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Die reformatorische Crux mit dem „est“ führt in schwierige Kompromisse

Der innerprotestantische Umgang mit der Frage nach der Realpräsenz beim Abendmahl. Die Leuenberger Konkordie begründete eine Abendmahlsgemeinschaft. Unproblematisch ist das nicht.
Abendmahlsgemeinschaft
Foto: Jens Schlueter (imago stock&people) | Lutheraner und Reformierte pflegen mit der Leuenberger Konkordie eine Abendmahlsgemeinschaft.

Ein Meilenstein der Ökumene in Deutschland! Endlich ein Durchbruch!“ – Der Jubel und das Lob vieler Mitglieder des „Synodalen Weges“, nicht weniger Bischöfe und vieler Medien war groß, als der „Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen“ (ÖAK) seine Stellungnahme „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ (GTH) 2019 veröffentlichte. Mahnende und kritische Stimmen – wie die Ausführungen der Glaubenskongregation oder durch Kardinal Koch – wurden als theologisch rückwärtsgerichtet und veraltet abgetan.

Die Kernthese dieser Stellungnahme des ÖAK lautet: Der „Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen“ betrachtet die Praxis der wechselseitigen Teilnahme an den Feiern von Abendmahl/ Eucharistie in Achtung der je anderen liturgischen Tradition als theologisch begründet.“ (GTH 8.1)

Gemeinsam am Tisch

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Die Stellungnahme „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ erhielt im Kontext des Ökumenischen Kirchentages (ÖKT) im Mai 2021 noch eine zusätzliche Brisanz:
Obwohl der ÖAK seinen Beitrag lediglich als „Votum“ (s. Überschrift) im Sinne eines Diskussionsbeitrages verstanden haben will, wurden auf dem ÖKT in der Praxis Fakten geschaffen: Es wurde evangelischen und katholischen Christen auf dem ÖKT in Frankfurt freigestellt, auf Basis einer Gewissensentscheidung gegenseitig am Abendmahl bzw. an der Eucharistie teilzunehmen. Zeitgleich wurde dies auch in nicht wenigen evangelischen und katholischen Pfarreien in ganz Deutschland nachgeahmt. Ferner gibt es schon Pläne, dies auch unabhängig von einem ÖKT flächendeckend fortzuführen. Damit kündigt sich ein Dammbruch in Deutschland an.

Der ÖAK stellt die These auf, dass es ein „Grundverständnis“ beim Abendmahl/Eucharistie zwischen den Evangelischen Kirchen und der Katholischen Kirche gäbe. Dies setzt jedoch zunächst einmal voraus, dass dieses „Grundverständnis“ auch innerhalb der Evangelischen Kirchen vorhanden ist. Im Folgenden soll dies am Beispiel der Frage der Realpräsenz beim Abendmahl geprüft werden.

Realpräsenz bei Luther

Martin Luther (1483-1546) lehrt bezüglich der Realpräsenz beim Abendmahl: „Was ist nun das Sakrament des Altares? Antwort: Es ist der wahre Leib und das Blut des Herrn Christi in und unter dem Brot und Wein …“ (Großer Katechismus). Er vertritt damit eine substantielle Realpräsenz des Herrn beim Abendmahl in den Gaben. Luther lehnt daher eine nur symbolische Eucharistieauffassung strikt ab. Er zählt dies zum unaufgebbaren Offenbarungsgut Christi. Dieses Bekenntnis gehört für ihn zu den Voraussetzungen, um Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft zu haben.

Diese Position Luthers findet schließlich in der lutherischen Bekenntnisschrift der „Confessio Augustana“ (1530) ihren bleibenden und bindenden Niederschlag: „Von dem Abendmahl des Herren wird also gelehrt, dass wahrer Leib und Blut Christi wahrhaftig unter der Gestalt des Brotes und Weins im Abendmahl gegenwärtig sei … .“ Die Realpräsenz wird somit zum Offenbarungsgut Christi gezählt.

Substantielle Gegenwart oder Erinnerung?

Zwingli (1484-1531) dagegen lehnt eine substantielle Gegenwart Christi im Abendmahl völlig ab. Der Gläubige empfängt nicht den Leib und das Blut Christi, sondern lediglich Brot und Wein „zur Erinnerung, zum Lob und zur Danksagung dafür, dass er für uns den Tod erlitten und sein Blut vergossen hat, um unsere Sünden zu tilgen.“ (Erklärung des christlichen Glaubens).

1529 kommt es zum „Marburger Religionsgespräch“ zwischen Luther und Zwingli. Luther schreibt mit Kreide auf den Verhandlungstisch das lateinische „Hoc est enim corpus meum“, bedeckt es mit einem Samttuch , das er vor Zwingli wegzieht, um ihn mit dem „Wort Gottes“ aus der Hl. Schrift zu konfrontieren. Luther fordert Zwingli auf, diese Worte als Offenbarungsgut anzunehmen, die eine substantielle Gegenwart Christi in und unter den Gaben von Brot und Wein verkünden. Die Gespräche scheitern! Eine Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft kommt nicht zustande.

Calvin (1509-1564) lehnt ebenso wie Zwingli eine substantielle Realpräsenz ab. Er versteht die Erhöhung Christi zur Rechten des Vaters so, dass der verklärte Leib des Herrn durch den Himmel gleichsam umschlossen ist, so dass er nicht im irdischen Brot und Wein gegenwärtig sein kann. Christus sendet den Hl. Geist, damit die Gläubigen durch den Verzehr von Brot und Wein, die nur „Merkzeichen“ des Leibes und Blutes (Institutio Christianae Religionis) sind, geistlich mit Christus im Himmel verbunden werden.

Reformierte Einigung

Während es später zwischen den Anhängern Calvins und Zwinglis zu einer weitgehenden Einigung in der Frage des Abendmahls kam, blieb diese mit den Lutheranern aus. Dies führte dazu, dass es zwar innerhalb der Reformierten Kirchen eine Abendmahls- und Kirchengemeinschaft gab, aber nicht mit den Lutherischen Kirchen. Dieser Zustand währte über 400 Jahre.

Um diese innere Spaltung zu überwinden, schlossen sich 1973 die Lutherischen, Reformierten und Unierten Kirchen zur „Leuenberger Konkordie“ (LK) zusammen, die eine Kirchengemeinschaft begründet, die einhergeht mit einer Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Ihr gehören über 105 Kirchen mit ca. 50 Mio. Christen aus fast allen Ländern Europas an.

Über die Gegenwart Christi beim Abendmahl heißt es in der Konkordie: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißenes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen […] Ein Interesse an der Art der Gegenwart Christi im Abendmahl … läuft Gefahr, den Sinn des Abendmahls zu verdunkeln.“

Diese so wohlklingende Formel ist im letzten nichts anderes als eine kirchenpolitische Kompromissformel, die das Problem der Frage der Realpräsenz ungelöst übergeht. Dies räumt auch die „Orientierungshilfe zum Abendmahl“ (2008, 5. Auflage) der EKD ein, wenn es dort heißt, dass „die Positionen, die die evangelischen Konfessionen weiterhin unterscheiden (wie beispielsweise die zur Art und Weise der Präsenz Jesu Christi im Mahl) ausgeklammert werden…“.

