Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Berlin

Warum Jana Schimke gegen das Bevölkerungsschutzgesetz gestimmt hat

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Jana Schimke hat im Parlament gegen das Bevölkerungsschutzgesetz gestimmt. Im Interview erläutert sie, warum es ihr in der Politik an Verständnis für die Existenzsorgen in den betroffenen Wirtschaftsbranchen mangelt und sie eine Spaltung der Gesellschaft befürchtet.
Jana Schimke MdB
Foto: imago images | Jana Schimke (CDU) begründet im Plenum ihr Nein zum Bevölkerungsschutzgesetz.

Frau Schimke, Sie haben im Bundestag gegen das sogenannte Bevölkerungsschutzgesetz gestimmt. In Ihrer Fraktion haben insgesamt nur acht Abgeordnete gegen das Gesetz votiert. Sie haben als Grund für Ihre Entscheidung angeführt, es mangele ihnen an Verhältnismäßigkeit. Wie würde aus Ihrer Sicht eine Verhältnismäßigkeit in den Maßnahmen aussehen?

Verhältnismäßig sind für mich Maßnahmen dann, wenn sie nicht dazu führen, dass ein Teil der Gesellschaft sich in seiner Existenz bedroht sieht. Es ist für mich nicht verhältnismäßig, wenn Entscheidungen getroffen werden, deren Grundlagen zweifelhaft sind. Der Großteil der Menschen hält sich an die Regeln – Abstand halten und Maske tragen. In der Gastronomie haben Viele ihre Betriebe den neuen Bedingungen angepasst.

„Ich empfinde unsere Gesellschaft immer mehr als gespalten.“
Jana Schimke, MdB

Ich finde es nicht verhältnismäßig, wenn das bei den Maßnahmen zu wenig berücksichtigt wird. Ich finde es falsch, wenn in der Debatte nur bestimmte Wissenschaftler angeführt werden und nicht die ganze Breite der wissenschaftlichen Diskussion herangezogen wird. Dann führen solche Debatten zu Unfrieden. Ich empfinde unsere Gesellschaft immer mehr als gespalten. Zu denken gegeben hat mir etwa die Aussage eines Kollegen als Reaktion auf die Großdemonstration am Tag der Abstimmung. Er sagte, wer '89 erlebt habe, den ließe das nicht kalt. So etwas lässt auch mich nicht kalt. Wir müssen verstehen, dass unter den Demonstranten nicht nur Hetzer und Verschwörungstheoretiker sind, sondern viele Menschen, die sich um ihre Existenz sorgen. <Die persönliche Erklärung von Jana Schimke im Wortlaut. d.Red.>

Wo zeigt sich aus Ihrer Sicht so eine Spaltung der Gesellschaft?

Sie zeigt sich in der Art des Umgangs mit Corona. Während die einen verängstigt sind und sich noch strengere Maßnahmen wünschen, demonstrieren die anderen und sehen ihre Grundrechte in Gefahr. Ich meine, hier auch einen Unterschied zwischen den alten und den neuen Bundesländern zu erkennen. Im Westen besteht offenbar eine höhere Akzeptanz. Im Osten gibt es eine basisdemokratische Grundstimmung. Das erklärt die höhere Emotionalität in dieser Frage. Und das hängt natürlich auch mit den Erfahrungen aus der DDR-Zeit zusammen. Im politischen Establishment vergisst man das zu leicht. Die Menschen sehen die Widersprüchlichkeiten der Corona-Maßnahmen und können sie nicht nachvollziehen. Und so entsteht ein Vertrauensverlust gegenüber Politikern und ihren Entscheidungen.

Lesen Sie auch:

In Ihrer Begründung für Ihre Entscheidung haben Sie auch darauf verwiesen, dass viele Abgeordnete in ihrem Umfeld die Erfahrung machen, dass die Maßnahmen für viele Bürger nicht mehr nachvollziehbar sind. Aus Ihrer Fraktion haben aber ja nur sieben weitere Kollegen so wie Sie gestimmt. Haben Ihre Kollegen eine andere Lebenswelt?

