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Es geht um alles

Die Rede von "Berufung" ist inzwischen selbst in Priesterseminaren nicht mehr gestattet. Wenn Gott aber nicht mehr die Initiative des Handelns zusteht, verfällt die Kirche in Funktionalismus.
La vocation de Saint Mathieu Detail de la main de Jesus Christ
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Bei Berufung geht es immer auch um das Heraustreten aus dem Eigenen.

Es war kurz vor meinem Abitur. Eine Freundin meiner Eltern, die sich selbst als „religiös distanziert“ bezeichnete, wollte wissen, was ich denn nun beruflich machen werde. Ich sprach über mein Vorhaben, mit dem Theologiestudium zu beginnen, um Priester zu werden. „Nun ja“, er-widerte sie, „das ist ja wohl mehr eine Berufung als ein normaler Beruf.“ Auf meine erstaunte Nachfrage, ob das denn für sie einen Unterschied mache, sagte sie: „Einen Beruf wähle ich mir, aber bei einer Berufung kommt noch jemand anderes ins Spiel.“ Und sie fügte unsicher hinzu: „Oder etwa nicht?“

Rede von "Berufung" verpönt

Intuitiv und doch fragend hatte meine Gesprächspartnerin das entscheidende Merkmal einer Berufung erfasst. An ihrem Beginn steht nicht die Wahl eines Menschen, sondern die Initiative Gottes, der einen konkreten Menschen in seinen Dienst ruft. Die Tatsache und die Art des Rufes zu entdecken, bedarf nach Ignatius von Loyola der Unterscheidung der Geister, für die der Mensch zahlreiche Hilfen in Anspruch nehmen darf: das beständige Gebet, das Leben mit dem Wort Gottes und den Sakramenten, die spirituelle Begleitung und nicht zuletzt die kontemplativ-aktive Stille in geistlichen Exerzitien, die so zum „Kanal der Gnade“ (Tomás Morales SJ) wird. Teresa von Ávila, die große Lehrmeisterin des Gebetes, spricht vom Raum der täglichen „Christusfreundschaft“, in dem ein solcher Ruf vernommen und so vertieft werden kann, dass er schließlich auf ein freies und verantwortliches Ja des Menschen stößt.

Begriff und Wesen der Berufung sind heute offenkundig in einer Krise. Bereits vor einigen Jahren sagte mir ein Seminarist, dass es in seinem Priesterseminar verboten sei, von „Berufung“ zu sprechen. Das sei elitär, diskriminiere andere kirchliche Berufe und gehöre folglich nicht mehr zum heutigen kirchlichen Sprachgebrauch. Wer die Realität von Berufungen, wie sie uns von den ersten Seiten der Heiligen Schrift an begegnen, nicht ernstnimmt, steht in der Gefahr, einem Funktionalismus zu verfallen.

Infragestellung der "Berufung" Ausweis für verdunstenden Glauben

Wenn Gott nicht mehr die Initiative des Handelns zugestanden wird, dann ist alles im Glauben und in der Kirche menschengemacht. Die Kirche wäre demnach eine Zweckgemeinschaft, ihr Glaube menschliches Gedankenkonstrukt, kirchliche Ämter pure Funktionen und der Gedanke einer Berufung nur eine sinnliche Einbildung. Doch ein solches Kirchenbild und die Infragestellung der „Berufung“ sind verräterisch. Sie sind Ausweis für einen verdunstenden Glauben, der nicht mehr mit Gottes Handeln rechnet oder rechnen will. Dann aber ist auch eine Erneuerung der Kirche nicht möglich. Sie bliebe – gewollt oder nicht gewollt – äußere Kosmetik an einer Sozialgestalt der Kirche.

Diese Beilage möchte mit ihren unterschiedlichen Beiträgen ein nachdrückliches Plädoyer für die „Berufung“ als Ernstfall des Glaubens formulieren. Denn sie hat nach Joseph Ratzinger immer „mit der Nachfolge des Kreuzes zu tun, mit dem Heraustreten aus dem Eigenen, mit dem Durchkreuzen-Lassen des Bloß-sich-selbst-Mögens und Sich-selbst-Besorgens, mit unserem Frei-werden durch den Sprung ins Unbekannte des anderen Willens hinein, das uns doch das letztlich Bekannte ist“. Ohne Gott sind folglich die Berufung ebenso wie die Kirche und der Glaube nicht denkbar. Und damit ist klar: Es geht um alles. Es geht um Gott.

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