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Roland Koch: „Mut zur Freiheit“

Der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch spricht im Interview mit der Tagespost über die Bedeutung Ludwig Erhards.
Ludwig-Erhard-Zentrum
Foto: dpa | Mehr als ein Denkmal, eine Lichtgestalt der Sozialen Marktwirtschaft: Ludwig Erhard.

Herr Koch, Ludwig Erhard ist heute in aller Munde. Politiker der unterschiedlichsten Parteien beziehen sich auf ihn. Selbst bei der Linkspartei wird schon von ihm geschwärmt... Die Ludwig-Erhard-Stiftung sieht ihre Aufgabe darin, das Erbe ihres Namensgebers wachzuhalten. Müssen Sie sich als Vorsitzender der Stiftung also über die ungebrochene Popularität von ihm freuen oder besteht hier nicht doch die Gefahr der Verfälschung? Ist es tatsächlich der „echte Erhard“, der sich dieser Beliebtheit erfreut?

Ludwig Erhard wird in der Öffentlichkeit vor allem mit dem wirtschaftlichen Aufstieg in der Nachkriegszeit, mit dem „Wirtschaftswunder“ in Verbindung gebracht. Die Gefahr, dass dabei das Wissen um seine eigentlich tragenden Gedanken in Vergessenheit geraten oder sogar verfälscht werden könnte, hat schon Ludwig Erhard selbst gesehen. Deswegen hat er ja bereits zu Lebzeiten die Stiftung gegründet. Unser Ziel ist es, seine ordnungspolitischen Grundsätze hervorzuheben. Wir wollen die historische Figur Erhard nutzen, um für diese Grundsätze zu werben. Es geht darum, den Namen mit Inhalt zu füllen und diesen Inhalt vor allem einer neuen Generation zu vermitteln.

Roland Koch
Foto: Boris Roessler (dpa) | Roland Koch (CDU) ist seit 2020 Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Was sind die tragenden Gedanken Ludwig Erhards?

Mut zur Freiheit und Mut zum Markt. Denn Freiheit und Markt sind die Garanten für soziale Sicherheit. An dem Marktgeschehen teilzunehmen, bedeutet, nicht für sich alleine zu leben. Die Soziale Marktwirtschaft hat auch eine geistige Dimension. Ihre Grundsätze sind nicht nur die Basis für die Wirtschaftsordnung, sondern auch für die Gesellschaftsordnung.

Wie will die Stiftung für diese Grundsätze in der Öffentlichkeit werben?

Wir führen beispielsweise Programme für Schülerinnen und Schüler durch, mit denen in zwölf Seminaren pro Jahr in der ganzen Republik Wissen über die Soziale Marktwirtschaft vermittelt wird. Dann gibt es das Erhard-Archiv: Hier können die Urquellen herangezogen werden, in denen Erhard seine Vorstellungen ausgeführt hat. Ich selbst verfasse regelmäßig Kommentare zu aktuellen Fragen, die auf der Homepage unserer Stiftung veröffentlicht werden. Über unseren Newsletter erreichen wir viele Multiplikatoren. Unser Ziel ist es schließlich, Menschen zusammenzubringen, die sich dem Erbe Erhards verpflichtet fühlen. Zu den Mitgliedern der Stiftung gehören Abgeordnete, Wirtschaftsführer und Unternehmer genauso wie Wissenschaftler.

Ordnungspolitische Grundsätze als Orientierungspunkte für die Politik im Alltag – das hört sich in der Theorie gut an. Aber wie sieht es tatsächlich in der praktischen Politik aus? Sind aus Ihrer Sicht solche langen ordnungspolitischen Linien noch zu erkennen oder erschöpft sich nicht doch vieles in einer Von-Tag-zu-Tag-Politik?

Von Ludwig Erhard her kommt tatsächlich diese klare ordnungspolitische Perspektive. Was das dann letztlich im konkreten Fall immer heißt, darüber gibt es ein permanentes Ringen. Ein sehr wichtiges Ordnungskriterium ist: Der Staat soll sich zurückhalten. Freilich muss der Politiker sich immer fragen, wie das konkret zu regeln ist. Da ist der einzelne Politiker durchaus auch Schwankungen ausgesetzt. Ein historisches Beispiel: Karl Schiller. Während Erhard dagegen war, Wirtschaftswachstum als gesetzliches Ziel festzuschreiben, setzte der sozialdemokratische Wirtschafts- und Finanzminister auf Keynesianismus. Später lenkte Schiller aber ein und machte dann sogar mit Erhard zusammen Wahlkampf gegen die sozial-liberale Koalition. Das Beispiel zeigt: Politiker können irren und auch wieder zu der nach unserer Überzeugung richtigen ordnungspolitischen Linie zurückkehren. Leider können sie selten auf wirklich unabhängige Wirtschaftsberatung zurückgreifen. Umso wichtiger, dass es die Stiftung gibt. Denn wir sind allein unseren Grundsätzen verpflichtet.

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Die Corona-Krise ist auch eine Wirtschaftskrise. Können wir von Ludwig Erhard etwas darüber lernen, wie wir der Krise Herr werden?

Auch hier geht es um den Mut zur Freiheit. Zu Beginn einer solchen Krise, bei der Menschenleben in Gefahr sind, ist es selbstverständlich geboten, alle Maßnahmen zu ergreifen, um diese Gefahr zu reduzieren. Das ist aber nun ein Jahr her. Längst stellt sich die Frage, was ist, wenn dieser Zustand länger andauert. Die individuelle Freiheit, das Recht auf wirtschaftliche Betätigung, das Recht auf Bildung oder das Recht zu reisen haben in unserer Verfassungsordnung einen hohen Rang. Sie können nicht dauerhaft einem „Krisenregime“ des Stillstandes und der Zwangsbewirtschaftung unterworfen werden.

Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat einmal gesagt, die Soziale Marktwirtschaft sei so etwas wie die Verbindung des marktwirtschaftlichen Gedankens mit der katholischen Soziallehre. Können Sie so einer Deutung etwas abgewinnen?

Das ist prinzipiell nicht falsch. Der Soziologieprofessor schaut auf eine solche Frage sicherlich noch einmal anders als ein Pragmatiker wie Erhard. Wenn es, wie ich ja schon gesagt habe, um Mut zur Freiheit geht, dann ist diese Vorstellung geprägt durch ein Bekenntnis zum Individuum und dessen Rechten. Das steht im Einklang mit dem christlichen Menschenbild.

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