Zu meinem Politikverständnis gehört, dass Abgeordnete die Aufgabe haben, die Sorgen der Bürger ins Parlament zu tragen. Beratungsresistent und fernab von den Befindlichkeiten der Menschen zu sein, das funktioniert nicht. So ein Verhalten führt zu genau dem Vertrauensverlust, den wir seit 2015 im Zuge der Flüchtlingskrise erleben. Ich habe die Sorge, dass wir es mit einem dauerhaften Vertrauensverlust zu tun bekommen könnten.

Wie sind Sie zu Ihrer Entscheidung gelangt, mit Nein zu stimmen gelangt?

„Wir Abgeordnete sind nicht nur unserer Fraktion, sondern vor allem auch den Menschen in unseren Wahlkreisen verpflichtet.“ Jana Schimke, MdB

Ich habe mit vielen Bürgern gesprochen, aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Und in allen Gesprächen wurde die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen thematisiert. Wir Abgeordnete sind nicht nur unserer Fraktion, sondern vor allem auch den Menschen in unseren Wahlkreisen verpflichtet. Mit dem Gesetz wurde nicht uns Abgeordneten die Entscheidung darüber übertragen, was verhältnismäßig ist und welche Betriebe geschlossen werden. Stattdessen wurde der Regierung diese Befugnis mit einmaliger parlamentarischer Legitimation dauerhaft erteilt.

Ihr Verständnis von den Aufgaben eines Abgeordneten scheint nicht von allen Ihren Kollegen so gesehen zu werden ...

Bei schwierigen und kontroversen Situationen wie dieser, muss man sich entscheiden. In der Fraktion wird auch viel diskutiert, hinter den Kulissen. Am Ende muss das jeder mit sich ausmachen und dafür geradestehen.

Wie müsste denn aus Ihrer Sicht idealerweise die Kommunikation zwischen Politik und Bürgern aussehen?

Für alle Politikbereiche gilt: Wir müssen auf Augenhöhe miteinander zu Entscheidungen kommen. Mit der Gastronomie-Branche ist zum Beispiel überhaupt nicht gesprochen worden. Da braucht man sich nicht wundern, wenn der Frust wächst. Nun sagen manche, es würde jetzt aber doch viel Geld in die Betriebe gepumpt, um sie für die Ausfälle zu entschädigen. Das gelingt aber nur für eine begrenzte Zeit. Im 9. Monat der Pandemie verlassen inzwischen Beschäftigte ihre Betriebe und wechseln in die Pflege, den Einzelhandel oder die Logistik. Am Ende sterben Restaurants und Hotels, weil es keine Mitarbeiter mehr gibt.

Die Bundesregierung hat Videos veröffentlicht, in dem die Devise ausgegeben wird: Wer jetzt faul ist und zuhause bleibt, der tut genau das richtige. Ist gar ein Held. Sie sind stellvertretende Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Wie wirkt so eine Haltung auf Mittelständler und Unternehmer, die gerade um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen?

So ein Video mit dieser Botschaft wäre mir nicht im Traum eingefallen. Es ist respektlos und unangemessen. Auf solch eine Idee kann nur einer kommen, der selbst keine Existenzängste kennt und keinerlei Gespür für die Sorgen von Mittelständlern und ihrer Beschäftigten hat.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe

Themen & Autoren
Sebastian Sasse CDU DDR Deutscher Bundestag

Weitere Artikel

Es fällt schwer über den unverhohlenen Mordaufruf des Moderators zu lachen. Solche Pöbelei ist in keiner Weise komisch.
21.02.2024, 15 Uhr
Peter Winnemöller

Kirche

Über den Teufel wird in Kirchenkreisen nur ungern gesprochen. Doch wo der christliche Glaube schwindet, wächst das Grauen.
13.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig