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„Eros reitet auf dem Panther.“

Ist Sexualität nur herrlich und harmlos? Auch die Sexualität wurde vom Sündenfall berührt. Es ist nicht alles gut, was sich gut anfühlt.
Eros auf dem Panther
Foto: public domain | Eros reitet auf dem Panther von Bildhauer Ernst Rietschel.

Nietzsche behauptet, das Christentum habe dem Eros Gift zu trinken gegeben; er sei zwar nicht daran gestorben, aber zum Laster entartet. Selbst wenn das in dieser Brutalität nicht stimmt, ist doch vielerorts derselbe Verdacht gegenwärtig. Auch in Texten von Forum IV gilt Sexualität einfach als Mitgift des Schöpfers, die offenbar in (fast) allen Varianten nur gut sei. „Gott hat mich so geschaffen“, wurde bei der 3. Vollversammlung des Synodalen Weges zur Standardrechtfertigung sexuellen Verhaltens. „Gott ist dort, wo sich Menschen lieben, gegenwärtig.“ (Forum IV: Segensfeiern für Paare, die sich lieben) Aber hat der Sündenfall die Sexualität nicht berührt? Ist dies nur eine Konstruktion klerikaler Missgunst?

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Rasend durch Eros

Rufen wir den Eros einmal ohne die Brille Nietzsches und des Synodalen Weges auf. Zwielichtig ist er schon bei den Griechen: in der Bandbreite vom leidenschaftlich-anonymen Triebverhalten bis zum unwiderstehlich beseligenden göttlichen Überfluss, dem Reichtum des aus der Fülle Liebenden. „Eros reitet auf dem Panther“, heißt es, und bei Sophokles: „Eros, dein ist, was du anfällst. Keiner der Götter entrinnt dir, noch Eintagsmenschen. Wen es erfasst, die rasen.

Auch den Gerechten in Unrecht lockst du und Schande. Du hast die Männer zerworfen zum Hader auch verwandten Blutes.“ Modern formuliert bei Sigrid Undset: „Alle die Sünden, die im Wesen der (ungeordneten) Liebe liegen: Trotz und Ungehorsam, Härte und Unversöhnlichkeit, Eigensinn und Hochmut… sind wie ein Messer, bereit, alle Bande der Verwandtschaft, des Christentums, der Ehre zu zerschneiden…“

Oder James Stephens: „Man erzählt sich viel von der Liebe, aber selten davon, wie sie wirklich ist... Sie ist Wildheit im Blut, Schmerz in den Knochen, Gier und Verzweiflung. Sie ist Durst bei Nacht, brennend wie ungelöschter Kalk am Tag. Sie bedeutet, … einen Dorn im Herzen zu spüren, eine Blutspur zu hinterlassen, wo immer man geht.“ Und C. S. Lewis: „Eros ist wirklich ein ,Gott‘ im antiken Sinn … Herrscher und Gebieter, der Anbetung, Opfer und absolute Unterwerfung fordert. Dafür schenkt er den Menschen, die ihm verfallen, die Illusion des guten Gewissens, was immer sie auch tun mögen: ,Liebe sei zugleich unwiderstehlich und irgendwie in sich selbst gut und aller Würde voll‘: gerade darum muss der Christ auch hier den Einen Gott, den Herrn über alle Götter bezeugen.“

Arten der Liebe 

Diese unheimlichen Erfahrungen stellte das Christentum unter den Anspruch Christi und seiner evangelischen Räte - zur Warnung, mehr aber noch zur Klärung. Schon im biblischen Hohenlied finden sich drei Wörter für Liebe. Das stärkste ist „ahaba“, die entschiedene persönliche Liebe, die bis zum Schmerz geht. Sie liebt den Einen, die Eine nicht nur im Besitzen und Genießen, sondern noch im Verlieren, sogar in der Treulosigkeit. Diese Urkraft der endgültigen Liebe zwischen Mann und Frau kommt der Härte des Todes und der Unterwelt nahe. Aus der Kenntnis dieser verzehrenden Kraft aller Kräfte speist sich die christliche Überzeugung, Gott sei überhaupt Liebe.

Welche Ordnungen der Liebe entbindet der „neue Weg“ des Christentums? Zunächst geht es um die „Zähmung“ des gattungshaften Triebes - nicht um ihn zu brechen, sondern um ihn zu steigern, bis er tatsächlich in eine eindeutige, im Glücksfall strahlend einzigartige Beziehung übergeht. Zwei humanisierende Errungenschaften setzte das Christentum durch: Die Ehe wird monogam. Und: Die Ehe wird unauflöslich, betont den Ernst der Hingabe ein für allemal. Du allein und Du für immer. Aller Dinge Köstlichstes ist, was ewig ist, sagt Augustinus.

Eros sprüht weiter

William-Adolphe Bouguereau, Frau verteidigt sich gegen Eros
Foto: public domain | William-Adolphe Bouguereau, Frau verteidigt sich gegen Eros

Damit ist das Sprühende des Eros keineswegs verschwunden oder sogar kastriert. Es gibt gerade in der christlichen Ehe (und vermutlich nur in ihr) die Stelle, wo das Spiel von Mann und Frau in die ursprüngliche Freiheit, Endgültigkeit und Göttlichkeit des Eros eingerückt wird: durch das Sakrament. Im Vollzug der Liebe gerade im Leibe ist Gott gegenwärtig. Nicht der Priester spendet das Sakrament vor dem Altar, sondern die geschlechtliche Vereinigung ist sinnliches Zeichen der tragenden unsichtbaren Gnade.

