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Berufung schafft Verschiedenheit  – und das ist gut so!

Die Souveränität Gottes drückt sich in seinem Ruf aus. Die unterschiedlichen Berufungen in der Kirche dienen Aufgaben der Kirche. Verschiedenheit ist dabei im Gegensatz zum Mainstream gewollt und wichtig.
Nonnen in einer Kirche
Foto: Thomas Trutschel/photothek.net via www.imago-images.de (www.imago-images.de)

Wenn es um „Berufung“ geht, darf eines nicht ausgeklammert werden: Berufung schafft Verschiedenheit. Tatsächlich ist die Kirche ein bunter Mix von „Ungleichheiten“, die dadurch entstehen, dass Gott offensichtlich spezifische Berufungen schenkt. Darf man im Priester oder in der Ordensfrau etwas anderes, ja sogar etwas „Besonderes“ sehen? Da „Verschiedenheit“ heute grundsätzlich in Verdacht geraten ist, falsch und böse zu sein – Stichwort Gender – muss diese Konsequenz göttlicher Berufungen heute mehr denn je reflektiert werden. Dass wir auch schon in der Kirche begonnen haben, Verschiedenheit herunterzuspielen, zeigt sich daran, dass der Begriff „Berufung“ oft so verwendet wird, als handle es sich dabei um eine gleichmäßige Lautsprecherbeschallung aller Gläubigen. Das widerspricht aber dem Faktum, dass eine Berufung zum Ordensstand und zum Priestertum von den Berufenen als etwas zutiefst Besonderes wahrgenommen wird, und sie folglich ja auch zu einer sehr spezifischen kirchlichen Lebensform führt. Nicht jeder „Beruf“ in der Kirche ist eine „Berufung“. 

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Systematik der Verschiedenheit

Der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar (1905-1988) hat in seinem 1977 erschienenen Buch „Christlicher Stand“ eine Art Systematik der Verschiedenheit in den kirchlichen Lebensformen entwickelt. Balthasar wurde als junger Germanistikstudent von seiner eigenen Berufung zum Priestertum wie von einem „Blitzschlag“  getroffen. Unvermutet, während eines Waldspaziergangs. Dieses existenzielle Erlebnis hat ihm eine theologische Grundeinsicht geschenkt: Christentum ist Einbruch Gottes in die Welt. Von Natur aus ist der Mensch ein Gottsuchender, ein „Hörer des Wortes“ (Karl Rahner). In der jüdisch-christlichen Offenbarung erscheint jedoch plötzlich Gott als der, der beim Menschen „senkrecht von oben“ (Karl Barth) einbricht. „Berufung“ ist daher für Balthasar kein nebensächliches Thema aus dem Bereich der Frömmigkeit, sondern das „dogmatischste“ Thema schlechthin. 

Unterschiede sind wichtig

Die Unterschiede zwischen Laien und Gottgeweihten, zwischen Priestern und Priestern entspringen der Souveränität Christi, der durch seine Berufungen die Kirche in verschiedene „Stände“ scheidet. Balthasar bevorzugt den Begriff „Stände“ gegenüber dem moderneren Ausdruck „Lebensformen“, weil er darunter Orte versteht,  an die der Getaufte von Gott selbst „hingestellt“ wird: als Laie, als Ordensfrau oder Ordensmann, als Priester et cetera. Christus teilt den Getauften ihre Berufungen souverän zu: Immer wieder zitiert Balthasar die Markusstelle, wo es von Jesus heißt: „Er rief zu sich, die er wollte!“ (Mk 3,13) Christus wählt und ruft mit letzter Souveränität; das zeigt sich auch daran, dass er Menschen wegschickt.

Indem zuerst Jesus Männer und Frauen ruft, ihm nachzufolgen, begründet er den „Räte-Stand“, also die Lebensform nach den evangelischen Räten Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam. Heute sprechen wir in der Kirche vom „gottgeweihten Leben“. Erst sekundär ist nach Balthasar die Berufung in den „Priester-Stand“, die eine zweite Scheidung innerhalb der Kirche bewirkt: in „Priester-Stand“ und „Laien-Stand“. Christus habe zeitlich zuerst in die Jüngerschaft gerufen, erst in einem zweiten Schritt hat er das sakramentale Dienstpriestertum eingesetzt. Der Priester-Stand kann daher nie ohne die Inspiration des Räte-Standes auskommen, und er ist keinesfalls dem Laien-Stand übergeordnet. Schon lange vor dem Kampf, den Papst Franziskus gegen den „Klerikalismus“ führt, hat Balthasar ihn bekämpft.

Liebe geht nur mit dem Gegenüber

Aber nicht deshalb, weil das hierarchische Priestertum „nichts Besonderes“ sei und nivelliert werden müsse, sondern vielmehr, weil der Laien-Stand etwas wirklich Selbstständiges ist, dem der Priester-Stand in sakramentaler Dienstpflicht zugeordnet ist. Beide brauchen einander und nur aus dem Zueinander beider Stände entsteht Dynamik und Fruchtbarkeit. 

Balthasar war sein Leben lang umgetrieben von der Frage nach der Sinnhaftigkeit von Differenzen. Er wurde in dieser Fragestellung von Hegel inspiriert, für den es notwendigerweise die Antithese braucht, um zur Synthese zu gelangen. Balthasar lehnt diesen kalten Begriffsmechanismus ab, kommt aber zu einer ähnlich positiven Bewertung von „Verschiedenheit“ durch den Blick auf das innerste Glaubensmysterium, die Dreifaltigkeit: Gott ist eben deshalb „die Liebe“, weil es in ihm das Beziehungsgegenüber, die Andersheit der Personen gibt. Und diese Liebe konstituiert sich nicht aus der Nivellierung der Verschiedenheit, sondern im Gegenteil. Nur kraft ihres „Gegenüberseins“ – das Konzil von Florenz 1439 spricht von einer „relationis oppositio“, einem Gegenüber der Beziehung – können sie in der Liebe eins sein, besser: stets eins werden. In der Dynamik des göttlichen Lebens hat das „Gegenüber“, das stete „Anders-Sein“ von Vater und Sohn und Geist einen höchst positiven Sinn: Verschiedenheit ermöglicht Einigung. Einigung aber bedeutet Liebe! 

Verschiedenheit miteinander

Ordensgemeinschaften mit ihren Habiten
Foto: imago stock&people | Ein Stich des 19. Jahrhunderts stellt die Ordensgemeinschaften mit ihren Habiten vor. Die Gewänder widerspiegeln die vielfältigen und unterschiedlichen Berufungen innerhalb der Kirche.

Halten wir fest: Christus konstituiert seine Kirche in verschiedenen Ständen kraft seiner verschiedenen und je anderen Berufungen, die er schenkt. Differenzierungen durch Aufgabenteilung und Leitung müssen in jeder Organisation geschehen! Aber in der Kirche haben sie einen theologischen, zutiefst gnadenhaften gottgeschenkten Sinn. Christus will das Verschiedensein in seiner Kirche nicht um seiner selbst willen. Das Gegenüber steht – unter der Bedingung der Erbsünde – immer in Gefahr, zum Gegeneinander zu werden. Wenn etwa Gottgeweihte in frömmlerischen Standesdünkel verfallen, wenn Priester sich in präpotentem Klerikalismus erheben oder kirchlich Engagierte beginnen, einen von hierarchischen Leitungsformen losgelösten „Laiokratismus“ zu etablieren. Zur Überwindung solcher Miss-Stände braucht es aber nicht die Nivellierung! Vielmehr sollten wir die Souveränität Gottes wieder schätzen, die er durch seine Berufungen ausdrückt. 

Gott hat etwas mit dir vor

 

Ein großes Ja zu der Differenziertheit der Kirche in Stände, Weiheämter und Lebensformen ist freilich noch nicht genug. Denn dann müssen wir uns – wie schon seit 2000 Jahren – der großen Herausforderung stellen, die je eigene Berufung nicht als Gegeneinander zu leben, auch nicht bloß als Miteinander. Damit unsere innerkirchliche Differenziertheit ihren Sinn erfüllt und die Dynamik des Dreifaltigkeit abbildet, brauchen wir ein engagiertes und liebevolles Füreinander. 

 

 


TL;DR
Differenzierungen durch Aufgabenteilung und Leitung kennt jede Organisation. Auch die Kirche kennt verschiedene Stände kraft einer verschiedenen und je anderen Berufung. Damit begreift die Kirche Verschiedenheit als gottgeschenkten Sinn. Diese Unterscheidungen sollten nicht negiert werden, denn die je einzelne Berufung wird als etwas Besonderes erfahren. Sie entzieht sich einer Funktionalisierung.

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