aus dieser liebevollen Zuneigung stammenden Menschen hervorgeht. Ratzinger bedient sich des wunderbaren Wortes „Adam erkannte Eva, seine Frau“ (Gen 4,1), um „eine Untrennbarkeit aller menschlichen Dimensionen des Menschseins“, die sich darin ausdrückt, aufzuzeigen; dass das Mit-Sein Gottes bei Zeugung und Geburt eine Selbstübersteigung des Menschen ist, dass er eben mehr gibt, als er hat und ist. Schöpfung geschieht durch Zeugung und Geburt: „…jede menschliche Zeugung und Geburt (steht) unter einem besonderen ,Mitsein‘ Gottes“, ist „Selbstübersteigung des Menschen“. Und programmatisch überzeugend: „Durch das Menschliche von Zeugung und Geburt hindurch geschieht Schöpfung.“ Auf dem Hintergrund dieser Zuordnung werden alle Versuche, den Menschen isoliert davon zu betrachten, ihn gleichsam aus seiner Natürlichkeit herauszureißen, zu gefährlichen Experimenten der Aberkennung seiner Würde (die Geschichte ist voll davon), einer Würde, die nur aus seiner Geschöpflichkeit ableitbar sein kann. 

Wer die Schöpfung mit ihren klar formulierten anthropologischen Koordinaten ablehnt, kann sich nicht herausreden auf vermeintlich neuzeitliche Notwendigkeiten der Anpassung eines selbstgefälligen Menschenbildes, sondern muss damit umgehen können, dass er dahinter auch Gott selbst ablehnt. 

Die Frage bleibt somit im Raum, ob derjenige, der sich dem Schöpfungswillen Gottes verweigert und somit Gottes Existenz als Schöpfer verneint, im Gesamt des Erlösungsgeschehens Gottes mit der Welt und den Menschen seine Chance auf Erlösung vertan hat. Man kann nicht Gott ablehnen und zugleich auf Erlösung bestehen. Die liebende Begegnung und Hingabe von Mann und Frau wird in der Geburt eines neuen Lebens zur Teilhabe am schöpferischen Handeln Gottes selbst. In der Annahme dieses heilsgeschichtlichen Vorganges wird Gott als Schöpfer anerkannt. Dies ist die Voraussetzung für den Menschen, um Heil und Erlösung zu erlangen. Denn, so Joseph Ratzinger, „nur wenn der Erlöser auch der Schöpfer ist, kann er überhaupt Erlöser sein“.

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