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Die Kraftquelle der Erneuerung

Wo die Kirche wächst und im Dienst an den Nächsten steht, hat das immer mit einem Leben aus der Eucharistie zu tun. Ein Gespräch mit P. Karl Wallner OCist.
Kreuz in der Abteikirche Heiligenkreuz
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Kreuz und Eucharistie sind untrennbar: In der Kommunion „vergemeinschaftet“ sich der Christ mit dem Gekreuzigten. Im Bild: Kreuz in der Abteikirche Heiligenkreuz.

Liegt dem schwindenden Verständnis für die Eucharistie unter Katholiken nicht auch ein Verlust des Bewusstseins zugrunde, dass das Handeln der Kirche aus der Eucharistie erwachsen muss?

Viele meinen, dass Gebet, Gottesdienst, Messbesuch, eucharistische Anbetung mit dem Auftrag, den Jesus uns gibt, die konkrete Welt zu verändern und für die Armen zu sorgen, nichts zu tun hat, ja sogar „weltfremd“ macht. Ich erlebe ja selbst in meiner Funktion für die Päpstlichen Missionswerke in Österreich, wie viele andere kirchliche Hilfswerke mittlerweile ohne Verwurzelung im Christusglauben und in der kirchlichen Spiritualität agieren. Hier geschieht ohne Zweifel viel Gutes, manchmal vielleicht aber doch zu wenig, denn Christi Weltauftrag besteht eindeutig nicht in einer bloßen Humanisierung der Welt, sondern darin, ihnen die frohe Botschaft von der erlösenden Liebe Gottes zu bringen. Ich schätze alle, die sich außerhalb und innerhalb der Kirche aus einer mehr oder weniger humanistischen Menschenfreundlichkeit engagieren. Der Glaube an Christus und konkret das Leben aus der Eucharistie nimmt aber der Humanität nichts weg, sondern versieht sie mit einem großen Plus der Selbstlosigkeit. Diese darf ich bei meinen Begegnungen in der Weltmission nicht nur bei Priestern, Ordensfrauen und Gottgeweihten erleben, sondern auch bei vielen Laienchristen, die sich über das Maß gegen Armut, Menschenhandel und Ungerechtigkeit einsetzen und ihre Kraft dazu aus dem Glauben, aus der Feier der heiligen Messe, aus den Sakramenten und dem Gebet schöpfen. Orthodoxie ist kein Hemmnis für Orthopraxie, sondern ihr stärkster Motor. Gerade die Eucharistie brauchen wir, damit wir selbstlos „an die Ränder“ der Gesellschaft gehen können, wie Papst Franziskus das ausdrückt. Im Christentum fließen ja aufgrund der Menschwerdung Gottesliebe und Nächstenliebe zusammen. „Was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Diesem Christus, der in den Ärmsten der Armen gegenwärtig ist, begegnet der katholische Christ ganz konkret in der Eucharistie. Er „vergemeinschaftet“ sich mit ihm, wenn er die Kommunion empfängt.

Eucharistie ist also keine Weltflucht...

Im Gegenteil, denn hier gibt es noch eine spirituelle Komponente, die mir bewusst geworden ist, als ich in Haiti mit Bischof Joseph Decoste in der Morgendämmerung in seiner durch das Erdbeben 2010 und den Hurrikan von 2017 zerstörten Bischofskapelle kniete. Der Bischof beginnt jeden Tag mit eucharistischer Anbetung, im Hinschauen auf das, was sichtbar ein Stück Brot ist, unsichtbar aber der verklärte Christus. Außerchristliche Frömmigkeit muss sich immer abstrahierend aus dieser Welt hinausmeditieren, weil sie einen Gott, der in dieser Welt anwesend ist, nicht kennt! Der anbetende Blick auf die Hostie hingegen, die ja gestalthaft das bleibt, was sie ist, nämlich Materie, besagt, dass wir Gott nicht „draußen“ suchen müssen, sondern ihm im Inneren unserer Lebenswelt begegnen können.

„Am Morgen bete ich
Christus in der Hostie an,
am Tag in den Ärmsten der Armen!“

Das Sakrament des zu uns gekommenen Gottes lehrt eine Form der Spiritualität, welche die Welt nicht übersieht, sondern gerade in der Zuwendung zur Welt Gott anbetet. Die Eucharistie lehrt, dass „das Unscheinbarste das Kostbarste ist“ (Hans Urs von Balthasar). Im Alltag ist der Christ gerufen, die Gegenwart Christi zu entdecken: im Sakrament der Armen, der Hungernden und Traurigen, im Sakrament des Nächsten. Hier ist an die Formulierung Mutter Teresas zu erinnern: „Am Morgen bete ich Christus in der Hostie an, am Tag in den Ärmsten der Armen!“

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Es gibt heute viele Initiativen, die die eucharistische Anbetung neu entdecken. Wie kann die aus der Feier der Eucharistie folgende Anbetung einem vertieften Verständnis dienen?

Eucharistische Anbetung ist die spirituelle Fortsetzung der sakramentalen Kommunion. Der Ausdruck „Kommunion“ stammt vom heiligen Paulus aus dem 1. Korintherbrief: „Ist der Kelch des Segens, den wir segnen, nicht Teilnahme am Blute Christi, und das Brot, das wir brechen, nicht eine Teilnahme (griechisch: koinonia, lateinisch: communio) am Leibe Christi?“ Kommunion bedeutet Teilnahme und Gemeinschaft, und zwar in einem personalen Sinn. Denn was wir in den eucharistischen Gestalten vor uns haben, ist nicht ein „Etwas“, sondern ein „Er“, eine Person: der verklärte und auferstandene Christus. Daher spricht ihn auch die Gemeinde unmittelbar nach der Wandlung an mit den Worten: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und Deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“

Wie erleben Sie die eucharistische Anbetung?

Es ist ein Wunder der Erneuerung, dass überall in der alt gewordenen europäischen Kirche die eucharistische Anbetung wieder aufpoppt. In den Missionsländern habe ich das als „die“ Selbstverständlichkeit schlechthin wahrgenommen.

"Bei der Anbetung geschieht eine
vom eucharistischen Christus ermöglichte
Begegnung, oft auch eine emotionale Berührung"

In den glaubensstarken und wachsenden Kirchen in Asien und Afrika, die ich in meiner Tätigkeit für die Päpstlichen Missionswerke besucht habe, wird die Anbetung sogar besonders akzentuiert: Es gibt oft eigene Anbetungskapellen neben den Kirchen, die immer offen sind. Die Menschen knien still vor dem Allerheiligsten, mancherorts liegen sie sogar ausgestreckt… Was bei der Anbetung geschieht, ist eine vom eucharistischen Christus her ermöglichte Begegnung, oft auch eine emotionale Berührung. Er ist ja keine Fiktion, sondern realpräsente Wirklichkeit. Auch bei uns sind nach meiner Erfahrung alle Aufbrüche mit der Wiederentdeckung der Anbetung verbunden, ob das nun Nightfever ist, die Gebetsevents der Loretto–Bewegung oder der Gemeinschaft Emmanuel, oder ob das über Medjugorje läuft, wo ich selbst einmal eine Gänsehaut hatte, als beim Jugendfest 35.000 junge Menschen still und mit sanften Lobpreisliedern vor dem Allerheiligsten knien. Und unvergesslich ist auch die dichte spirituelle Stimmung einer unmittelbaren Nähe zu Jesus, die wir 2005 auf dem Marienfeld bei Köln beim Weltjugendtag mit Benedikt XVI. erleben durften. Ich kenne schlechthin keine zukunftsfähige wachsende Bewegung oder Gemeinschaft in der Kirche, in der nicht die Anbetung eine zentrale Rolle spielt.

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Während die Esoterik ja nur psychologische Anleitungen zur Selbsterfahrung und Selbstberuhigung liefern kann, geschieht die Erhebung bei der Anbetung nicht aus der Autosuggestion heraus, sondern von Christus her, der in der Eucharistie gegenwärtig ist. Die Wiederentdeckung der Anbetung als Kraftquelle bei uns in Europa macht mich zuversichtlich, dass Erneuerung geschehen wird.

Wenn Gläubige mich fragen, was sie tun sollen, um Jugendliche für Christus zu gewinnen, so empfehle ich immer, ein Jahr lang regelmäßig – allein oder mit anderen – Anbetung zu halten. Danach kann man sicher sein, dass der Herr Fruchtbarkeit schenken wird!

Die Rede vom Opfer ist auch vielen Christen unangenehm geworden. Warum stoßen sich auch Gläubige an diesen Grundwahrheiten des katholischen Glaubens?

Das Missbehagen gegenüber dem Glauben an die heiligste Eucharistie als „Opfer“ kommt schon daher, dass „Opfer“ zwei Bedeutungen hat. „Opfer“ ist im negativen Sinn ein Unschuldiger, dem Böses angetan wird. „Opfer“ im negativen Sinn ist man immer unfreiwillig. Wenn wir die Eucharistie als Opfer verstehen, dann bezieht sich das aber auf etwas zuhöchst Positives. Die Eucharistie setzt sakramental das Geschehen am Kreuz gegenwärtig, wo Christus sich aus freier Liebe für uns hingegeben hat. Der Sohn Gottes ist nicht unfreiwilliges Opfer, sondern er opfert sich. Der anziehendere Ausdruck dafür ist „Hingabe“. Es liegt in unserer menschlichen Natur, jemanden zu bewundern, der sich für andere „aufopfert“: In der Fürsorge, in der Krankenpflege, im Einsatz bei Katastrophen und so weiter. Seneca bezeichnet etwa die Bereitschaft, für einen anderen zu sterben, als den Höhepunkt der Freundesliebe.

Und genauso interpretiert Jesus seinen Tod am Kreuz: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13) Freilich ist die Wertschätzung des „Aufopferns für andere“ im Sinken, da wir, wie der Trendforscher Matthias Horx es nennt, in einer Zeit des „Super-Mega-Individualismus“ leben. Unser „Ich“ ist zum alleinangebeteten Heiligtum geworden. „Selbstlosigkeit“, „Hingabe“ und gar „Aufopferung“ für andere liegt gar nicht im Trend der Zeit, die sich eher mit Slogans wie „Geiz ist geil“ beschreiben lässt.

Pater Karl Wallner OC
Foto: Missio Austria

Jesus ist die personifizierte Selbstlosigkeit, er ist göttliche Selbstlosigkeit in menschlicher Gestalt, die sich am Kreuz manifestiert. Wenn heute die Eucharistie losgelöst von der Selbstaufopferung Christi auf Golgotha zu einer netten religiösen Feier mit emotionalen Berührungs- und sozialen Begegnungselementen, inklusive Appell zu humanitärem Wohlverhalten verflacht, so hängt das vor allem mit der „Entleerung des Kreuzes“ (1 Kor 1,17) zusammen.

"Eine von der Selbstaufopferung Christi losgelöste
Eucharistie mag eine netten religiösen Feier sein.
Aber sie ist Folge einer „Entleerung des Kreuzes“

Der „Sinn des Kreuzes“ ist den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit, jenen aber, die ihn erkannt haben, ist er Gottes Kraft und Weisheit. Im Neuen Testament wird an vielen Stellen die Einsicht des Paulus, der Evangelisten und der ersten Christen wiedergegeben, dass in Christus Gott „hyper hemon“, „pro nobis“, also „für uns“ etwas getan hat. Der christliche Glaube verkündet seit 2000 Jahren Erlösung statt Selbsterlösung. Und genau diese Ureinsicht droht uns heute immer mehr verloren zu gehen! Christi Leben, Heilen, Leiden und schließlich Sterben ist das „Für“ Gottes zu uns Menschen, das sich zuhöchst im Kreuz ausdrückt. Schon das altchristliche Fisch-Zeichen bedeutete: Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist der Erlöser! Eben diese Einsicht, dass ein unermesslich liebender Gott uns Menschen Rettung aus unserer Sünde bringt, hat das Christentum in der Antike so populär gemacht.


Pater Karl Wallner OC ist ist Professor an der Philosophisch–Theologischen Hochschule Heiligenkreuz und Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich.

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