Man versteht den Unterschied nicht mehr

Die Leuenberger Formel zur Frage der Gegenwart Christi im Abendmahl stellt damit einen absoluten Minimalkompromiss im Bekenntnis dar: Durch das Essen und Trinken beim Abendmahl ist Christus im Glauben gegenwärtig – mehr wird nicht festgestellt. Dadurch wird eine Abendmahlsgemeinschaft praktiziert, die calvinistische, zwinglianische und lutherische Vorstellungen von der Gegenwart Christi ungelöst nebeneinander stehen lässt. Dies hat zur Folge, dass bei der erklärten Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft ein reformierter Pastor, der eine Realpräsenz Christi in den sakramentalen Gaben ablehnt, dem Abendmahl in einer lutherischen Gemeinde vorstehen kann, die an eine solche sehr wohl glaubt – oder umgekehrt. Diese Praxis hat auch pastorale Folgen: Die Gläubigen verstehen die Unterschiede nicht mehr und sie werden vom Bekenntnis ihrer eigenen Kirche immer mehr entfremdet.

Die LK stellt somit einen schwerwiegenden Paradigmenwechsel vor allem in der Geschichte der Lutherischen Kirchen dar. Während Luther die Realpräsenz im Abendmahl mit großer Leidenschaft als geoffenbartes Glaubensgut vertritt, dessen Bekenntnis die Voraussetzung für eine Kirchen– und Mahlgemeinschaft darstellt, wird dies von seinen Nachfolgern in der LK preisgegeben. Der luth. Theologe W. Elert warnte schon in den 50-er Jahren davor: „Durch die Teilnahme am Abendmahl einer Kirche bezeugt der Christ, dass das Bekenntnis dieser auch sein Bekenntnis ist. Weil man nicht zwei divergierenden Bekenntnissen zugleich zustimmen kann, darum kann man nicht in zwei bekenntnisverschiedenen Kirchen kommunizieren. Wer es trotzdem tut, verleugnet entweder das eigene Bekenntnis, oder er hat überhaupt keines.“

Leuenberger Konkordie

Dieses über Jahrhunderte währende lutherische Urverständnis wurde in „Leuenberg“ zu Grabe getragen. Die verbindlichen lutherischen Bekenntnisschriften werden zurückgedrängt und in der LK eine Art neues, gemeinsames „Bekenntnis light“ formuliert. Es genügt ein „gemeinsames Verständnis des Evangeliums“ als dem „Grund des Glaubens“. Dies umfasst das Sola-scriptura-Prinzip und vor allem die Rechtfertigungslehre. Diese Aussagen erheben somit eine verbindliche offenbarungstheologische Gültigkeit. Sie schaffen Kirchengemeinschaft.

Alle darüber hinausgehenden Lehraussagen, wie sie z.B. in den lutherischen Bekenntnisschriften zugrunde gelegt sind, gelten der Konkordie lediglich als „Ausdruck des Evangeliums“, gehören aber nicht zum gemeinsamen Bekenntnis der Leuenberger Kirchengemeinschaft. Sie sind damit letztlich von Menschen formuliert, zeitbedingte Lehr- und Liturgietraditionen, die nicht die endgültige Offenbarung Christi beinhalten und widerspiegeln. Dazu gehört dann auch die Frage nach der Realpräsenz. Diese geschichtlichen Ausdrucksformen sind daher für die Konkordie nicht notwendig für die Bildung einer Kirchengemeinschaft, die eine Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft enthält. Darum kann der ehemalige Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD Hauschildt auch formulieren: „Die Einigkeit im Glauben ist in der Tat Voraussetzung von Kirchengemeinschaft. Der Konsens in der Lehre ist es nicht.“ (Lutherische Identität und Zustimmung zur Leuenberger Konkordie)

Aufgabe des Bekenntnisses

Diese Unterscheidung zwischen „Glaube“ einerseits und „Ausdruck des Glaubens“ bzw. „Lehre“ andererseits bedeutet letztendlich die Entwertung oder mindestens teilweise Aufgabe der lutherischen Bekenntnisschriften, die sich als Ganzes immer als Spiegel der geoffenbarten Wahrheiten verstanden haben. „Glaubenseinheit“ und „Bekenntniseinheit“ bzw. „Einheit in der Lehre“ wurden bisher in den Bekenntnisschriften stets als untrennbare Einheit und als Voraussetzung für eine Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft gesehen. Die Lutherischen Kirchen war stets „ihrem Wesen nach Bekenntniskirche“ (Sasse, luth. Theologe).