In den 2000 Jahren christlicher Geschichte sind zwei Möglichkeiten tiefer Beziehung ausgeprägt worden: Eros wird in der Ehe konzentriert, Philia (Freundschaft) meist in den Orden kultiviert. Beide sind unterfangen von Agape, der unverbrüchlichen Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen. Agape ist reines Geschenk eben jenes Gottes, der „für immer“ liebt und Menschen zu dieser Agape in der Kirche erweckt.

Weit über Nietzsche hinaus gilt der grandiose Satz von Ida Görres: „Auch die Kirche hat ihre mächtigen Utopien, die ,Geschichte gemacht‘ und den Menschen verändert haben: die eine, die kühnste, die atemberaubendste ist das Mönchtum: feurige Boten der Wahrheit und Liebe. Die andere ist die Ehe: ewig unauflösliche, unbegreifliche Einheit von Geschlecht, Eros, Freundschaft, Liebe, Agape, Fruchtbarkeit.“

Leib und Geschlecht

Mit dem Leib kommt das andere Geschlecht entscheidend ins Spiel. Das Hinausgehen aus sich ist unvergleichlich fordernder, wenn es nicht nur auf ein anderes Ich, sondern auf einen anderen Leib trifft – auf unergründliche Andersheit, unergründliche Entzogenheit, deutlich bis ins Leibliche, Seelische, Geistige hinein. Diese Differenz auf Dauer auszuhalten, vielmehr sich in sie hineinzubegeben und hineinzuverlieren, erfordert den eigentlichen Mut. Denn das andere Geschlecht ist nicht zu vereinnahmen, nicht auf sich selbst zurückzuspiegeln: Frau ist bleibendes Geheimnis für den Mann und umgekehrt.

Der Mann wird nur an der Frau zum Vater, die Frau nur am Mann zur Mutter. Nur so begegnet man der eigenen Kraft zum elterlichen Dasein. Natürlich kann auch der Schritt in die Differenz missglücken. Es macht die Not der Existenz aus, dass sie alle Lebensvollzüge degradieren kann.

Die Genesis- Vision

Es gibt die Zweckgemeinschaft Ehe, den Selbstgenuss im Sex, das frustrierte, leergewordene Zölibat, das erzwungene, lähmende Alleinsein, den Egoismus zu zweit. Aber das hindert nicht anzuerkennen, dass die Polarität der Geschlechter ein „optimum virtutis“, ein Äußerstes an Kraft herausfordert und andere geschlechtliche Vollzüge überholt. Selbst Gleichgeschlechtlichkeit muss die „Rollenmodelle“ männlich/weiblich benutzen, wie Judith Butler bemerkt: allerdings „als Kopie“.

Könnte die alte Genesis-Vision erneuert werden, dass in der Zumutung und lockenden Fremdheit der beiden Geschlechter sich im Grund die göttliche Dynamik abspielt, das unerhörte Leben Gottes selber das Spiel der Geschlechter hervorruft? Denn die Genesis beginnt explosiv: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis. Als Mann und Frau schuf er sie.“ In der Zweigeschlechtlichkeit lässt sich El, der sonst Bildlose, sehen. Dieser religiös ungewohnte Schritt unterstreicht das Götzenbilderverbot: keine Bilder Jahwes außer seinen selbst gemachten Bildern Mann und Frau: Sie sind Doppelansicht des Unsichtbaren.

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Ursprung des Lebenden

Der tiefste anthropologische wie theologische Gedanke des Schöpfungsberichts ist wohl, dass die Liebesgemeinschaft von Mann und Frau eine Ahnung von der Liebesgemeinschaft in Gott selbst verleiht – ja, dass sich gerade an der Geschlechtlichkeit des Menschen, so geheimnisvoll sie für sich selbst schon ist, das eigentliche Geheimnis, nämlich das unerhörte, unvorstellbare schöpferische Füreinander und Ineinander des göttlichen Lebens ausdrückt. Dieser Gedanke wurde in dem Apostolischen Schreiben „Mulieris dignitatem“ vorrangig betont: „Diese ,Einheit der zwei‘ ... weist darauf hin, dass zur Erschaffung des Menschen auch eine gewisse Ähnlichkeit mit der göttlichen Gemeinschaft gehört.“

In Ihm ist der Ursprung alles Lebendigen, alles Menschlichen, des Eros zwischen den Geschlechtern, ja der unbeschreiblichen Freude der Mutterschaft und Vaterschaft zu verehren.   Ehe als Sakrament:  Gott als Weg von Mann zu Frau. Man kann der gegenwärtigen Kultur nur wünschen, von ferne den Saum dieser göttlichen Erfahrung zu berühren. Mit Guardini gefragt: „Haben wir denn den richtigen Begriff von der Liebe? Er ist bei uns oft sentimental, weichlich geworden. Die Moderne muss die Liebe als etwas viel Weiträumlicheres, Furchtbareres und Gewaltigeres denken, als sie es tut.“

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