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Teilhabe an der Vollmacht Christi

Wem kommt in der Kirche die Aufgabe der Leitung zu? Was versteht man unter „Leitung“ und woher stammt die Vollmacht dazu? Und warum sind Weihegewalt und Leitungsgewalt untrennbar miteinander verbunden? Die Antworten auf diese Fragen haben Auswirkungen auf Forderungen des Synodalen Weges.
Teilhabe an der Vollmacht Christi
Foto: Jean-Matthieu Gautier (KNA) | Die Leitungsvollmacht in der Kirche liegt bei den Bischöfen beziehungsweise Priestern. Das sakramentale Vorsteheramt darf nicht auf eine Art „geistliche Begleiterschaft“ reduziert werden.

Heute wird gerne von „Kirchenbildern“ gesprochen. Dahinter steckt das Bemühen, das eigene Verständnis der Kirche in eine anschauliche Sprache zu übersetzen. Ein Bild sagt oft mehr als Worte. Bereits die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils haben in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ eine solche Grundentscheidung getroffen (LG 6). Auch sie definieren die Kirche nicht mit Hilfe einer abstrakten Formel, sondern verwenden zahlreiche Bildworte Jesu aus den Evangelien und aus den paulinischen Briefen. Dazu gehören beispielsweise die Bildworte vom Weinstock und den Reben (Joh 15, 1–5), vom Guten Hirten und dem Schafstall (Joh 10, 1–10), vom Bräutigam und der Braut (Eph 5, 25f.) oder vom Bauwerk Gottes (1 Kor 3, 9), eben jenem Haus des Herrn (1 Tim 3, 15), in dem die Familie Gottes wohnt.

Die vorzüglichste Bildbeschreibung der Kirche findet sich im Konzil in einer trinitarischen Komposition, wenn von der Kirche als Volk Gottes, Leib des Herrn und Tempel des Heiligen Geistes die Rede ist (LG 17). So bemerkt man schnell, dass es hier nicht um eine Gleichsetzung von Kirche und Bild gehen kann. Die Kirche ist nämlich nicht einfach ein Volk, ein Leib oder ein Tempel. Vielmehr kommt durch den Glauben an Gott etwas Entscheidendes hinzu, das die Kirche als Wirklichkeit Gottes charakterisiert. Biblische Kirchenbilder sind folglich nicht einfach menschliche Bilder, sondern tragen in sich immer ein Glaubenswort über und von Gott. Wir nennen sie daher auch theologische Bildbegriffe, die etwas von Gott und seiner Kirche künden, das über das verwendete Bild hinausgeht.

Ohne Pfarrer keine Pfarrei

Ein solches Bild der Kirche tritt auch vor Augen, wenn die kirchliche Lehre der Überzeugung Ausdruck verleiht, dass eine Pfarrei nicht ohne Pfarrer, eine Diözese nicht ohne Bischof, die Weltkirche nicht ohne das Petrusamt sein können. Die Kirche ist die Gemeinschaft aller Getauften, doch zu ihr gehört immer und unverzichtbar das Amt des in der Weihe sakramental bevollmächtigten Vorstehers. Er wird dargestellt als Stellvertreter des Guten Hirten Jesus Christus, der persönlich – durch das Leben und den Dienst des jeweiligen Amtsträgers vermittelt – die Gemeinschaft seiner Brüder und Schwestern leitet. In diesem Sinne liegt alle Leitungsvollmacht beim Bischof beziehungsweise Priester, der Jesus Christus zeichenhaft und wirkmächtig zugleich repräsentiert. Wir sprechen in der theologisch orientierten Kirchenrechtswissenschaft vom sogenannten „unipersonalen Leitungsprinzip“, das die Kirche durchdringt. Der Gemeinschaft der Gläubigen (Pfarrei, Diözese, Universalkirche) steht ein Priester beziehungsweise ein Bischof gegenüber, der durch die Weihe und den Sendungsauftrag Christus als das Haupt der Kirche, als das Haupt dieser konkreten Gemeinschaft der Gläubigen sakramental vergegenwärtigt.

Ursprung der Leitungsvollmacht

Demzufolge liegt die Vollmacht zur Leitung in ein- und derselben Hand. Nun betonen das Zweite Vatikanische Konzil und auch das Gesetzbuch der Kirche (Codex Iuris Canonici) aber berechtigterweise immer wieder, dass alle Gläubigen durch Taufe und Firmung an den drei Diensten Christi, dem Dienst des Lehrens, des Heiligens und des Leitens teilhaben (LG 30–38; cc. 204 § 1 u. 208). Wie ist es dann zu verstehen, dass dasselbe Konzil davon spricht, dass die Bischofsweihe zusammen mit dem Dienst des Heiligens auch die Dienste des Lehrens und des Leitens überträgt (LG 21), da doch die Weihe nicht erneut das vermitteln kann, was der Geweihte bereits durch Taufe und Firmung empfangen hat?

Das Konzil lehrt aber auch, dass der Herr selbst den Zwölf, die er aus dem großen Kreis seiner Jünger herausruft, eine qualifizierte Teilhabe an den drei Diensten überträgt, indem er sie an seiner Vollmacht als Gesandter des Vaters teilhaben lässt (LG 19). Sie sollen fortan in seiner Person und in seinem Namen handeln. Diese in der Kirche wirkende und durch das Sakrament der Weihe vermittelte geistliche Vollmacht der Apostel (potestas sacra) erwächst demzufolge nicht aus einem innerkirchlichen Ordnungsdrang, es handelt sich „nicht um Gemeindebildung, nicht um die Tendenz einer bestimmten Gruppe“ (Joseph Ratzinger). Sie besitzt vielmehr einen eigenen Ursprung, indem sie direkt von Jesus Christus auf die Apostel übertragen und im Weihesakrament kontinuierlich durch die Geschichte der Kirche hindurch vermittelt wird (Apostolische Sukzession). Sie stammt nicht aus Eigenem, sondern ist wesenhaft Teilhabe an der Vollmacht Christi. Diese Vollmacht der Apostel, in deren Nachfolge die Bischöfe und ihre Mitarbeiter, die Priester, stehen, ist daher unverdientes Geschenk und indispensable Verantwortung zugleich.

Extreme, die zu vermeiden sind

Um das Zueinander von Gläubigen und Amtsträgern ist seit jeher gerungen worden. Grundsätzlich sind für eine adäquate Beziehung innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft zunächst zwei Extreme zu vermeiden. Zum einen, wenn die sakramental begründete Leitungsvollmacht als exklusive Alleinverantwortung verstanden wird, ohne die Mitverantwortung aller Gläubigen am Sendungsauftrag „je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe“ (can. 208 CIC) hinreichend zu berücksichtigen. Solche Formen einer Überbetonung des sakramentalen Weiheamtes hat es in der Geschichte der Kirche immer wieder gegeben, entsprechen aber sicher nicht der Charakteristik des apostolischen Dienstes.

Zum anderen gilt es das Extrem zu vermeiden, wenn das sakramentale Vorsteheramt auf eine Art „geistliche Begleiterschaft“ reduziert wird, der Pfarrer sozusagen allein zum „Spiritual“ der Gläubigen wird. Die Ausführungen der Textgrundlage im ersten Synodalforum des Synodalen Weges zum Thema „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ sind nicht frei von diesen Tendenzen einer starken Reduktion des sakramentalen Leitungsamtes auf rein geistliche Vollzüge. Wie also ist das Zueinander recht zu denken? Dafür sind folgende drei Aspekte zu berücksichtigen.