Diesem Ansatz wurden die Lutherischen Kirchen mit der Unterzeichnung der Konkordie untreu. Der Bruch mit der eigenen Bekenntnisgeschichte wurde noch dadurch verschärft, dass zunehmend Forderungen in der EKD aufkommen, die LK zur „gemeinsamen Bekenntnisgrundlage der EKD“ (Bischof Hein) zu machen. 2014 beschloss die EKD, dass „die Leuenberger Konkordie eine Kirchengemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen und als solche Kirche“ sei. Damit wird letztlich die Konkordie zu einer „Bekenntnisschrift“ bekenntnisverschiedener Kirchen.

Evangelium: Grund oder Ausdruck des Glaubens?

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Die lutherischen Kirchen nehmen dadurch die Differenzierung zwischen einem gemeinsamen Verständnis des Evangeliums als „Grund des Glaubens“ und dem bloßen „Ausdruck des Glaubens“ als hermeneutische Lesart für ihre eigenen Bekenntnisschriften formal an. Dadurch aber sind die Lutherischen Kirchen zwar noch de jure selbstständig, aber in der Deutung der eigenen Bekenntnisschriften abhängig von der Hermeneutik der Konkordie. Sie drohen dadurch, sich theologisch in eine unierte Kirche zu verwandeln, die stark reformiertes Gedankengut in das Bekenntnis aufnimmt.

Eine weitere Inkonsequenz der Lutherischen Kirchen zeigt sich: Während sie in Europa in der LK letztlich den Reformierten Kirchen in der Frage der Realpräsenz große Zugeständnisse macht – bis hin zur Akzeptanz, dass diese nicht zum Offenbarungsgut gehört - pocht sie in Gestalt des Lutherischen Weltbundes in den Verhandlungen mit der katholischen Kirche zu Recht (!) darauf, dass die Realpräsenz gemäß ihrer Bekenntnisschriften zum unaufgebbaren Offenbarungsgut gehört. Hier wäre eine innerlutherische Klärung mit Hinblick auf die Ökumene wünschenswert und notwendig. Insgesamt muss man konstatieren, dass es innerhalb der Kirchen der Reformation kein einheitliches Grundverständnis in der Frage der Realpräsenz beim Abendmahl gibt. Die Problematik wird einfach ausgeklammert oder nicht als offenbarungsgemäß deklariert. Das ist keine Lösung! Dies trifft auch – wie die Kardinäle Koch und Kasper mehrfach betont haben – auf das Modell der Kirchengemeinschaft gemäß der LK zu.

Gleichmacherei ist keine Lösung

Daneben bleibt bei aller Diskussion über die Realpräsenz die ökumenische Problematik über die Bedeutung der Eucharistie für das Heil der Gläubigen bestehen. Die EKD formuliert: „Der ohne Abendmahl gefeierte Gottesdienst hat grundsätzlich den gleichen theologischen Status wie der mit Abendmahl gefeierte.“ (Orientierungshilfe zum Gottesdienst, 2009). Ferner: „Als Sakrament vermittelt es auch hier nichts anderes als die Wortverkündigung.“ (Orientierungshilfe zum Abendmahl (2008, 5. Auflage).

Wie allein bei Betrachtung der innerreformatorischen Differenzen um die Realpräsenz beim Abendmahl, aber auch der Aussagen zur Bedeutung des Abendmahles/ Eucharistie vom ÖAK von einem „Grundeinverständnis“ zwischen der katholischen und den reformatorischen Kirchen gesprochen werden kann – bleibt ein Rätsel … .


Christoph Binninger ist Dogmatiker und lehrt an der Hochschule Heiligenkreuz.

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