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Thomas Rusche: Verantwortung aus Vernunft

Der katholische Textilunternehmer Thomas Rusche hat den Arnold-Janssen-Preis bekommen. Von Stefan Rehder
Thomas Rusche
Foto: privat | Wurde für die „vielfältigen, außerordentlichen Verdienste“, die er sich als „ethisch verantwortungsvoller Unternehmer, als profilierter Wirtschafts- und Sozialethiker sowie als engagierter Förderer ...

Manche Ressentiments besitzen eine erstaunliche Resistenz. Dass Philosophen nichts Brauchbares von Ökonomie und Unternehmer nichts Nennenswertes von Philosophie verstünden, sind zwei von ihnen. Dabei wurden sie früh falsifiziert. Schon Thales von Milet, den die Antike unter die sieben Weisen rechnet und den Aristoteles gar den „Vater der Philosophie“ nennt, war auch ein erfolgreicher Unternehmer. Im elften Kapitel des ersten Buches seiner „Politischen Schriften“ berichtet Aristoteles, Thales habe in der Gegend um Milet sowie auf der Insel Chios im Winter sämtliche Olivenpressen preiswert gepachtet und sie zur Ernte im Sommer mit „beträchtlichem Gewinn“ weiterverliehen.

In vierter Generation

Über ein derartiges Monopol verfügt Thomas Rusche nicht. Doch mit seinen 60 SOR-Damen und Herrenmodehäusern, die der Spross einer Textilhändlerfamilie aus dem münsterländischen Oelde in vierter Generation inzwischen – von Sylt bis Rottach-Eggern – über ganz Deutschland verteilt hat, sowie einem zusätzlichen Online-Store, ist der 56-Jährige Marktführer im Premium-Segment der Herrenausstatter.

Wer den bekennenden Katholiken am vergangenen Wochenende auf den „6. Internationalen Gocher Gesprächen“ erlebte, in deren Verlauf er mit dem „Arnold-Janssen-Preis“ ausgezeichnet wurde, kann sich indes kaum vorstellen, dass der Philosoph, Wirtschafts- und Sozialethiker, der Rusche auch ist, bei aller Wertschätzung für den Philosophen der Unternehmung des Thales eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt hätte. „Die ökonomischen Imperative der erfolgsorientierten Unternehmensführung stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zu den ethischen Imperativen der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls“, beginnt die Arbeit, mit der Rusche sich vergangenen Sommer an der Universität Siegen habilitierte und in deren Verlauf er Wege aufzeigt, wie sich diese auflösen oder wenigstens entspannen ließen.

Der mit einer italienischen Ärztin verheiratete Vater vier erwachsener Kinder, der sich kleidet, wie man dies von einem Herrenausstatter erwartet – dunkler, dezent gemusterter Dreiteiler, Manschettenhemd, Krawatte, schwarzes Schuhwerk, Oxford statt Budapester – hätte deshalb wohl auch von Thales wissen wollen, ob Oliven im damaligen Griechenland ein Luxusgut darstellten oder aber zu den Grundnahrungsmitteln gerechnet wurden.

Vermutlich hätte Rusche, Mitglied des Verwaltungsrates der Päpstlichen Stiftung „Centesimus Annus Pro Pontifice“ und Koordinator ihrer deutschen Aktivitäten, im Dialog mit Thales Möglichkeiten aufzuzeigen gesucht, wie dieser sein „legitimes Streben nach Gewinn“ in eine „alle Stakeholder“ zufriedenstellende „win-win-Situation“ überführen könne. Denn dass ein Unternehmer nicht lediglich die Erwartungen der Shareholder, sondern – im eigenen Interesse – auch die legitimen Erwartungen des größeren Kreises der Stakeholder im Blick haben müsse, davon ist Rusche, der, bevor er 1988 die alleinige Geschäftsführung der Rusche GmbH übernahm, Erfahrungen auch in namhaften anderen Unternehmen wie Peter Scott, Daks, Burberry und Atkinson in England, Schottland und Nordirland sowie bei Bogner und Konen in München sammelte, längst überzeugt.

Vermutlich hätte der „Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem“, Mitglied des „Kolpingwerks“ und des „Bundes Katholischer Unternehmer“, dem „American Express“ bescheinigt, über die kaufkräftigste Kundenkartei des deutschen Einzelhandels zu verfügen, und dem Thales deutlich zu machen gesucht, dass Wirtschaft – frei nach Clausewitz – nicht als „Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“ verstanden werden dürfe und die „the-winner-takes-it-all-Mentalität“ eine so verantwortungs- wie einfallslose Maxime sei.

Internationale Regeln sind nötig

Auch mit dem in westlichen Industriestaaten oft nahezu reflexartig inkriminierten Satz von Papst Franziskus: „Diese Wirtschaft tötet“ (Evangelii gaudium Nr. 53) hat sich Rusche, der in Fribourg und der FU Berlin Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Philosophie und Theologie studierte und zwei Doktortitel hält, intensiv auseinandergesetzt. Auf der Konferenz, die die „Arnold-Janssen-Solidaritätsstiftung“ unter die Doppelfrage „Markt versus Moral? Oder benötigen sozial gerechte Gesellschaftsordnungen Grenzen für Märkte?“ gestellt hatte, kritisierte er eine Haltung, die sich damit zufrieden gebe, dass die Armut „tendenziell“ weltweit zurückgehe.

Je nachdem welche OECD-Indizes man zugrunde lege, gebe es nach wie vor zehn bis 20 000 Hungertote pro Tag. „Dass wir über diese nur in dem Maße redeten, dass wir sagten, das werde doch weniger“, das sei, so der Preiseträger, der unlängst auf den Papst traf, „für Franziskus ein Schrei des Entsetzens wert“. Wie Franziskus – und vor ihm Benedikt XIV. – ist auch Rusche der Ansicht, dass wir „eine Weltordnung brauchen, die in der Lage ist, internationale Regulierungen vorzunehmen“. Viele der entscheidenden Problemstellungen seien heute derart global, dass sie von Nationalstaaten allein nicht mehr zu lösen seien.

Der Einzelne ist gefordert

Doch statt auf eine Regelung auf der Makroebene zu warten, müssten wir lernen, die beiden anderen Handlungsebenen stärker in den Blick zu nehmen: „die Mikroebene der Menschen und die Mesoebene der Unternehmen und Organisationen“. Hier sieht Rusche einen jeden gefordert, „in seiner individuellen Lebenssituation und in seiner Möglichkeit, in Organisationen und Unternehmen Einfluss zu nehmen“. In demselben Sinne gelte es auch, „Laudato si“ ernst zu nehmen. Denn was mit der Ersten industriellen Revolution begonnen habe, könne in der Vierten, die wir gerade erleben, „die Grundlage der Zukunft unserer Welt zerstören“.

Der Unternehmer und Philosoph hält es jedenfalls für möglich, dass die „externen Effekte“ unserer Art zu wirtschaften, „auf eine ökologische Katastrophe zulaufen, die es uns morgen nicht mehr möglich machen wird, zu wirtschaften“. „Der Unternehmer“ müsse, meint Rusche mit dem Technikphilosophen Hans Jonas, „schon allein, um morgen noch wirtschaften zu können, heute alles dafür tun, dass die Permanenz menschenwürdigen Lebens auch zukünftig noch möglich ist“.

„Würden alle Firmenchefs ihre Verantwortung so ernst und engagiert wahrnehmen, wie Sie dies tun, sehr verehrter Herr Rusche, dann herrschten – jedenfalls in der Wirtschaft – Zustände, die von solchen, die man paradiesisch nennen könnte, nur schwer zu unterscheiden wären“, lobte der Vorstandsvorsitzende der Arnold Janssen Solidaritätsstiftung, Konsul Georg Claessens, den Preisträger. Das sei, wie Claessens einräumte, zwar eine steile These. Aber eben auch eine, die den Versuch der Falsifizierung verdient hätte.

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