Auswirkungen für heute

Das Zweite Vatikanische Konzil hat dem Denken einer möglichen Trennung von Weihevollmacht (potestas ordinis) und Leitungsvollmacht (potestas iurisdictionis oder potestas regiminis) ein unzweifelhaftes Ende gesetzt. Es hat damit historische Formen der Trennung, wie wir sie exemplarisch in Gestalt der Kurfürstbischöfe im Zeitraum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert vor Augen stehen haben, als unvereinbar mit der biblisch begründeten Lehre von der einen heiligen Vollmacht (potestas sacra) beurteilt. Diese Bischöfe hatten die Weihe meist nicht empfangen, führten aber auf der Grundlage einer äußeren Leitungsvollmacht ihre zumeist weltlichen Aufgaben aus, während sie die vor allem sakramentalen Handlungen ihren dafür bestellten „Weihbischöfen“ überließen. Die Untrennbarkeit von Weihe- und Leitungsvollmacht gilt aber nicht allein für diese historischen Beispiele. Sie hat Auswirkungen auch und gerade für das Leben der Kirche heute. Das Konzil macht deutlich, dass es in der Kirche keine Leitungsvollmacht geben kann, die nicht auf der Weihevollmacht aufruht. In der Folge dessen bestimmt can. 129 § 1 CIC, dass zur Übernahme von Leitungsvollmacht nach Maßgabe der Rechtsvorschriften diejenigen befähigt sind, die die heilige Weihe empfangen haben. Folglich bedarf die Pfarrei immer eines Pfarrers, der Priester sein muss, die Diözese eines Bischofs, der gültig geweihter Bischof der Kirche ist, die Universalkirche eines Papstes, der zum Nachfolger des heiligen Petrus durch Wahl und deren Annahme bestellt wurde. Ansonsten steht die Kirche als Kirche Jesu Christi in Frage.

Formen der Stellvertretung

Leitungsvollmacht bedeutet aber nicht exklusive Alleinverantwortung. Dieser Maßstab apostolischen Wirkens in der Kirche hat zunächst verschiedene Formen der Stellvertretung hervorgebracht, die eine vikarielle Mitverantwortung in der Ausübung des sakramentalen Vorsteheramtes bezeichnen. Während beispielsweise der Bischof die gesetzgebende Gewalt der Leitungsvollmacht selber ausübt (er ist der einzige Gesetzgeber innerhalb der Diözese), bestellt er für den Bereich der ausführenden Gewalt den Generalvikar beziehungsweise die Bischofsvikare, denen eine Behörde (Generalvikariat oder Ordinariat) zugeordnet ist. Für die rechtsprechende richterliche Gewalt sind der Gerichtsvikar (Offizial) und die kirchlichen Richter vorgesehen. In ähnlicher Weise geschieht das auf universalkirchlicher Ebene für den Dienst des Papstes durch die römische Kurie (Administration) und die päpstlichen Gerichtshöfe (Rechtsprechung). Die Stellvertretungsämter lassen folglich erkennen, dass die drei Gewalten der Leitungsvollmacht – anders als im Staat – in der Hand des sakramentalen Vorstehers gebündelt sind, weil er Christus als den Hirten der Kirche vergegenwärtigt. Zugleich werden sie aber durch die Mitwirkung vieler Kleriker und Laien unterstützt, getragen und nach Maßgabe des Rechts in ihrer Umsetzung auch kontrolliert.

Institutionalisierte Mitverantwortung

Wenn can. 129 § 2 CIC festhält, dass bei der Ausübung der Leitungsvollmacht Laien nach Maßgabe des Rechts mitwirken können (cooperari possunt), dann gilt es genau zu unterscheiden. Diese Kooperation berührt zunächst nicht die eigenverantwortliche Sendung eines jeden Gläubigen, der allein oder in Gemeinschaft im Bereich der Verkündigung (beispielsweise in der Katechese), der Heiligung (beispielsweise durch Formen christlicher Spiritualität) und der Leitung (beispielsweise durch die Leitung eines kirchlichen Vereins) seiner Sendung nachkommt. So sehr diese Aktivitäten auch einer innerkirchlichen Koordination bedürfen, verdeutlichen sie, dass der einzelne Christ in diesen Bereichen bereits aufgrund von Taufe und Firmung eine indispensable Mitverantwortung trägt. In diesem Sinne kann es keinen „passiven“ Christen geben, der von seiner Verantwortung dispensiert wäre.

Gleichzeitig vermag die erwähnte Kooperation aber in institutionalisierte Formen geführt zu werden, die Ausdruck der Mitverantwortung der Gläubigen an der Ausübung der Leitungsvollmacht des sakramental bevollmächtigten Vorstehers ist. Dazu gehören vielfältige Einrichtungen im beratenden Element der Kirche. Denken wir hier an den Pfarrgemeinderat, den Diözesanpastoralrat oder verschiedene Weisen synodaler Beratungsformen wie die Diözesansynode. Gemeinsam beraten die Mitglieder Themen des Lebens und der Sendung der Kirche, während der sakramental bevollmächtigte Vorsteher für die Inkraftsetzung und Umsetzung jene Verantwortung trägt, die er nicht delegieren kann.

Es geht um Leben in Heiligkeit

Es geht in der Kirche folglich nicht – wie es im Kontext des Synodalen Weges leider oft heißt – um die Frage der Macht und der Machtverteilung. Davor warnt Jesus Christus bereits seine Jünger und tadelt sie, weil sie darüber gesprochen hatten, wer von ihnen der Größte sei (Mk 9, 30–37). In der Kirche geht es grundlegend um die Verwirklichung des Rufes Gottes zu einem rechten Leben, zu einem Leben in Heiligkeit. Dann geht es auch um die rechte Ausübung der heiligen Vollmacht, die Christus seinen Aposteln zum sakramentalen Dienst an den Gläubigen übertragen hat und an deren Ausübung Gläubige mitwirken können. So laden die Worte Jesu im Evangelium gerade heute zu einer Rückbesinnung auf das Wesen der Kirche ein, die seine Kirche ist. Der spanische Jesuit und ehrwürdige Diener Gottes, P. Tomás Morales (1908–1994), hat in diesem Sinne die Gläubigen mit einem paulinischen Gedanken daran erinnert, dass Laien und Priester für sich jeweils etwas tun oder auch vertun können, „doch gemeinsam vermögen sie alles in DEM, der sie stark macht“.

Christoph Ohly ist Professor für Kirchenrecht und kommissarischer Rektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT)– St-Augustin.

Kurz gefasst
Die Kirche ist die Gemeinschaft aller Getauften, doch zu ihr gehört immer und unverzichtbar das Amt des in der Weihe sakramental bevollmächtigten Vorstehers. Er wird dargestellt als Stellvertreter des Guten Hirten Jesus Christus, der persönlich – durch das Leben und den Dienst des jeweiligen Amtsträgers vermittelt – die Gemeinschaft seiner Brüder und Schwestern leitet. In diesem Sinne liegt alle Leitungsvollmacht beim Bischof beziehungsweise Priester, der Christus zeichenhaft und wirkmächtig zugleich repräsentiert. Das Kirchenrecht spricht vom sogenannten „unipersonalen Leitungsprinzip“, das die Kirche durchdringt. Der Gemeinschaft der Gläubigen (Pfarrei, Diözese, Universalkirche) steht ein Priester beziehungsweise ein Bischof gegenüber, der durch Weihe und Sendungsauftrag Christus als das Haupt dieser konkreten Gemeinschaft der Gläubigen sakramental vergegenwärtigt.
Das Zweite Vatikanum macht deutlich, dass es in der Kirche keine Leitungsvollmacht geben kann, die nicht auf der Weihevollmacht beruht. In der Folge dessen bestimmt can. 129 § 1 CIC, dass zur Übernahme von Leitungsvollmacht nach Maßgabe der Rechtsvorschriften diejenigen befähigt sind, die die heilige Weihe empfangen haben. Folglich bedarf die Pfarrei immer eines Pfarrers, der Priester sein muss, die Diözese eines Bischofs, der gültig geweihter Bischof der Kirche ist und die Universalkirche eines Papstes. Ansonsten steht die Kirche als Kirche Jesu Christi in Frage.

 

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